Speyer Ein Träumchen im Viervierteltakt

Knapp 5000 Zuschauer haben die Sänger Beatrice Egli, Jürgen Drews, Nik P., Vanessa Mai und Mitch Keller am Sonntagabend auf dem Gelände des Speyerer Technik-Museums gefeiert. Die „Schlagernacht“ des Radiosenders SWR 4 sorgte über vier Stunden lang für gute Laune und Freude unter den Besuchern – in einer Zeit, in der das alles andere als selbstverständlich ist.

Eine „Schlagernacht“ ist kein gewöhnliches Konzert. Dafür bieten die zwischen 30 und gut 60 Minuten langen Auftritte mit Halbplayback – Livegesang zu Musik vom Band – Gelegenheit, Dinge zu hören, die es sonst vielleicht nicht alle Tage zu hören gibt – und das nicht nur in musikalischer Hinsicht. Beispiele gefällig? Gerne, haben wir reichlich da. Gehen wir in umgekehrter Reihenfolge des Auftretens vor und beginnen mit Beatrice Egli: Die „zuckersüße Torte“ (Originalton SWR-Moderatorin Anna-Lena Dörr) aus der Schweiz wirbelte im regenbogenbunten Kleid mit Jeans-Bolerojäckchen über die Bühne. Meist gemeinsam mit zwei Tänzern in weißen T-Shirts und zerrissenen Jeans (ein beliebter Schlagerbegriff) sowie zwei Tänzerinnen in kurzen Jeanshosen und – Achtung, Stilwechsel! – Oberteilen mit dem Emblem der Rockband Def Leppard präsentierte die 28-Jährige Lieder wie „Kick im Augenblick“, „Irgendwann“ und „Mein Herz“. Eglis Selbstinszenierung war dabei die einer noch nach der großen Liebe suchenden jungen Frau. Für den durch vorherigen Gerstensaftgenuss schon erkennbar aus dem Ruder gelaufenen Hormonhaushalt zweier, dem Dialekt nach westpfälzischer, Konzertbesucher war das fast zu viel des Guten. Lautstark machten sie auf sich als vermeintlich geeignete Kandidaten für die zu besetzende Planstelle an der Seite der Blondine aufmerksam, suchten gar Zuflucht bei Elvis Presley („Are you lonesome tonight?“), um sich schließlich schwankenden Schrittes der Bühne zu nähern. Weiter als bis zum davor aufgestellten Absperrgitter kamen sie aber nicht – da hat Beatrice noch mal Glück gehabt. Die wiederum verfiel an einer Stelle ihres Auftritts in heimisches Schweizerdeutsch – oder was die Deutschen dank Kabarettist Emil Steinberger dafür halten. Da galt es, das Publikum zum rhythmischen Wackeln mit dem Allerwertesten zu animieren. „Füttli schüttle“ nannte Egli das in charmantem Ton und fügte entwaffnend hinzu: „Mein Füttli ist sehr groß – ich weiß.“ Schon zuvor hatte die Sängerin ihre Entertainerqualitäten bewiesen: bei einem „Meet & Greet“ – einem Treffen, an dem auch RHEINPFALZ-Leser als Gewinner einer Verlosungsaktion teilnahmen. Als freundliche, ein wenig zurückhaltende junge Frau hatte Egli ihre Besucher begrüßt. Doch sobald ihr jemand ein Mikrofon unter die Nase gehalten hatte, war sie ansatzlos in den Show-Modus gewechselt, hatte gescherzt, laut und herzlich gelacht, von ihrem Heimatort und dem Lernen von Vornamen durchs Schreiben von Autogrammen erzählt – „wenn ich mal ein Kind habe“. Auch mit Unvorhergesehenem – in Gestalt des plötzlich hereinplatzenden Kollegen Jürgen Drews – war die Schweizerin souverän umgegangen: So hatte sie die Rampensau-Attacke des 71-Jährigen mit Charme pariert und den Schlagerveteranen für seine „Jugendlichkeit“ gelobt – was den zum Abschied hatte flöten lassen, Beatrice sei „einfach geil“. Drews also – der Mann, der seit exakt 40 Jahren „Ein Bett im Kornfeld“ singt. Das tat, ach was: zelebrierte, er natürlich auch in Speyer. Dass der Ballermann-erprobte Sänger ein Publikum trotz stimmlicher Probleme nach gerade überstandener Erkältung noch immer mühelos um den Finger wickeln kann, zeigte sein Auftritt deutlich. Wer selbst gerade nicht gut singen kann, lässt das eben die Zuschauer machen – die freuen sich. Umso mehr, wenn der Künstler sie dafür ausgiebig bauchpinselt, scheinbar überwältigt von ihrem nirgends sonst jemals in dieser Form erlebten Ausmaß an Zuneigung. Jürgen Drews jedenfalls gab alles. Außer dem Kornfeld sang er unter anderem „Ich bau dir ein Schloss“, „Wenn die Wunderkerzen brennen“ und aus alten Les-Humphries-Singers-Zeiten „Mama Loo“. Er spielte Banjo, erzählte Geschichten von Mallorca und Ehefrau Ramona, um sich – nachdem er seinen auf 50 Minuten angesetzten Auftritt kräftig ausgedehnt hatte – als Ausdruck ultimativer Ekstase das zuvor schon aufgeknöpfte weiße Rüschenhemd für Sekundenbruchteile vom 71 Jahre alten Oberkörper zu reißen und zufrieden von der Bühne zu schreiten. Noch nicht genug? Gut, ein paar Zugaben haben wir noch. Der Kärntner Kumpeltyp Nik P. etwa hatte seine liebe Not damit, einer hartnäckigen Verehrerin zu erklären, dass er von der Bühne herab nichts für sie signieren könne. Während er und seine zwei Begleiter an Keyboard und Gitarre zielstrebig auf den am Auftrittsende platzierten Überhit „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ zusteuerten, sagte der Österreicher Sätze wie „I kumm’ nachher eh’ zur Autogrammstund’. Jetzt hob’ I koa Zeit, Is bleed jetzt.“ und „So viel Zeit hob’ I net. I kann net so lang.“ Noch deutlich länger hätte sicher Vanessa Mai gekonnt – aber laut Ablaufplan durfte sie nur wenig mehr als eine halbe Stunde. Zu den fetten Beats von Liedern wie „Wolke 7“ und „Mein Herz schlägt Schlager“ ließ die 24-Jährige ihre Hüften kreisen, überstand den einzigen Texthänger des Abends und sagte strahlend zum Publikum, was manche jungen Frauen in Situationen wie diesen eben so sagen: „Ihr seid ein Träumchen.“

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