Speyer Reitschul-Betreiber und Bittbrief-Schreiber

Ist es nicht herzerweichend, wenn ein Siebzehnjähriger im Jahre 1893 den Bürgermeister um Geld und getragene Kleidung mit folgenden Worten bittet: „Ich bin so arm und komme so verlumpt daher, dass niemand Respekt vor mir hat“. Zugegeben, die Ehrenplakette der Stadt Speyer für hervorragende Verdienste hätte Ferdinand Sauer nie erhalten. Ein Leben lang hat er die Verwaltung, vor allem aber den „Armenpflegschaftsrath“ und das Wohlfahrtsamt beschäftigt.

Fritz Schwager hat sich in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der, wie er schrieb, „Speyerer Berühmtheit“ beschäftigt, die nicht als Vorbild in die Stadtgeschichte einging, die aber doch einmalig war. Am 23. Januar 1876 erblickte Ferdinand Sauer in Speyer das Licht der Welt. Die Mutter starb, als er acht Jahre alt war. Der Vater, Barbier und Bader, war viel auf Wanderschaft und kam ohne Armenhilfe nicht aus. Ferdinand war seit Kindheit der Armut ausgeliefert. Nach dem Schulbesuch im Jahre 1889 hatte der Armenpflegschaftsrat vergeblich versucht, den nur 1,28 Meter großen Ferdinand bei einem Lehrmeister unterzubringen. Viele Speyerer Handwerksmeister hatten ihre liebe Not mit dem „Auszubildenden“, denn er lief schon nach kurzer Zeit davon. Er wollte Barbier werden. Wie sein Vater. Beim Friseur Philipp Frey in Worms erfüllte sich sein Wunsch. Schon nach einem Jahr Lehrzeit legte er im März 1893 die Prüfung als Friseur erfolgreich ab. Aus dieser Zeit, so ergaben die Recherchen von Fritz Schwager, stammen auch seine ersten Bittbriefe an den „Geehrtesten und Werthesten Herrn Bürgermeister“. Was er in den Folgejahren in seinem unnachahmlichen Briefstil, auch mengenmäßig, zu Papier brachte, ist bewundernswert. Nie war er um Formulierungen verlegen. Untertänigst konnte er bitten, mit Nachdruck fordern, schwindeln und auch beleidigen. Sich aber auch wieder entschuldigen, wenn es für ihn gefährlich werden konnte. Zu simulieren verstand er auch, was ihm 1903 statt einer drohenden Haftstrafe einen Aufenthalt in der Kreis-Irren-Anstalt Klingenmünster einbrachte. Nach einem Jahr wurde ihm große Rede- und Schreibseligkeit bescheinigt. Es gab keine Zeichen von geistiger Abnormität. Ein normaler Mensch dürfte er aber nicht sein, hieß es im Abschlussbericht. Nach Jahren der Wanderschaft machte sich Ferdinand Sauer noch vor der Jahrhundertwende in Speyer selbstständig. Da der Verdienst aus dem Friseurgeschäft nicht ausreichte, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu bestreiten, betätigte er sich unter anderem als „Heilgehilfe“ und als „Hundetrimmer“. Mit einer kleinen Reitschule versuchte er ab 1905 auf Messen und Märkten etwas zu verdienen. Seine eigentliche Berühmtheit erlangte Ferdinand Sauer aber erst als Karussellbesitzer. Es folgten eine Schiffschaukel, ein weiteres Kinderkarussell, eine Orgel und ein Wohnwagen. Schulden und viel Ärger waren die Folge. Nur noch für die ganz alten Speyerer ist Ferdinand Sauer ein Begriff. War er doch in der Art seines Auftretens nicht nur eine – wenn auch – kleine Berühmtheit, sondern vor allem ein Original. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich seine Speyerer Buben nicht ungern als „Antriebskraft“ für seine stromlosen Reitschulen zur Verfügung stellten. Wie ein Zirkusdirektor wartete er auf Kundschaft. Klein von Statur, ordentlich behütet mit abgetragenem Gehrock, einem gestriegelten Schnurrbart und einem goldenen Zwicker auf der Nase. Ferdinand Sauer war dreimal verheiratet. Er starb als „Ortsarmer“ am 25. Dezember 1956 im 81. Lebensjahr. Seine Ruhestätte auf dem Speyerer Friedhof liegt in einer Abteilung, die inzwischen zur Neubelegung zugelassen wurde. Nur noch selten wird man sich seiner erinnern. Ein Grabmal hat es ohnehin nicht gegeben.

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