Speyer 88 Kulturgesichter in drei Monaten

Die Kulturgesichter sind in der ganzen Stadt präsent: das Plakat zur Aktion.
Die Kulturgesichter sind in der ganzen Stadt präsent: das Plakat zur Aktion.

Am Sonntag hat die Stadt Speyer ihre Aktion „Kulturgesichter“ mit dem 88. Bildporträt und Interview abgeschlossen. Die RHEINPFALZ hat dieses Projekt begleitet und schließt es in der heutigen Ausgabe ab. An dieser Stelle zieht Matthias Nowack, der Leiter des städtischen Fachbereichs für Kultur und Spiritus Rector der Aktion, seine Bilanz aus der Begegnung mit den Menschen aus der Kulturszene der Stadt.

88 Speyerer Kulturgesichter haben wir in den vergangenen drei Monaten vorgestellt, im fotografischen Porträt, im Interview, hier in der RHEINPFALZ, mit Plakataktionen und mit einer Social-Media-Kampagne.

Drei Monate lang haben wir täglich ein Gesicht der Speyerer Kulturszene porträtiert. Viele dieser Kulturschaffenden konnten seit dem 13. März 2020 ihren Job nicht mehr ausüben, nicht mehr auftreten oder durften nicht mehr ausstellen. Digitales war über lange Strecken ein schwacher Trost für den Wegfall von Konzerten, Museumsbesuchen und Ausstellungen. Die Nöte sind vielfältig, die Einschränkungen gewaltig und man könnte diese Serie noch viele Monate fortsetzen. Denn es gibt weit mehr als 88 Kulturgesichter in Speyer, die unter der Corona-Pandemie leiden. Unsere Auswahl konnte deshalb nur exemplarisch sein.

Not einer ganzen Branche

Wir wollten damit deutlich machen, wie vielfältig diese Szene ist, wie viele unterschiedliche Aufgaben für Veranstaltungen erfüllt werden müssen, wie viele Jobs es in der Kulturszene gibt und wie viele Menschen seit März letzten Jahres fast keine Arbeit mehr haben. Und wir wollten den Menschen ein Gesicht geben, die hinter der Bühne arbeiten, für Licht, Ton, Catering und viele andere Dienstleistungen sorgen. Eine ganze Branche hat Berufsverbot erhalten! Nach wie vor sind Existenzen bedroht.

Kultur ist ein Wirtschaftsfaktor, das wird ebenfalls deutlich, wenn man die vielen Interviews liest, die wir auf der Internetseite www.speyer.de/kulturgesichter veröffentlicht haben. Aber: Kultur kostet nicht nur Geld, sie bringt auch Geld, Wirtschaftskraft, Touristen und, ganz wichtig, Lebensqualität in eine Stadt, die sich als kulturelle Metropole der Pfalz versteht und die „Kultur, Toleranz und Lebenslust“ in ihrem Markenkern führt. Ohne Kultur ist es in Speyer ganz schön still!

Einschränkungen bleiben

Es wird lange dauern, bis sich die Kulturszene von diesem Corona-Schock und von der fehlenden Wertschätzung erholt, die mit dem mehrfachen Shutdown aller kulturellen Einrichtungen verbunden ist. Wir werden noch viele Monate mit AHA-Regeln, Hygienekonzepten und einer Beschränkung von Besucherzahlen bei Veranstaltungen und Museumsbesuchen leben müssen.

In dieser schwierigen Situation kommt allen staatlichen und kirchlichen Kulturträgern, auch auf kommunaler Ebene, eine ganz besondere Verantwortung zu. Kultur ist Lebenselixier für Speyer und wir müssen dafür sorgen, dass es weiter seine heilende Wirkung entfalten kann. Die Finanzierung kultureller Aktivitäten muss auch nach der Corona-Krise entsprechend gesichert werden. Sie darf nicht auf dem Altar von Sparprogrammen geopfert werden. Kultur sollte eine kommunale Pflichtaufgabe werden.

