Speyer „Es gibt Grenzen“

Jung hilft alt: das Prinzip des Generationenvertrags.
Jung hilft alt: das Prinzip des Generationenvertrags.

«Waldsee.»Anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens hat die ökumenische Sozialstation Limburgerhof, die auch für Otterstadt und Waldsee zuständig ist, Gerhard Kiechle zu einem Vortrag morgen in Waldsee eingeladen. Der 71-Jährige war von 1981 bis 2005 Bürgermeister von Eichstetten, einem 3500-Einwohner-Dorf am Kaiserstuhl. RHEINPFALZ-Mitarbeiterin Christine Kraus hat mit ihm über das Dorf gesprochen, das den Generationenvertrag übernommen hat.

Herr Kiechle, bekommen Sie Angst, wenn Sie ans Alter denken?

Das kommt auf die persönliche Situation an. Ich selbst habe keine Angst vor dem Altwerden. Mein Wunsch ist, so lange wie möglich selbstständig und selbstverantwortlich dieses dritte Lebensalter zu gestalten. Damit sind Sie nicht alleine. Das ist eine die Herausforderung, die auf die Gesellschaft zukommt. Ja, der demografische Wandel rollt unaufhaltsam auf uns zu. Wir leben in einer ständig älter werdenden Gesellschaft. Die Menschen bleiben zwar dank des medizinischen Fortschritts länger gesund, aber trotzdem nimmt die Pflegebedürftigkeit zu. Besonders die Demenzerkrankungen stehen in Korrelation mit dem Alter. Die Frage ist: Können wir die notwendigen Unterstützungsleistungen in der Pflege, beim altersgerechten Wohnen und der medizinischen Versorgung alle leisten? Gute Frage. Da kommen Pflegedienste wie die ökumenischen Sozialstationen ins Spiel. Können die das überhaupt noch leisten? Die Pflegedienste haben in den letzen Jahren ihre Dienstleistungen ausgeweitet und sie versuchen das auch noch weiter. Aber sie stoßen an die Grenze, Pflegefachkräfte zu halten. Es gibt zwar politische Willensbekundungen, dass man für mehr Pflegkräfte sorgen möchte, aber in der Realität ist das nicht so einfach. In Eichstätten ist man einen neuen Weg gegangen. Was wurde gemacht? Das war vor über 20 Jahren. Als Bürgermeister bin ich oft von älteren alleinstehenden Frauen angesprochen worden, die sich eine Seniorenwohnanlage für betreutes Wohnen wünschten. Ich habe mit den Institutionen gesprochen, die solche Einrichtungen betreiben, und immer zu hören bekommen: Ihr seid zu klein, es rechnet sich wirtschaftlich nicht. Das war sehr unbefriedigend. Bürgerinnen, Bürger und die politische Gemeinde haben überlegt, ob wir das nicht auch selbst machen können. Unser Motto war: Anstelle der Familie übernimmt das Dorf den Generationenvertrag. Und was haben Sie dann gemacht? Zunächst haben wir einen Verein als Träger gegründet, dann eine Seniorenwohnanlage gebaut und ein Bürgerbüro eingerichtet, das alles koordiniert: die Nachbarschaftshilfe vor Ort, betreutes Wohnen zu Hause, eine Pflegewohngruppe für stark pflegebedürftige Menschen und eine Tagespflege. Unser Ziel war es, alt werden in vertrauter Umgebung zu ermöglichen. Das geht alles nur mit bürgerschaftlichem Engagement? Nein, wir kooperieren mit unserer ökumenischen Sozialstation. Sie stellt die Pflegefachkräfte; aus dem Dorf kommen die Alltagsbegleiterinnen. Das ist ein Hilfemix von rein ehrenamtlichen Bürgerinnen, geschulten Normalbürgerinnen als bezahlte Alltagsbegleiterinnen und Pflegefachkräften von der Sozialstation. So läuft das seit gut 20 Jahren. Aber dazu muss man die entsprechenden Strukturen schaffen, sonst funktioniert es nicht. Abgerechnet wird das über die Pflegeversicherung und über Eigenanteile der Kunden. Ist das ein Patentrezept? Das Modell eins zu eins übertragen, ist schwierig. Aber ich denke, dass es in jeder Gemeinde möglich wäre. Vielleicht in anderem Umfang. Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren möchten, gibt es in jeder Gemeinde. Ich bin dabei, das in der Stadt Freiburg aufzubauen. In einer Stadt ist das schwieriger, da muss man einen Quartiersbezug herstellen. In Dörfern ist das soziale Netzwerk stärker. Wo stößt bürgerschaftliches Engagement an seine Grenzen? Wir haben bei uns 100 Menschen, die sich engagieren, davon 50 rein ehrenamtlich, 50 bezahlt. Das lässt sich jetzt nicht noch mal verdoppeln. Nicht jeder engagiert sich im sozialen Bereich. Es läuft gut bei uns, aber es gibt Grenzen. Was möchten Sie erreichen? Viele Gemeinden haben sich schon auf den Weg gemacht. Unser Erfolgsfaktor ist, dass politische Gemeinde und Bürger eng zusammenarbeiten und parteipolitische Dinge keine Rolle spielen. In diesem Projekt haben wir alle an einem Strang gezogen. Termin Vortrag „Ein Dorf übernimmt den Generationenvertrag“ morgen, 18.30 Uhr, in der Kulturhalle Waldsee. Eintritt frei.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x