Ludwigshafen „Wir wollen Ereignisse ermöglichen“

„Besonders am Herzen liegt mir die Solidaritätsveranstaltung für politisch Verfolgte“: Insa Wilke.
»Besonders am Herzen liegt mir die Solidaritätsveranstaltung für politisch Verfolgte«: Insa Wilke.

Zum zwölften Mal findet ab 23. Februar das Mannheimer Literaturfestival „lesen.hören“ statt. Nach dem Tod Roger Willemsens vor zwei Jahren hat die Literaturkritikerin Insa Wilke die Programmleitung übernommen. Vor „lesen.hören 12“ hat sie über das bevorstehende Festival gesprochen.

Frau Wilke, wie ist es dazu gekommen, dass Sie die Programmleitung des Mannheimer Literaturfestivals übernommen haben? War dies ein Wunsch Roger Willemsens, oder hat die Alte Feuerwache als Veranstalterin Sie bestellt?

Mit Roger Willemsen war ich gut befreundet und er hat mich immer wieder einmal als Moderatorin zum Festival geholt. Als er krank wurde, haben wir zusammen das Programm geplant. Kurz vor dem Festival ist er am 7. Februar 2016 gestorben. Die Alte Feuerwache hat mich daraufhin gefragt, ob ich das Programm weiterführen würde. Roger Willemsen hat Sie auch testamentarisch zu seiner Nachlassverwalterin bestimmt. Das zeugt von einem großen Vertrauen. Welche Aufgaben haben Sie? Ich sichte seinen Nachlass und schaue, welche Texte noch veröffentlicht werden können und sollten. Das 2016 erschienene Buch „Wer wir waren“ ist aus seinem Nachlass herausgegeben. Es beruht auf einer Rede, die Roger gehalten hat. Mit dem Verlag zusammen habe ich entschieden, es zu veröffentlichen, weil ich den Eindruck hatte, seine Leser könnten darin Trost finden. In Planung ist jetzt ein Buch mit Rogers Texten zur Musik, zu klassischer Musik, aber hauptsächlich zu Jazzmusik, das im Herbst erscheinen soll. Als Nachlassverwalterin bin ich darum bemüht, die Erinnerung an sein Werk und seine Person zu bewahren. Auch „lesen.hören“ versuchen Sie in seinem Geist weiterzuführen. Wie findet das im Programm seinen Niederschlag? In einer Mischung aus politischen Themen und Unterhaltung. Roger hatte ja einen mitreißenden Humor. Mit seinem „Karneval der Tiere“ geben wir seinem Humor in diesem Jahr eine Bühne. Dann haben wir ein Reihe politischer Abende im Programm: die Eröffnungsveranstaltung im Gedenken an die einzigartige Silvia Bovenschen, einen Abend zu Flucht und Fluchtursachen, eine politische Rechts-Links-Debatte und den Solidaritätsabend für politisch Verfolgte. Wir haben viele Publikumslieblinge eingeladen, etwa Hanns-Josef Ortheil und „Nagel“, also Thorsten Nagelschmidt, aber auch Neuentdeckungen wie Sasha Marianna Salzmann und Necati Öziri. Ich bin außerdem sehr stolz, dass wir es geschafft haben, in einem Programm das Fötzchen, das Okapi und die Solidarität zusammenzubringen. Das hätte jetzt eine Bemerkung von Roger Willemsen sein können. Es ist aber interessant, dass Sie die Gedenkveranstaltung für Silvia Bovenschen zur Festivaleröffnung zu den politischen Abenden zählen. Sicher, weil sie eine der kritischsten Denkerinnen in Deutschland war und eine Ikone der Frauenbewegung. Ihre Stimme kann gerade jetzt Orientierung geben und Maßstäbe setzen. Außerdem zeichnete sie dieser geistesscharfe Witz aus, darin war Roger ihr ähnlich. Roger Willemsen hat dem Festival aber auch vor ein paar Jahren einen gewissen Eventcharakter gegeben. Die früher üblichen Gespräche zwischen einem Moderator und einem Schriftsteller sind immer seltener geworden. Ich sehe Events nicht so negativ. Event bedeutet Ereignis, und Ereignisse wollen wir ja ermöglichen. Wir mischen die