Rhein-Pfalz Kreis „Es gibt keinen Schlussstrich“

Seit sechs Jahren spurlos verschwunden: Erich Müller.
Seit sechs Jahren spurlos verschwunden: Erich Müller.

«Limburgerhof.»Ein kreisender Hubschrauber in der Nacht im August und dann eine Meldung in der RHEINPFALZ, dass eine vermisste Seniorin gesucht worden ist – das hat bei Alfred Kolb an einer Wunde gerührt. Denn wenige Tage später jährte sich ein einschneidendes Ereignis für ihn und seine Familie zum sechsten Mal: Sein betagter Schwiegervater verschwand spurlos. Bis heute. Und es sind auch die Umstände in den Tagen und Wochen nach dem Verschwinden, die den Limburgerhofer umtreiben.

Am Abend des 28. August 2012, einem Dienstag, verließ der 83-jährige Erich Müller seine Wohnung in Rheingönheim und ging Richtung Straßenbahnhaltestelle an der Kornackerstraße. Das haben Nachbarn beobachtet. Gekleidet war er wie üblich, wenn er seine tägliche Bahnfahrt nach Haßloch antrat. Dort besuchte er stets eine Bekannte, mit der er Wandertouren und Ausflüge unternahm. Am nächsten Tag meldete sich diese Bekannte bei dem Ehepaar Kolb, Müllers Tochter und Schwiegersohn. Denn Erich Müller war nicht gekommen, und hatte sich nicht gemeldet. Alfred Kolb und seine Frau suchten seine Wohnung auf – leer. Sie suchten die Umgebung ab, fragten Anwohner – nichts. Seitdem, seit nunmehr sechs Jahren, fehlt jede Spur von dem damals rüstigen Rentner. „Das ist bei mir noch so präsent, als wäre es gestern gewesen.“ So beschreibt Alfred Kolb die Geschehnisse jenes Spätsommers und auch das, was in der Zwischenzeit passierte. Oder eben auch nicht passierte. Das Ehepaar ging zur Polizei, eine Vermisstenanzeige aufgeben. Dort habe der diensthabende Beamte zunächst gesagt, dass der Angehörige ja schließlich selbstbestimmt lebe. Es sei doch aber egal, ob ein älterer Mensch noch allein in seiner Wohnung leben könne oder in einer Pflegeeinrichtung, sagt Kolb. Der 66-Jährige muss „diesen Schwebezustand“ inzwischen alleine verarbeiten – vor rund acht Monaten ist seine Frau verstorben. Er hat noch einen erwachsenen Sohn. In den Tagen nach dem Verschwinden Erich Müllers klapperten die Kolbs die Krankenhäuser der Umgebung ab, telefonierten umher, suchten, fuhren Bahnstrecken entlang – ohne Erfolg. Sie zeigten am Haßlocher Bahnhof ein Bild des Vermissten – dort kannten ihn einige, hatten ihn aber nicht mehr gesehen. Sie gaben Suchanzeigen in der RHEINPFALZ und in Gemeindeblättern in der Südpfalz auf, wo Erich Müller herstammte. Alles blieb fruchtlos. Bei den Verkehrsbetrieben fragte das Ehepaar Kolb nach Video-Aufzeichnungen aus den Straßenbahnen. Die gebe es, würden aber nicht an Privatleute herausgegeben, hieß es. Bei der Polizei wiederum habe es auf ihre Anregung hin geheißen, die Sichtung sei zu aufwendig. „Dabei hätte man das ja zeitlich gut eingrenzen können auf zwei, drei Bahnen am Abend“, sagt Kolb. Und man hätte Gewissheit gehabt, ob der 83-Jährige überhaupt in eine Straßenbahn eingestiegen war. Schließlich habe die Polizei Spürhunde am Haßlocher Bahnhof eingesetzt, wo Müller nachweislich täglich ein- und ausgestiegen war. Auch hier – keine Spur. Für die ratlosen und verzweifelten Angehörigen begann eine aufreibende Zeit. Auch wegen des vielen „Papierkrams“. Alfred Kolb wurde vom Amtsgericht Ludwigshafen zum Abwesenheitspfleger für seinen Schwiegervater bestellt, das heißt, er kümmerte sich um die finanziellen und rechtlichen Angelegenheiten, nahm die Interessen des Verschollenen wahr. Schweren Herzens wurde die Wohnung in Rheingönheim gekündigt und geräumt. „Wir haben meinen Schwiegervater dann pro forma bei uns in Limburgerhof angemeldet. Hier wohnt er offiziell noch.“ Verhandlungen mit der Rentenversicherungen, dem Amtsgericht – alles in allem fühlt sich der 66-Jährige von den Behörden ziemlich allein gelassen. Zusätzlich zu der quälenden Ungewissheit, was mit Erich Müller wirklich geschehen ist, sei das eine große Belastung. Immer wenn Kolb davon liest, dass Verschwundene wieder aufgetaucht sind, oder dass man nach vielen Jahren sterbliche Überreste gefunden hat, oder auch, dass nachts mit Hubschraubern nach Vermissten gesucht wird, kommt alles wieder hoch. „Man kann das verdrängen, aber es ist nicht weg. Das wird man nicht los. Es gibt keinen Schlussstrich, keinen Punkt.“ Und mit dem Gespräch mit der RHEINPFALZ verbindet er auch die Hoffnung, dass es vielleicht doch einen Hinweis auf den Verbleib seines Schwiegervaters geben kann, endlich, nach sechs Jahren.

Unter der Lupe: ein Fahndungsaufruf auf der Internetseite des Bundeskriminalamtes.
Unter der Lupe: ein Fahndungsaufruf auf der Internetseite des Bundeskriminalamtes.
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