Speyer Käufliche Farbtöne und Kunstaktion mit Huhn

Farben als Marke: „Colourmarks“ von Rozbeh Asmani.
Farben als Marke: »Colourmarks« von Rozbeh Asmani.

Zum vierten Mal wird am 9. Februar der Große Hans-Purrmann-Preis der Stadt Speyer verliehen. Der mit 20.000 Euro dotierte Kunstpreis wird seit 2012 zu dem seit 1965 bestehenden Hans-Purrmann-Förderpreis im Zweijahresrhythmus ausgelobt und von der Purrmann-Stiftung in München getragen.

Anders als beim Förderpreis werden die Bewerber hier von einem ausgewählten Kreis von Künstlern, Kritikern und Kuratoren vorgeschlagen – Selbstbewerbung ist nicht möglich. Die Vorauswahl aus den 34 eingegangenen Bewerbungen traf im November eine dreiköpfige Jury der Hans-Purrmann-Stiftung, bestehend aus den Künstlern Karin Kneffel und Marcel Odenbach sowie dem Kunsthistoriker Andreas Bee. Acht junge Künstlerinnen und Künstler (Jahrgang 1980-1988) aus verschiedenen Nationen, aber alle in Deutschland lebend, wurden nominiert. Nach der offiziellen Verleihung der Preise im Historischen Ratssaal am 9. Februar um 16 Uhr werden die Arbeiten aller Nominierten bis zum 10. März im Kunstverein Speyer und der Städtischen Galerie zu sehen sein. Intime Details trister Hochhausfassaden und betonierte Räume von wüster Leere sind das Thema des in Stendal geborenen Malers Daniel Behrendt. In seinen meist kleinformatigen, fotorealistischen Ölbildern zeigt der in Bremen lebende Künstler graue Wände, dunkle Fensterlöcher, schäbige Balkone oder kahle Innenräume mit Matratze. Den scheinbar völlig gleichgültig gestalteten Zivilisationsnischen gilt Behrendts größte Aufmerksamkeit. Durch die strenge formale Reduktion auf graue Farbflächen, Linien und Ausschnitte lässt der Künstler unwirtliche Ecken menschlicher Behausungen als fast abstrakte Kompositionen erscheinen. Farben sind käuflich. Und damit ist nicht nur die Substanz gemeint. Es sind auch die Farbtöne, die unter Umständen schon jemandem gehören. Seit 1995 ist es Unternehmen möglich, sich das Vorrecht auf bestimmte Farben und Formen beim Patent- und Markenamt zu sichern. Milka-Lila, Nivea- oder Aralblau und auch das Gelb von Langenscheidt-Wörterbüchern gehören zu solchen eingetragenen Marken-Farben. Auch wenn man es sich noch nie bewusst gemacht hat, merkt man beim Betrachten der „Colourmarks“ des Kölner Künstlers Rozbeh Asmani sehr schnell, wie sehr man durch die kommerzielle Inbesitznahme der Farben bereits geprägt ist. Einmal dafür sensibilisiert, erkennt man auf den 72 Farbtafeln – auch ohne Schriftzug und Markennamen – wie sehr die Farbgestaltung der Konsumgüter unsere Wahrnehmung triggert. Auf Formen industrieller Produkte sind wir ebenfalls konditioniert: Mit 16 aufgestapelten „Briketts“ aus Gips mit Lakritzüberzug irritiert der im Iran geborene Künstler die Erwartungen des Betrachters. Ein Totenschädel aus eingeschmolzenen Karamellbonbons oder eine Fusselrolle aus Bronze: Auch der Hamburger Bildhauer Daniel Wolff bewegt sich mit seiner Arbeit oft im Dunstkreis industrieller Produkte. Wie sein Lehrer Thomas Rentmeister, der mit Arbeiten aus Nutella oder Penatencreme Aufsehen erregte, bedient sich Wolff vorgefertigter Alltagsgegenstände, um sie zu zerlegen, umzuformen, zu kopieren und in neue, absurde Zusammenhänge zu stellen: Eine Waschmaschine fixierte er mit der Öffnung nach unten auf einer Säule, so dass sich beim Einschalten nicht die Trommel, sondern der ganze Korpus dreht. Aus geschmolzenen „Werthers Echten“ gießt er einen Schädel und platziert in den Augenhöhlen Kugeln mit dem markentypischen Goldpapier. Postmodernistische Billigkommoden, Neo-Nazi-Accessoires und (zuletzt auch) Gemälde ihres Großvaters, der in der DDR ein anerkannter Künstler war, kombiniert die Zwickau geborene und in Berlin lebende Künstlerin Henrike Naumann zu befremdlichen Einrichtungsinstallationen. Es scheint, als ob die in der Nachwendezeit aufgewachsene Naumann, die an der Filmhochschule Babelsberg und an der Akademie in Dresden studierte, einen Zusammenhang zwischen wohnweltlicher Entgleisung der 1990er-Jahre und dem Aufkeimen rechtsextremer Jugendkultur im Osten herstellen