Speyer Mutiger und internationaler

Entspannt beim Treffen im belebten Café: der 61-jährige Hermann Krämer.
Entspannt beim Treffen im belebten Café: der 61-jährige Hermann Krämer.

13 Uhr, Verabredung zum Interview mit Hermann Krämer im „Café Amalie“. Es ist laut, es herrscht geschäftige Hektik, fast alle Tische sind besetzt, Mittagszeit eben. „Früher hätte ich solche Plätze wohl eher gemieden“, erzählt Krämer. Er meint damit die Tatsache, dass er unter einem Tourette-Syndrom leidet. Das wird unter anderen daran erkennbar, dass er unwillkürlich und nicht kontrollierbar sein Gesicht verziehen oder Worte ausrufen muss. Er soll einer der zwei neuen Behindertenbeauftragten der Stadt werden.

Krämer wirkt entspannt. Anfängliche vokale und motorische „Tics“ beeinflussen seine lockere Erzählweise nur für kurze Momente. „Ich habe mich gegen Medikamente ausgesprochen, außer vielleicht Melissentee“, fügt er lächelnd hinzu, „der verändert zwar nichts, beruhigt aber ein wenig.“ Das ist aber nicht alles, wie er sagt. „Viel Bewegung in Form von Fahrrad fahren und schwimmen helfen mir immer sehr beim Spannungsabbau. Dass empfehle ich auch gerne weiter.“

Strikter Tagesablauf

Krämer berichtet über vielfältige Aktivitäten, die ihn zum Thema Tourette umtreiben. Ein strikter Tagesablauf seit fünf Jahren habe seine persönliche Situation zum Positiven verändert. „Ich bin insgesamt mutiger geworden, die Umklammerung meiner zwanghaften Lebensform hat sich wesentlich gelöst, ohne bestimmtes Zutun meinerseits. Man darf trotzdem nie vergessen, dass es sich beim Tourette-Syndrom um eine lebenslange chronische Krankheit handelt.“

Austausch "anstrengend, aber unvergesslich"

Ein besonderes Erlebnis war für den 61 Jahre alten Krämer die Teilnahme am Weltkongress der Psychiatrie in Berlin im Oktober vergangenen Jahres. Solche Veranstaltung seien in Deutschland selten. Auch an seine Teilnahme an der Bildungsmesse Didakta in Hannover im Februar denkt der Speyerer gern zurück. Der Austausch mit Psychiatern, Neurologen aus Ländern wie Marokko, Libyen, Indien, Bangladesh, Irak, Nigeria und europäischen Staaten sei „anstrengend, aber unvergesslich“ gewesen.

Facebook-Gruppe mit knapp 1000 Mitgliedern

Ständig ist der Speyerer auf der Suche nach Wegen, seine Erfahrungen und sein Wissen weiterzugeben. Daher unterstützt er die Tourette-Gesellschaft Deutschland (TGD) durch Internetseiten, Kongressbesuche, wo er Infostände betreut, oder auch seit inzwischen acht Jahren als wissenschaftliches Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Tourette-Aktuell“. Nicht zu vergessen seine Facebook-Gruppe mit knapp 1000 Mitgliedern, die er seit rund drei Jahren leitet.

Einsatz für mehr Akzeptanz

Es ist nach seinen Worten eine der größten Gruppen in Deutschland, in der sich Betroffene, Angehörige, Verbände sowie Interessierte austauschen können. „Zentraler Grund für mein Engagement ist die Erhöhung der Toleranz in der Bevölkerung, eine Akzeptanzverbesserung in der Wirkung nach außen“, sagt Krämer. Dabei lässt er sich einen veganen Riegel schmecken. Er erklärt: „Ich lebe vegan, weil ich für mich gemerkt habe, dass es sich positiv auf mich auswirkt, das muss aber jeder für sich selbst rausfinden.“

Äußerungen werden seltener

Krämer, der Industriekaufmann bei der Schiffswerft Braun gelernt hat, ist in Speyer heute nach eigener Aussage so bekannt, dass die abfälligen Äußerungen einiger Zeitgenossen seltener werden. Es geht ihm weiter um gute Öffentlichkeitsarbeit: „Ich würde gerne meine Autobiografie schreiben. Und dann durch Deutschland touren, um Lesungen zu veranstalten. Direkt dran am Leser, an den Menschen.“ Termin & Kontakt —Vortrag von Hermann Krämer in Speyer: „Diagnose Tourette-Syndrom“, Mittwoch, 29. August, 20 Uhr, bei der Volkshochschule, Villa Ecarius, Bahnhofstraße 54 —E-Mail: info@tourette-syndrom.de —Im Netz: www.tourette-syndrom.de

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