Speyer Der „Spatz von Paris“ lebt

Begeisterungsstürme für eine „Notlösung“: Die für die erkrankte Christa Platzer kurzfristig eingesprungene Edith-Piaf-Interpretin Evi Niessner hat sich als die eigentliche Entdeckung des Abends „Bonjour tristesse, bonjour Piaf“ erwiesen. Die hinreißende Chanteuse hat mit ihrer Hommage an den „Spatz von Paris“ am Samstag beim Speyerer „Kulturbeutel“-Festival dem Film- und Fernsehstar Gudrun Landgrebe fast ein bisschen die Schau gestohlen.

„Sie erleben eine Premiere“, erläuterte Festivalleiter Matthias Folz dem Publikum im nicht ganz voll besetzten oberen Alten Stadtsaal. „Heute Nachmittag war die erste Probe.“ Weil Niessner in einer anderen Stimmlage singt, hatte die Band von Platzer – Dirk Sobe (Klavier), Oliver Räumelt (Akkordeon), Christian Bergmann (Kontrabass) und Jürgen Schneider (Schlagzeug) – einige Chansons noch extra auf die Schnelle für sie transponieren müssen.

Von all dem ist im Zusammenspiel auf der Bühne nicht das Geringste zu merken. Tusch! Bereits mit den ersten Tönen von „L’accordéoniste“ erobert Niessner die Herzen im Sturm. „La ville inconnue“, „La foule“: Niessner singt nicht nur Piaf, sie lebt Piaf. Mit großartiger Bühnenpräsenz gibt sie sich und den an ihren Lippen hängenden Zuhörern Raum für Melodram, Pathos und echtes Gefühl, beschwört mit Straßenschmutz in der Stimme und Leidenschaft im Körper das leicht verruchte Gefühl des alten Paris herauf. Die Zeit, in der die Piaf aus der Gosse der Seine-Metropole zum gefeierten Weltstar aufstieg.

Dann tritt Landgrebe ans Mikrofon, steht allein auf der Bühne. Klein und zart. Ein ganz anderer Frauentyp an diesem Abend der Frauen, die auch das Gros des Publikums stellen: Kühl-zurückgenommen im schlichten schwarzen Anzug und mit Hornbrille, erschafft La Landgrebe nur mit der Magie ihrer Stimme, obwohl diese von einer Erkältung angeschlagen ist, den ganzen Zauber Südfrankreichs: das Meer, den Sternenhimmel, die singenden Grillen. Dort spielt der Roman „Bonjour tristesse“ von Francoise Sagan, der auch in der von Landgrebe erstellten Lesefassung, die sie in zwei Teilen vorträgt, in einem tödlichen Gefühlsdrama gipfelt.

Ob in insgesamt vier Musikblöcken mit Platzers Band oder zu zweit mit ihrem kongenialen Pianisten Thomas Teske: Auch Niessner treibt den Puls des Publikums immer weiter hoch. Und reiht mit „I love Paris“, „La vie en rose“, „Padam padam“, „Milord“ die Höhepunkte von Piafs Karriere aneinander. „Je ne regrette rien“ heißt nach zwei Stunden unvermeidlich die einzige Zugabe. Nein, da ist definitiv nichts zu bereuen. Es war ein wunderbarer Dialog zwischen Literatur und Musik und zwischen zwei ganz verschiedenen Frauen. Und eine charmante Verbeugung vor der Grande Nation. Bravo. Und Merci.

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