Speyer Bitterer Befund: Desinformation gehört nicht der Vergangenheit an

Schülerinnen entzünden Kerzen: Gedenkveranstaltung in der Synagoge.
Schülerinnen entzünden Kerzen: Gedenkveranstaltung in der Synagoge.

78 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz haben am Donnerstag Schüler in der Synagoge Beith Shalom an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Im Zentrum standen Gleichschaltung, Zensur, Propaganda und Desinformation.

Am Abend vor dem 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ausgerufenen deutschen und 2005 von den Vereinten Nationen erklärten internationalen Gedenktag haben die Beteiligten an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert, ihrer gedacht und zur Umsicht gemahnt.

Marina Nikiforova, Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz mit Sitz in Speyer, betonte den Einsatz der Juden für guten Zusammenhalt in der Gesellschaft ohne Hass und Ausgrenzung. Intensiv hatten sich die an der Feierstunde beteiligten Schüler der Edith-Stein-Schulen, des Hans-Purrmann- und Nikolaus-von-Weis-Gymnasiums mit Opfern auseinandergesetzt, die zwischen 1933 und 1945 im Zusammenhang mit gleichgeschalteter und zensierter Presse verfolgt, gedemütigt, in „Schutzhaft“ genommen und ermordet wurden.

Schicksale vorgestellt

Die Speyerer Bibelforscher Ida und Georg Jossé, Fritz und Ingeborg Küster aus der Lüneburger Heide, Herausgeber von „Das andere Deutschland“, Ludwig Marum, Frankenthaler Rechtsanwalt sowie badischer SPD-Landesjustizminister nach dem Ersten Weltkrieg, den Haßlocher Arzt Hans Hirsch und den Speyerer Metzger Julius Weil stellten sie mit bewegenden Worten in den Mittelpunkt.

Mit aktuellen Beispielen hoben die Schüler den verachtenden Sprachgebrauch der Nationalsozialisten hervor und beschrieben Auswirkungen von Propaganda und Desinformation damals und heute eindrucksvoll. Mit Slogans wie „Impfung macht frei“ bei Aktionen gegen die Corona-Politik machten die Schüler den Missbrauch von Sprache deutlich, mit dem Angriff gegen einen RHEINPFALZ-Journalisten im vergangenen Jahr in Homburg rechtsradikale Tendenzen. Direkt nach seiner Machtübernahme am 30. Januar 1933 habe Adolf Hitler die Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt, berichteten sie von systematischer Gleichschaltung und akuter Lebensgefahr für die, die sich darüber hinwegsetzten.

OB äußert sich zum Grundgesetz

„Desinformation und Propaganda sind Instrumente, die nach wie vor eingesetzt werden“, sagte Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler (SPD). Sie rief zur Wachsamkeit auf. Den Begriff „Rasse“ aus Artikel 3 des Grundgesetzes zu streichen sei ihr ein großes Anliegen, sagte die Stadtchefin.

Für die Opfer, aus deren Biografien sie gelesen hatten, stellten die Schüler Kerzen auf. Sie erinnerten an Gewerkschafter, Juden, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Polen, Russen, Slaven, Künstler, Sinti und Roma, Behinderte oder Zwangsarbeiter, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Für sie sangen und spielten sie berührend „By The Waters Of Babylon“ und zum Abschluss „Amazing Grace“.

x