Speyer / Schwetzingen / Bayreuth Barockmusikfest im Weltkulturerbe

Szene aus „Alessandro Nell’India“ mit Poro (Franco Fagioli) und Cleofide (Bruno de Sá).
Szene aus »Alessandro Nell’India« mit Poro (Franco Fagioli) und Cleofide (Bruno de Sá).

In wenigen Tagen beginnt mit dem Winter in Schwetzingen ein Barockmusikfest in der Region. Wir werfen hier den Blick auf einen Mitbewerber, der ebenfalls ein historisches Theater bespielt: Bayreuth Baroque.

Vor zwei Jahren, da war es ganz still auf dem Grünen Hügel, wurde in Bayreuth ein neues Musikfestival ins Leben gerufen: Bayreuth Baroque, künstlerisch geleitet von dem Countertenor und Regisseur Max Emanuel Cencic. Ort war in der Hauptsache das Weltkulturerbe Markgräfliches Opernhaus, das natürlich ideal für die szenische Aufführung barocker Opern ist. Und schon die erste Premiere mit „Carlo il Calvo“ von Nicola Porpora war ein Volltreffer mit einer zündenden Regie von Cencic und einer musikalischen Einstudierung der Extraklasse, bei der Max Emanuel Cencic unter anderem neben Julia Lezhneva und Franco Fagioli auf der Bühne stand. Dazu gab es hochkarätig besetzte Konzerte und Leonardo Vincis Oper „Gismondo“ konzertant. Leider konnte der Pandemie wegen nur ein Teil der Plätze besetzt werden.

Im vergangenen Jahr war das wieder so. Da gab es dann neben ebenfalls exzellenten Konzerten drei Wiederholungen des „Carlo il Calvo“. 2022 war es dann endlich mit den Einschränkungen vorbei – und es konnte eine zweite Operninszenierung geben. Zehn Jahre nach dem von Cencic unter seiner Wiener Agentur Parnassus kreierten Produktion des „Artaserse“ von Leonardo Vinci und sieben Jahren nach dem „Catone in Utica“ dieses 1730 aus bis heute ungeklärten Umständen umgebrachten Komponisten kam eine weitere römische Oper von Vinci in der seinerzeit in ewigen Stadt üblichen Weise auf die Bühne: nur mit (männlichen) Sängern. Im Kirchenstaat, in dem die Oper zeitweise ganz verboten war, durften auf päpstlichen Befehl Frauen nicht öffentlichen singen. Also wurden auch die Frauenrollen von Männern gespielt und gesungen. Natürlich von hoch singenden. Da auch sonst vor allem Kastraten eingesetzt wurden, ist ein Tenor die tiefste Stimme.

Die „Urversion“

„Alessandro Nell’India“ ist die andere Oper von Vinci, die neben „Artaserse“ 1730 in Rom uraufgeführt wurde – und sie ist das andere große Erfolgslibretto von Pietro Metastasio, der in Leonardo Vinci (völlig zu Recht) den optimalen Komponisten für seine Operndichtungen sah. Vertont haben den „Alessando“-Text später auch Johann Adolf Hasse als „Cleofide“ und Händel als „Poro“.

Im Markgräflichen Opernhaus ist die „Urversion“ von Vinci komplett zu hören – und das währt ganz Bayreuth-, sprich Wagner-gemäß fünf Stunden. Doch – und das sagt alles über einen singulären Opernabend – das Publikum möchte keine einzige Minute missen und folgt dem Geschehen mit nie nachlassender Begeisterung und Spannung.

Das hat seinen Grund natürlich in der Qualität der Musik und deren mitreißendem Vortrag, aber eben auch in der Inszenierung von Max Emanuel Cencic, der dieses Mal nicht mitsingt. Wer seine Regiearbeiten kennt, weiß, dass er den Dimensionen des historischen Stoffs und seinen Hintergründen durch die konkrete Verlegung in eine bestimmte Zeit und ein bestimmtes Ambiente nahe kommen will.

