Speyer „Viele sind verunsichert“

Enger Kontakt: Vorlesen in einer Kita. Erzieher, Lehrer und Jugendtrainer sind teilweise unsicher, was sie dürfen, sagt die Refe
Enger Kontakt: Vorlesen in einer Kita. Erzieher, Lehrer und Jugendtrainer sind teilweise unsicher, was sie dürfen, sagt die Referentin.
Frau Pontius, geben die jüngsten Vorfälle von Kindesmissbrauch etwa in Kirchen und Schwimmbädern Anlass dazu, dass Einrichtungen ein Schutzkonzept entwickeln?

Die Medienberichte führen dazu, dass sich immer mehr Einrichtungen mit Schutzkonzepten befassen. Aber einige haben das schon vor längerer Zeit getan, zum Beispiel als vor zehn Jahren Fälle in der Odenwaldschule bekannt wurden. Allgemein wird der Gesellschaft immer bewusster, dass es Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt durch Menschen geben kann, denen Eltern ihre Kinder anvertrauen. An wen richtet sich das Schutzkonzept? An alle Personen, die Kinder betreuen, also in Kinderheim, Kita, Schule, Schwimmschule, Ballettschule, Musikschule, Tanzschule, Sportverein, Chor oder in der offenen Jugendarbeit. Überall dort, wo Erwachsene für Kinder da und teilweise mit ihnen allein sind. Zum Glück passiert meist nichts. Aber jeder Fall ist einer zu viel. Schließt das auch Ehrenamtliche ein? Ja. Was kann ein Schutzkonzept in einer Organisation bewirken? Es hat das große Ziel, die Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Zugleich gibt es den Mitarbeitern Handlungssicherheit. Viele sind verunsichert: Der Trainer fragt sich, ob er nach dem gewonnenen Fußballspiel die Spielerinnen und Spieler noch in den Arm nehmen darf. Die Lehrerin fragt sich, wie nah sie an Schüler herantreten kann, um etwas zu zeigen. Das Schutzkonzept soll die Unsicherheit nehmen, indem sich alle in der Organisation mit den Themen Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt und Täter-Strategien beschäftigen. Danach geht es darum, einen Verhaltenskodex zu entwickeln. Wie verhält man sich richtig? Wenn der Verdacht aufkommt, dass eine Kollegin oder ein Kollege ein Kind missbraucht haben soll, sind viele im Team vollkommen überfordert und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Ein Verdachtsfall spaltet das Team. Daher freuen sich die Fachkräfte, wenn sie Klarheit darüber bekommen, wie sie vorgehen. Das Schutzkonzept legt einen Krisen- und Interventionsplan vor, der im Verdachtsfall vorgibt, welche Personen in welchen Hierarchie-Reihenfolgen informiert werden, welche Kooperationspartner einbezogen werden – etwa Fachstellen, Jugendamt, Eltern – und wer mit der Presse sprechen darf. Jede Organisation würde das Schutzkonzept demnach selbst im Team entwickeln? Ja, das Schutzkonzept ist individuell für jede Einrichtung. Es ist nötig, dass sich jede Organisation und letztlich jede Person, die in einer Einrichtung aktiv ist, mit dem Thema auseinandersetzt. Verhaltenskodex und Krisenplan müssen passen: Das ist für eine Lehrkraft im Gymnasium anders als für einen Schwimmlehrer oder in einer stationären Einrichtung. Auch die Risikoanalyse, die zum Beispiel Räume in der Einrichtung benennt, an denen Kinder sich ungern aufhalten, ist in jeder Einrichtung anders. Die Regelungen im Schutzkonzept müssen zur Elternschaft, zur Struktur oder anderen Rahmenbedingungen passen. Dafür gibt es Materialien als Basis. Wie viel Zeit und Struktur brauchen die Teams, um ein solches Konzept zu entwickeln? Sinnvoll ist es, dass eine arbeitsfähige Gruppe von drei bis acht Personen das Konzept als Kinderschutzteam koordiniert. Sie bündeln die Inhalte, die vorhanden sind. Danach sollten alle Mitarbeiter beim Erarbeiten einbezogen werden, bei manchen vielleicht sogar mit Kindern und Eltern. Wie lange die Konzeptentwicklung dauert, hängt von der Größe der Einrichtung ab. Ich schätze, um die zwei Jahre. Wie gut sind die Einrichtungen, mit denen Sie Kontakt haben, aufgestellt? Das ist schwierig zu sagen. Manche Kindergärten haben einige Punkte der Konzeptentwicklung fertig, andere ein fast ausgereiftes Schutzkonzept mit sexualpädagogischem Konzept. Mein Eindruck ist, dass kirchliche Einrichtungen eher weiter sind: Schulen in kirchlicher Trägerschaft haben Präventionsbeauftragte. In der kirchlichen Jugendarbeit wird viel gemacht. Im Ehrenamt in Musik und Sport ist es deutlich weniger. Manche Sportvereine haben Material von den Landesverbänden bekommen. Doch die meisten Funktionäre in Vereinen haben Angst, als Ehrenamtliche ein Schutzkonzept zu entwickeln. Oder sie denken, dass sie damit potenzielle Helfer verschrecken, kontrollieren und verdächtigen würden, wenn sie ein Führungszeugnis verlangen. Dabei können gerade Vereine das Schutzkonzept als Qualitätsmerkmal für die Öffentlichkeitsarbeit nutzen. Es ist wichtig, eins zu haben, bevor etwas passiert. Info und Anmeldung Der Workshop zur Einführung in das Thema sexualisierte Gewalt, Täterstrategien und Schutzkonzept findet am 15. Juni, 9 bis 16.30 Uhr, in der Jugendförderung, Roland-Berst-Straße 1, Speyer, statt. Zielgruppe: Fachkräfte und Ehrenamtliche in Kitas, Schulen, Einrichtungen der Jugendhilfe und Vereinen. Kosten: 80 Euro inklusive Imbiss und Unterlagen. Die Anmeldung ist bis Donnerstag, 13. Juni, möglich per E-Mail die Referentin info@christinpontius.de. Nähere Infos: www.christinpontius.de.

Christin Pontius
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