Speyer „Auf dem Papier weit gekommen“

„Das Gesetz war ein Anfang. 60 Jahre später sind wir immer noch nicht da, wo wir hinwollen“, sagt Anita Heid, Gleichstellungsbeauftragte der Römerberger Ortsteile Berghausen, Heiligenstein und Mechtersheim. Der Frauenanteil sei in Politik und Berufsleben gewachsen, hinsichtlich Führungspositionen und gleicher Bezahlung gebe es jedoch noch viel Luft nach oben, ist sie überzeugt. Fortschritte sieht sie in der partnerschaftlichen Vereinbarkeit von Beruf und Familie. „Männer stehen inzwischen am Herd, putzen oder kümmern sich um die Kinder.“ Elternzeit nähmen auch immer mehr Väter in Anspruch. Vor 30 Jahren sei die erste Gleichstellungsbeauftragte im Rhein-Pfalz-Kreis eingesetzt worden, berichtet Heid von der überschaubaren Geschichte der Frauenrechte in der Vorderpfalz. In einer Ausstellung vom 10. bis 30. August im Mutterstadter Rathaus zu 100 Jahre Frauenwahlrecht und 30 Jahre Gleichstellung im Rhein-Pfalz-Kreis wird sie erzählt. Für Heid und ihre Kolleginnen im Rhein-Pfalz-Kreis ist die im Februar in Deutschland in Kraft getretene „Istanbuler Konvention“ bindend. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wollen sie zusammen mit allen Gleichstellungsbeauftragten umsetzen. Dabei gehe es sowohl um körperliche, sexuelle und seelische Gewalt als auch beispielsweise um weibliche Genitalverstümmelung oder Zwangsverheiratung. „Das gibt es auch bei uns“, betont sie. „Wir fordern offizielle Anlaufstellen für Betroffene“, sagt Heid. Die Gleichstellungsbeauftragten des Rhein-Pfalz-Kreises träfen sich monatlich, um diese Ziele voran zu treiben und ihrer Vermittlerrolle gerecht zu werden. „Auf Gesetzesebene ist in den vergangenen sechs Jahrzehnten viel passiert“, räumt Bettina Beyerle, Pfarrerin der protestantischen Gemeinde Römerberg, ein. Inzwischen würden Pfarrerinnen ihren männlichen Kollegen gleichgestellt, seit 1968 dürften sie heiraten. Als erste Frau mit voller Pfarrstelle sei sie vor einem Jahr in der Römerberger Kirchengemeinde angetreten, macht Beyerle bestehende Defizite in diesem Bereich deutlich. Davor habe es lediglich eine „Teilzeit-Pfarrerin“ in Mechtersheim gegeben. „Auf dem Papier sind wir schon weit gekommen“, sagt Beyerle. „Aber in den Köpfen sind wir immer noch Exotinnen.“ Dafür hat die Pfarrerin auch Beispiele. Wie lang ihre Haare seien oder dass sie im Gottesdienst High Heels trage, führe in den Gemeinden zu Diskussionen. Eine ihrer jungen Kolleginnen sei im Pfarrbüro ihrer ländlichen Gemeinde gefragt worden, ob denn der „Herr Pfarrer“ nicht da sei. „Pfarrerinnen sollten einem modernen Frauenbild entsprechen können“, fordert Beyerle. In ihrer Landeskirche sieht sie dringenden Handlungsbedarf. „Wenn eine Pfarrerin nach der Geburt eines Kindes länger als zwölf Monate Elternzeit in Anspruch nimmt, muss sie die Pfarrstelle aufgeben und die Dienstwohnung räumen“, weist sie auf eine Regelung ihrer Kirche hin, die bis heute gelte. Sabine Alschner, Pastoralreferentin der Pfarreiengemeinschaft Dudenhofen, ist sicher, dass dem Gleichbehandlungsgesetz ein gutes, richtiges und wichtiges Anliegen zu Grunde liegt. „Leider habe ich es sowohl in der Industrie als auch in der Kirche allzu oft erlebt, dass dieses Gesetz für Eigeninteressen missbraucht wird“, sagt sie. Besonders im Bereich der Gleichstellung von Mann und Frau hinke die katholische Kirche dem Gesetz hinterher, findet Alschner. „Gleiche Ausbildung und Qualifikation bedingt nicht immer auch gleiche Möglichkeiten.“ Sie hofft, dass das Jubiläum dazu beiträgt, eine gerechte und für alle Beteiligten gute Umsetzung der vor sechs Jahrzehnten beschlossenen gesetzlichen Vorgaben entschlossen anzugehen. „Die Welt kann nur weiblicher werden, wenn Frauen es wollen“, betont die Hanhofener Ortsbürgermeisterin Friederike Ebli (SPD). Sie vermisst Vorbilder, Mutmacherinnen und Engagement in der jungen Frauen-Generation. Für politische Ämter oder Führungspositionen müssten sich Frauen mehr ins Gespräch bringen. „Ich beobachte im Vergleich mit meiner Zeit als junge Politikerin Rückschritte“, mahnt Ebli ihre Geschlechtsgenossinnen, die Errungenschaften der Vorgängerinnen nicht als selbstverständlich abzuhaken. An der Spitze der Hanhofener Vereine hätten zeitweise ausschließlich Frauen gestanden, sagt die Bürgermeisterin. „Dass sich das wieder geändert hat, macht mich unzufrieden.“