Wie in Brighton

Den antiken Stoff verlegt er in diesem Sinn in den Royal Pavilion im englischen Seebad Brighton, den der spätere englische König George IV. Anfang des 19. Jahrhunderts im Stil eine fantastischen Indiens erbauen ließ. George IV. „übernimmt“ in dieser Produktion denn auch die Rolle Alexander des Großen. Es ist denn auch ein künstliches Indien, das hier vorstellt wird. Doch dabei sind der Kreativität und Fantasie keinen Grenzen gesetzt. Max Emanuel Cencic entwirft eine sagenhaftes und in der Fülle der Einfälle schier überbordendes Bollywood-Spektakel, das dem Gesamtkunstwerk Barockoper auf absolut schlüssige und grandiose Weise gerecht wird. Der szenischen Reizmittel ist denn auch kein Ende – der Abend wird zum einmaligen Musiktheater-Erlebnis. Daran hat die bunte und überaus opulente Ausstattung mit dem Bühnenbild von Domenico Franchi und den prachtvollen Kostümen von Giuseppe Palella ebenso ihren Anteil wie die Choregraphie von Sumon Rudra. Es gibt nämlich auch ein rein männliches Tanzensemble in verschiedengeschlechtlichen Rollen, das das Seine zu der sinnlich überwältigenden Wirkung des Operntheaters beiträgt.

Überwältigend ist die Aufführung ebenso der Musik wegen. Das polnische Ensemble {oh!} Orkiestra spielt unter der Leitung von Konzertmeisterin Martyna Pastuszka (sie darf bei einer Arie mit Solovioline als einzige Frau auf die Bühne) ebenso feurig wie wandlungsfähig in der Umsetzung der unterschiedlichen Affekte in Vincics Partitur.

Phänomenale Virtuosität

Die Gesangsstars sind Franco Fagioli als Poro, der mit phänomenaler Virtuosität und überragender Präsenz singt. Ein Ereignis sondersgleichen bietet der brasilianische Sopranist Bruno de Sá als Cleofide, der mit betörenden Tönen und einer verblüffenden stimmlichen Strahlkraft seiner Partie gerecht wird und zugleich die Rolle in er Weise pointiert und glaubwürdig ausfüllt, die bei jedem Ton stauen macht.

Auch Jake Arditti bringt die Rolle der Erissena absolut zwingend auf den Punkt. Den Alessandro singt Maayan Licht mit leichtem, schier schwerlosen Sopran. Als Gandarte setzt der übrigens vom Winter in Schwetzingen bekannte Tenor Stefan Sbonnik mit der tiefsten Stimme Zeichen – und den Timagene weiß der Countertenor Nicholas Tamagna ausdrucksvoll zu charakterisieren.

Auch die Einrichtung der Partitur ist hinreißend schillernd bis hin zu kessen kleinen Abschweifungen zu Mozart und Verdi in den Kadenzen des großen Duetts Poro-Cleofide am Ende des ersten Aktes.

Cencics 40-jähriges Bühnenjubiläum

Während des Festivals feierte Max Emanuel Cencic sein 40-jähriges Bühnenjubiläum – und das mit einem Festkonzert, bei dem er Arien für Senesino von Händel sang. Die Armonia Atenea unter George Petrou begleitete ihn.

Im Abschlusskonzert stand der künstlerische Leiter des Festivals, das berechtigterweise in Zukunft mehr Zuschuss vom Bund bekommen wird, wieder auf der Bühne des Markgräflichen Opernhauses. Es gab wieder Oper, diesmal konzertant. „Griselda“ von Giovanni Bononcini hatte vor 300 Jahren am Londoner Theater Royal Haymarket Premiere, wurde aber seit 1733 nicht mehr komplett gespielt. Die Rezitative sind verloren gegangen, Dragan Karolic hat sie für die Bayreuther Aufführung neu gefasst.

Eine Entdeckung

Das Konzert zeigte, dass auch die Musik eines anderen Londoner Mitbewerbers von Georg Friedrich Händel (neben Nicola Porpora) von aparter Schönheit ist und viele anmutige Momente hat. Die Aufführung mit dem vorzüglichen Wroclaw Baroque Orchestra unter Benjamin Bayl brachte Bononcinis Oper aufs Schönste zur Geltung. Als Gualtiero entfaltete Max Emanuel Cencic seine ganze Gesangskultur. Als Griselda gefiel Sonja Runje mit klangschönem Mezzo, die Entdeckung war hier der 22-jährige Sopranist Dennis Orellana aus Honduras als Ernesto mit einem fein ziselierten und beweglichen Gesang.

Info

www.bayreuthbaroque.de, www.parnassus.at, viele Aufführungen, darunter die Opern sind nachzusehen und -hören unter www.br-klassik.de

Schlussszene aus „Alessandro Nell’India“.
Schlussszene aus »Alessandro Nell’India«.
Szene aus „Alessandro Nell’India“ mit Alessandro (Maayan Licht).
Szene aus »Alessandro Nell’India« mit Alessandro (Maayan Licht).
Szene aus „Alessandro Nell’India“.
Szene aus »Alessandro Nell’India«.
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