Formen. Wenn zum Beispiel Sasha Salzmann und Necati Öziri ins Eintanzhaus mit einem Freifahrtschein kommen und tun und lassen können, was sie wollen, ist das ein Experiment. Wir haben aber auch das klassische Autorengespräch, so mit Felicitas Hoppe oder Mariana Leky. Roger Willemsen hat übrigens „lesen.hören“ durchaus auch als Experimentierfeld genutzt. Seine neuen Programme hatten hier immer Vorpremiere, vor der lit.cologne. Meistens wurden seine Abende am Anfang viel zu lang. Hinterher hat er dann gesagt: „Ich muss kürzen, kürzen, kürzen.“ So haben die Kölner immer weniger zu sehen bekommen als sein Mannheimer Publikum. A propos „lit.cologne“. Auch Sie kennen etliche andere Literaturfestivals. Worin unterscheidet sich „lesen.hören“ von ihnen? Die „lit.cologne“ ist größer, unpersönlicher, fluktuierender. Hier in Mannheim gibt es ein großes Stammpublikum. Man will etwas miteinander erleben, etwas tun und füreinander dasein. Zwischen Publikum und Team gibt es ein sehr persönliches Verhältnis, eine enge Verbundenheit. „lesen.hören“ ist das Ereignis des Jahres für mich. Das hat mit dem Ort zu tun, mit den gemeinsamen Erlebnissen. Es hat dadurch, dass es eng mit Roger und seinem Tod verbunden ist, etwas Intimes. Einige Veranstaltungen moderieren Sie auch selbst. Nach welchen Kriterien haben Sie sie ausgewählt? Tankred Dorst kannte ich persönlich sehr gut. Seine Witwe, Ursula Ehler-Dorst, wird wahrscheinlich auch zu der Veranstaltung kommen. Ich kenne sein Werk sehr gut und kann daher leicht eine Auswahl seiner Texte treffen. Dogan Akhanli kenne ich noch aus meiner Kölner Zeit. Er ist damals in der Türkei verhaftet worden, und wir haben eine Solidaritätsveranstaltung für ihn gemacht. Unter anderem deswegen ist er wieder freigekommen. Ich wusste, als wir jetzt wieder eine Solidaritätsveranstaltung ins Programm genommen haben, dass es ihm ganz wichtig ist, andere Schicksalsgenossen zu Wort kommen zu lassen. Erst heute habe ich eine E-Mail von einem Autor aus Paraguay bekommen, die wir unter den Dokumenten politisch Verfolgter verlesen werden. Und dass ich die Veranstaltung über Minnesang mit Tristan Marquardt und Jan Wagner moderiere, liegt einfach daran, dass ich mittelalterliche Literatur sehr gern habe. Täusche ich mich, oder sind durch Sie mehr Frauen und Frauenthemen ins Programm gekommen? Ich achte darauf, dass das Verhältnis halbwegs stimmt. Ich kenne das nämlich von anderen Veranstaltungsreihen, wenn unter den Vorschlägen nur Männernamen fallen. Das geht nicht. Ich sehe das aber auch nicht dogmatisch, es muss nicht immer 50 zu 50 sein. Gibt es irgendeine Veranstaltung, an der Ihnen besonders gelegen ist? Ich freue mich auf jede Veranstaltung und bin neugierig, ob der Abend so wird, wie wir es uns vorgestellt haben. Besonders am Herzen liegt mir aber die Solidaritätsveranstaltung mit Dogan Akhanli am 6. März. Sie hat eine symbolische Kraft. Alle politisch Verfolgten, die im Gefängnis gesessen haben, sagen nach ihrer Freilassung, es sei ihnen sehr wichtig gewesen, dass sie draußen nicht vergessen worden seien. Wer jetzt an dieser Veranstaltung teilnimmt, kann durch bloßes Zuhören etwas Aktives zu mehr Freiheit in der Welt beitragen. Was für eine Kostbarkeit! Termin „lesen.hören 12“ von Freitag, 23. Februar, bis Sonntag, 11. März, mit 15 Veranstaltungen. Programmhefte in der Alten Feuerwache (www.altefeuerwache.com) und an anderen Veranstaltungsorten. Karten im Vorverkauf an allen bekannten Vorverkaufsstellen.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x