Speyer Zwischen Tier und Mensch

Schafe am Nachmittag: „Ladies afternoon“ von Christine Weinmüller.
Schafe am Nachmittag: »Ladies afternoon« von Christine Weinmüller.

Unter dem Titel „Porträts“ zeigt der Künstlerbund ab heute realistische Ölmalerei von Christine Weinmüller. Die meisten der 19 Gemälde zeigen dabei nicht Menschen, sondern Darstellungen von Tieren.

Zwei weiße Schafsköpfe starren den Betrachter freundlich und neugierig an. Im Bild daneben taucht ein Mädchengesicht mit verträumtem Ausdruck aus dem Dunkel auf. Menschen- und Tierdarstellungen wechseln sich in Christine Weinmüllers aktueller Ausstellung im Künstlerhaus ab. Es gehe ihr um die Gleichwertigkeit der Lebewesen und darum, das (Nutz)Tier als Individuum zu begreifen, erklärt die in Speyer lebende Künstlerin. Weinmüller malt ihre Modelle nach Fotos. Sie stellt sie vor einen einfarbigen oder dunklen Hintergrund, setzt Schlaglichter und gibt sie in einer fast altmeisterlichen Malweise wieder, die sie in einer dreijährigen Ausbildung ab 2004 an der Moskauer Surikow-Universität erlernt hat. Anders als an westlichen Kunsthochschulen gibt es in den ehemaligen Ostblockländern eine ungebrochene Tradition der klassischen Techniken: Naturalistisches Zeichnen nach Gipsabgüssen, Anfertigen von Ölgemälden in einem genau definierten, aufwendigen Verfahren – dies alles lernte die damals 34-jährige Pfälzerin von ihren russischen Lehrmeistern und verfeinerte dieses Wissen. Sie gibt es seit 2012 in ihrer eigenen Malschule in Speyer weiter. Dass Malen in erster Linie eine von jedem erlernbare Kulturtechnik ist – wie Lesen und Schreiben – ist die Grundidee von Weinmüllers Lehrmethode. Wer möchte, kann sich auf ihrer Website ein Bild davon machen, wie aus groben, eckigen Zeichnungen schattierte Skizzen und schließlich bis ins Feinste ausgearbeitete Farbstudien werden. Das ist verblüffend – und wirkt ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Nicht nur die Motive (wie Gipsabgüsse und klassische Statuen), sondern auch das brauntonige Kolorit und die dunklen Hintergründe legen über Weinmüllers Darstellungen oft eine Art Zeitfilter. Wenn die 15-jährige Anastasia im Porträt „First goodbye“ melancholisch und zugleich lasziv den Betrachter fixiert, mischen sich Anklänge von Barockbildnissen mit Topmodel-Gesichtszügen. Überraschend kommt die Information, dass es sich bei der Porträtierten um eine Kindergartenfreundin von Christine Weinmüllers Sohn handeln soll. Nicht nur im Mädchengesicht blitzt eine Verortung im Jetzt auf: Die frisch geschorenen Schafe vor schwarzem Hintergrund im Bild „Waldorf und Statler“ könnten auf den ersten Blick aus dem 19. Jahrhundert stammen, dann aber wundert man sich über die strenge diagonale Anordnung der beiden Köpfe, die grelle Beleuchtung und den Farbauftrag: Statt alle Nuancen übergangslos miteinander zu verschmelzen, setzt die Malerin stellenweise Farbfacetten kantig nebeneinander. Diese „mikro-kubistische“ Malweise ist ein Kennzeichen für Weinmüllers Malstil, den man in vielen ihrer Bilder wiederfindet. Das Stilmittel entsteht aus der Malweise der Künstlerin, die sich von gröberen Farbflecken zu immer höherer Auflösung vorarbeitet und jeweils entscheidet, ob und wann sie diesen Prozess unterbrechen möchte. Schön zu beobachten ist dieses Vorgehen, wenn man die beiden Tierbilder „Neo“ und „Dead end“ vergleicht: Während das Katzenbildnis „Neo“ mit nur etwa fünf Stunden Malzeit für die Pfälzerin eine „Skizze“ ist, hat sie an dem gegenüber hängenden Bild, das drei Köpfe von geschlachteten Rindern zeigt, mindestens 30 Stunden gearbeitet. Die überzeugte Vegetarierin Weinmüller hatte dieses Motiv auf einer Südafrikareise fotografiert. Doch genauso wenig, wie die Künstlerin Fleischesser verurteilen will, ist dieses Totenbild eine laute Anklage. Mit sanften Farben und weichen Übergängen sind die Tierköpfe so schön gemalt, dass es schwer fällt, sich das Barbarische der vorangegangenen Schlachtung überhaupt vorzustellen. Termin Zu sehen im Künstlerhaus Speyer, Große Sämergasse 1a, bis 18. November. Vernissage ist heute, 19 Uhr. Begrüßung und Einführung: Reinhard Ader. Öffnungszeiten sind samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr.

Michelangelo als Vorbild: „David“ mit seiner Schleuder.
Michelangelo als Vorbild: »David« mit seiner Schleuder.
Tanz auf dem Bär: das kann nur die Baerlerina.
Tanz auf dem Bär: das kann nur die Baerlerina.
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