Speyer Seelen und Schmerz, Träume und Traumen

Mit Auszügen aus seinem aktuellen Roman „Unter der Drachenwand“ hat der Wiener Autor Arno Geiger die Besucher im voll besetzten Alten Stadtsaal Speyer am Dienstagabend in ein außergewöhnliches Stück Gegenwartsliteratur mitgerissen. Geiger las zum Abschluss der diesjährigen Reihe „Speyer.Lit“.

„Ich bin langsam im Denken und schnell im Schreiben.“ Damit erklärte Geiger den 15 Jahre langen Weg vom Konzept bis zur Veröffentlichung des Buchs, das er als „Gesellschaftsroman“ bezeichnete. Seine Geschichte spielt im Kriegsjahr 1944. Hauptfiguren sind Einwohner von Schwarzindien am Mondsee unter der Drachenwand im österreichischen Salzkammergut. Auslöser war nach Geigers Angaben eine Briefsammlung, die er auf einem Flohmarkt entdeckt hat. Der Autor erwies sich als brillanter Vorleser. Mit sympathischem Wiener Akzent beschrieb er Kriegsauswirkungen, die Menschen auch ohne Bombenhagel und Schützengräben belasten. „Wie schlecht eine Zeit ist, erkennt man daran, dass sie auch kleine Fehler nicht verzeiht“, so Geiger. Wie sich Krieg anfühlt, hat der 50-Jährige nicht selbst erlebt, aber erschöpfend recherchiert. Keinesfalls habe er einen Antikriegsroman schreiben wollen, betonte er. „Der eigentliche Antikriegsroman ist die Liebesgeschichte“, erklärte er. Zuvor hatte er seinen jüdischen Ich-Erzähler Oskar Meyer von der Liebe zu Frau und Kind berichten lassen. Zärtlich umfassten Geigers Sehnsuchtsworte die Zuhörer – in der Gewissheit, dass „Walli und Georgili“ diesen Krieg nicht überlebt haben. Veit Kolbe, seit dem Abitur Wehrmachtssoldat, lässt Geiger im Genesungsurlaub am Mondsee eine Liebe ohne Zukunft erleben. An ihm verdeutlicht er, dass eine schwere Verletzung in Kriegszeiten Leben retten kann. Entspannt in diese Zeit einzutauchen, sei für ihn als Historiker die größte Herausforderung gewesen, sagte der Schriftsteller. Er fühle sich der Kunst und nicht der Historie verpflichtet. „Ich wollte nicht einer dieser altklugen Nachgeborenen sein“, wies er auf den Anspruch hin, ein möglichst ideologiefreies und unpädagogisches Buch zu schreiben. Das ist Geiger mitreißend gelungen. Er hat sich bis zu den verwundeten Seelen seiner Figuren vorgekämpft, zu ihrem Schmerz, ihren Träumen und Traumen. Den Bösen der dunklen Zeit gönnt der Autor nur wenige Worte.

x