Die Kulturszene ist längst wieder bereit für Zuschauende und hat gute Konzepte in der Schublade, um die Veranstaltungshäuser, Theater und Museen wieder zu öffnen. Die Kultur braucht eine Perspektive, die Hoffnung gibt. Durchhalteappelle ohne Aussicht auf Verbesserungen haben wir lange genug gehört.

Kluge Mischung gefragt

Natürlich darf man dabei nicht die Inzidenzzahlen aus dem Blick verlieren. Eine kluge Mischung aus Impfen, Schnelltests, guten Hygienekonzepten und dem Einsatz digitaler Werkzeuge kann helfen, den langen Weg aus der Krise zu weisen.

Kulturgesicht Christoph Stadtler

Christoph Stadtler ist Musiker und Musiklehrer und seit 41 Jahren in der Branche. Als freiberuflicher Musiker, der in normalen Zeiten im Schnitt vier Konzerte pro Woche spielt, sei Corona ein massiver Einschnitt in sein Leben. Selbstverständlich fehle sowohl im beruflichen als auch im privaten Leben der anregende Austausch mit Kollegen, die oft genug auch enge Freunde seien. Als Musiker habe man natürlich die Möglichkeit, sich intensiv mit dem Instrument oder mit dem Komponieren zu beschäftigen, dennoch könne dies nie die Tätigkeit auf der Bühne ersetzen, denn gerade hier bekomme man Anregungen und Anerkennung und könne sich in musikalischer Interaktion ausleben. Da das Live-Spielen im Moment nicht möglich ist, hat er sich mit einigen seiner Projekte mehr auf Videoproduktionen verlegt. Hierbei habe er auch schon einiges dazulernen können und erfahren, dass dies auch eine künstlerisch herausfordernde Tätigkeit sein kann.

Trotz aller Einschränkungen habe das vergangene Jahr da noch einige positive Seiten für ihn parat gehabt: zum ersten Mal im Leben habe er ein richtiges Wochenende und sei nicht wie sonst üblich von einem Konzert zum nächsten geeilt. Seine Frau werde nicht müde zu sagen, dass das letzte Jahr mit ihm das Schönste überhaupt gewesen sei, da er fast jeden Abend zu Hause war.

Dank an die Stadt

Da er neben seiner Tätigkeit als freiberuflicher Musiker auch noch eine Musikschule betreibt, war er nicht in einer existenzbedrohenden Lage. Als Mitglied der GVL (Gesellschafter Leistungsbewertung) und der GEMA habe er ich recht unkompliziert finanzielle Hilfen bekommen. Ganz hervorragend fand er die Unterstützung der Stadt Speyer, die zweimal unkompliziert Hilfe zur Verfügung stellte. Er dankt herzlich hierfür. Die Stadt habe im Gegensatz zu vielen anderen Städten ein sehr gutes Bild abgegeben. Unverständlich ist ihm jedoch, dass viele Kollegen je nach Bundesland unterschiedlich beurteilt wurden, was von vielen als sehr ungerecht wahrgenommen wurde.

Wie werde sich die aktuelle Situation auf die Zukunft für Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche auswirken? „Diese Frage ist sicherlich nicht leicht zu beantworten, es gibt ja das Sprichwort, dass nach einem Gewitter die Luft bereinigt ist. Ich glaube, das wird auch auf diese Branche zutreffen, vielleicht weniger auf das Publikum, welches sicherlich dankbar und mit Freude jedes Angebot in Zukunft wahrnehmen wird. Aber viele Veranstalter, Eventlocations oder Privatleute, die Veranstaltungen planen, werden möglicherweise zurückhaltend reagieren.“ Er hofft, dass sich die Lage wieder auf vor Krisenniveau einpendelt, ist sich jedoch nicht sicher, ob nicht restriktive Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Maskenpflicht oder Mindestabstände nicht auch in Zukunft eingehalten werden müssen, so dass Live-Veranstaltungen und Events nicht mehr kostendeckend stattfinden können.