will. Haltlosigkeit, Orientierungslosigkeit und das Wegbrechen von Werten und Gewissheiten konstatiert Naumann in ihren Arbeiten, die sie in vielen Ländern – darunter Korea – ausstellte. Verdeutlicht Naumann mit ihren geradezu monströs lieblosen Wohnensembles einerseits den schmerzhaften Knacks im Selbstbild der Ostdeutschen, möchte sie andererseits mit den farbenfrohen Bildern ihres Großvaters Karl Heinz Jakob auf die Qualität der DDR-Malerei hinweisen, die vom Westen lange undifferenziert als Regime-Kunst abgetan wurde. Als Kristina Buch im Jahr 2012 mit 29 Jahren als jüngste Teilnehmerin an der Documenta 13 teilnahm, hatte sie bereits Theologie, Biologie und Bildhauerei studiert. Eine Mischung all dieser Einflüsse fließt in die interdisziplinäre Arbeit der in Düsseldorf lebenden Künstlerin ein. Nicht selten spielen in ihren konzeptuellen Installationen lebende Tiere und Zeit eine zentrale Rolle. Für ihr Documenta-Projekt „The Lover“ legte sie inmitten zubetonierter Flächen einen üppigen Schmetterlingsgarten an, den sie für die Dauer der Ausstellung täglich mit neuen Faltern bestückte. Versteht man die Tiere als „Gefangene auf einer Insel des Überflusses“, lassen sich vielfältige Parallelen zur Situation des Menschen ziehen. Außer poetischen „lebenden Bildern“ schafft Buch auch Werke, die kontroverse Diskussionen entfachen: Für ein Kunstprojekt mit Huhn wollte sie in einer Galerie zwei Monate mit dem Tier zusammenleben und es anschließend als Suppenhuhn verarbeiten. Dieses Vorgehen wurde ihr jedoch behördlich untersagt. So entstand unfreiwillig eine Art Langzeitbeziehung zwischen Huhn und Künstlerin. Die Umstände und Auswirkungen ihres gescheiterten Projektes verarbeitete Buch zu einem Video und das Huhn – zu guter Letzt – doch noch zu einer Bouillon. Verweigerung: das ist das Erste, was einem beim Betrachten der lakonischen Minimal-Gemälde von Paul Sochacki aus Krakau in den Sinn kommt. Obwohl der in Berlin, Hamburg und Polen lebende Künstler meist mit „Öl auf Leinwand“ malt, wirken seine sparsamen Malereien eher wie Satire oder Cartoons. Dennoch kann man sie nicht als solche lesen. Die mit wenigen, trockenen Pinselstrichen skizzierten Szenen lassen sich weder anhand des Dargestellten und noch weniger durch die rätselhaften Titel oder Bild-Kommentare entschlüsseln: Auf „Smoking Kills“ von 2015 liegen sechs Tiere und ein Schneemann um eine Picknickdecke herum. Eines der Tiere scheint zu rauchen und äußert dabei den wenig erhellenden Satz: „We are human no nationality“ (Wir sind menschlich keine Nationalität). Auch in „Study for a door“ von 2013 sieht man keine Türstudien, sondern die klischeehafte Zeichnung einer afrikanischen Hütte mit Strohdach ohne Tür. Schlagworte und Phrasen von scheinbar weltpolitischer, gesellschaftskritischer oder philosophischer Tragweite verschmilzt Sochacki mit vieldeutigen, ironischen Bildkürzeln zu inhaltlichen Aussagen von dadaistischer Qualität. Die Arbeit des amerikanischen Künstlerduos Calla Henkel und Max Pitegoff scheint von allen Finalisten am wenigstens greifbar. Zu vielgestaltig, zu fließend sind die Grenzen ihres Kunstbegriffs. Das englische Wort „Shift“ (Verschiebung) – so der Titel einer aktuellen Ausstellung im Hamburger Kunstverein – steht emblematisch für das, was die beiden in Minneapolis und Buffalo geborenen und in Berlin lebenden Künstler beschäftigt. Als Schriftsteller, Regisseure, Fotografen und Kunsttheoretiker treten Henkel und Pitegoff selber auf. Sie inszenieren Theaterstücke, für die sie bevorzugt Laiendarsteller casten. Ihr performativer Arbeitsansatz konzentriert sich naturgemäß weniger auf bleibende Werke, und so fungieren die (Casting)-Fotografien ihrer Darsteller als ausstellbare „Nebenprodukte“ ihrer eher konzeptionellen Arbeit. Der theoretische Ansatz dazu stellt die Frage in den Raum, inwiefern die fotografierten Personen als sie selbst, in einer Rolle oder in einem irgendwie anders gearteten Zwischenmodus zu sehen sind.

Kunst aus Fundstücken: Natodraht 1 von Daniel Wolff.
Kunst aus Fundstücken: Natodraht 1 von Daniel Wolff.
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