Speyer Experiment aus Musik und Mathematik

Endlich mal jemand, der einem Laien erklären kann, wie Fugen funktionieren – nicht in einem Vortrag, sondern ausschließlich am praktischen Beispiel an der Orgel. Das ist Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald am Sonntag in der Speyerer Gedächtniskirche mit Hörbeispielen aus Johann Sebastian Bachs „Die Kunst der Fuge“ gelungen.

Leicht war das für den Zuhörer nicht, Steuerwald verlangte ihm einiges an Konzentration ab. Dabei war ein Blatt mit Notenbeispielen und Erläuterungen, das er vorbereitet hatte, eine große Hilfe. Selbst wer nicht so firm ist, Töne an geschriebenen Noten zu erkennen, konnte doch sozusagen die Architektur der Musik, das Thema und seine vielen Abwandlungen sowie zeitlichen Versetzungen herauslesen und versuchen, das mit dem Gehörten zu vergleichen. Dass als Tonart nur d-moll verwendet wird, erleichtert dieses konzentrierte Zuhören nicht unbedingt. Bachs Werk „Die Kunst der Fuge“ ist nicht abgeschlossen überliefert. Der Komponist hatte daran in verschiedenen Phasen seines Lebens gearbeitet. Gedacht war es eher als Enzyklopädie der Möglichkeiten zum Nachschlagen, weniger zum konzertanten Nachspielen. Die einzelnen Variationsmöglichkeiten nannte Bach „Contrapunctus“. Insgesamt enthält „Die Kunst der Fuge“ einen Zyklus von 14 Fugen und vier Kanons. Steuerwald beschränkte sich auf die Fugen im engeren Sinn – Contrapunctus eins bis elf und 14 („Fuga a tre Soggetti“ – „Soggetti“ bedeutet „Themen“). Was der faszinierte Zuhörer davon hatte, war die Erkenntnis, dass Musik und Mathematik dichter beieinander liegen, als es scheint, und dass hier jemand mit dem profundesten Wissen seiner Zeit über Musik dem Hörer etwas über das Verhältnis der Töne zueinander erzählt. Mit Jochen Steuerwald als Medium breitete Bach wie in einer Versuchsanordnung sein Wissen über das aus, was durch Verschiebungen aller Art mit einer gleichen Notenfolge, dem Thema, möglich ist. Das war sehr spannend, wenn auch keine Musik zur Entspannung. Quasi zur Belohnung und nun wirklich zur Entspannung spielte der Organist zum Schluss das „Largo e spiccato“ aus dem Concerto d-moll nach Antonio Vivaldi. Dabei handelt es sich keineswegs um ein Original des Italieners, sondern um ein von Bach nach dessen Art komponiertes Stück mit wunderschönen Flötentönen der Orgel.

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