Klares Handeln gefragt

Seine Erwartungen an die Politik sind nicht allzu hoch, denn die Politik werde nicht alle Probleme lösen, vielmehr sie die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen gefragt. Wünschenswert wäre ein einheitliches Vorgehen der Politik, so dass nicht jeder Ministerpräsident sein eigenes Süppchen kocht, sagt. Auch wünscht er sich ein klares, entschlossenes Handeln und keine Salamitaktik, wie sie in der Vergangenheit leider häufig angewandt worden wäre.

Kommentar

Die schon wenige Tage nach dem ersten Lockdown vor knapp einem Jahr ins Leben gerufene Aktion Speyer.Kultur.Support hat viele Gesichter. Sie hat rasch und schon in zwei Runden konkrete materielle Hilfe geleistet, hat auch schon früh für Auftrittsmöglichkeiten gesorgt – und sie will das weiter tun. Sie hat auch ideell viel für die Kulturszene in der Stadt getan, allein schon damit, dass sie auf die Notlage der in Kultur und Veranstaltungsbranche Tätigen immer wieder hingewiesen hat. In denen neuen Medien – und in den alten, etwa mittels Plakaten auf der „klassischen“ Litfaßsäule.

Dass die Stadt sich an der bundesweiten Aktion „Kulturgesichter“ beteiligt hat, war da nur folgerichtig. Und sie tat auch das schon sehr früh und mit einer Dauer von drei Monaten sehr ausgiebig. Die 88 Personen aus der Szene, die in Bild und eigenen Aussagen vorgestellt wurden, sind „nur“ ein Querschnitt durch die reiche Speyerer Kulturszene. Sie kamen stellvertretend für viele anderen Kolleginnen und Kollegen zu Wort. Und sie hatten was zu sagen.

Bei allen war die Betroffenheit zu spüren, dass ihre mit Herzblut gemachte Arbeit so plötzlich und unverschuldet zur Disposition steht und – im wahrsten Sinn des Wortes – auf fatale Weise um ihre Existenz, Anerkennung und öffentliche Bedeutung ringen muss.

So sehr unterschiedlich die Befragten persönlich auf die Situation in der Pandemie reagierten und versucht haben, das Beste daraus zu machen – und so sehr jede und jeder eine eigene Geschichte in der Corona-Zeit zu erzählen hatte, eines haben doch die allermeisten sehr deutlich eingefordert: eine verstärkte und vor allem dauerhafte Wertschätzung für ihre Arbeit und die Kultur so ganz im Allgemeinen.

Und diese Haltung ist nur zu verständlich und berechtigt. Gerade weil im idealen Fall die Künstler die Menschen unmittelbar erreichen und das Erleben von Kunst „live“ immer am stärksten ist, wird in Zeiten sozialer Distanz der Pandemieeindämmung wegen gerade dieser so essenzielle und existenzielle Lebensbereich ganz schwer betroffen. Und das in einem Moment der Krise, in dem Selbsterkenntnis und Selbstvergewisserung mit Hilfe der Kunst eigentlich wichtiger denn je sind.

Doch die Politik in Bund und Land hat außer „frommen Worten“ und nicht selten ungenügenden wirtschaftlichen Hilfen ein Bekenntnis zur Kultur in Taten bislang vermissen lassen. Die Zeit drängt, bevor dauerhafte und irreversible Einbußen in der Kulturszene nicht mehr aufzuhalten sind. Es war gut und wichtig, die in Kultur und Veranstaltungsbranche vor Ort tätigen Menschen konkret gehört zu haben.

Christoph Stadler: Musiker (Gitarrist) und Musiklehrer.
Christoph Stadler: Musiker (Gitarrist) und Musiklehrer.
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