Speyer Die Toten und die Zukunft

Zwei Romane, die unterschiedlicher kaum sein könnten, teilen sich in den aktuellen Bestsellerlisten der Speyerer Buchhandlungen die ersten Ränge: Der eine ist Robert Seethalers „Das Feld“ – eine meditative Porträtserie knorriger Verstorbener, der andere Frank Schätzings rasanter Zukunftsthriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“.

Zu den neuen Blickfängen zählt „The President is Missing“: Der Politthriller erregt vor allem durch seine Verfasser Aufsehen, denn das Schreiberduo bilden Thriller-Autor James Patterson und der ehemalige amerikanische Präsident Bill Clinton. Das kurbelt die Verkaufszahlen an und trägt zur Glaubwürdigkeit des Sujets bei – eine geplante Cyberattacke, Spionage und Verrat in den politischen Führungsrängen der Vereinigten Staaten. Auch neu in den Listen meistverkaufter Bücher ist Michelle Marlys Romanbiografie der Modedesignerin Coco Chanel. „Mademoiselle Coco und der Duft der Liebe“ ist in der Reihe „Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe“ erschienen und gibt eine blumig-duftende Sommerlektüre ab. Eine besonders eindrucksvolle Neuerscheinung legt Bodo Kirchhoff mit „Dämmer und Aufruhr. Roman der frühen Jahre“ vor. In seiner autobiografischen Erzählung taucht er bis in die halbbewussten Jahre seiner Kindheit ein. Dabei lässt er die Leser nicht nur an frühen erotisierten Momenten zwischen einem Jungen und dessen Mutter teilhaben, sondern auch an verstörenden Erfahrungen sexueller Übergriffe durch einen Internats-Kantor. Kirchhoff, dessen vorhergehender Roman „Widerfahrnis“ zuletzt den Deutschen Buchpreis erhielt, erweist sich hier als Meister der Zwischentöne. Eher weicht der Autor aus, umschreibt und fängt schwierige Szenen mit seiner netzartigen Sprache ein, als Dinge beim Namen zu nennen. Damit gibt er sich die Möglichkeit zu einer selbstbestimmten Deutung und Verarbeitung seiner Kindheitserfahrungen. Auch die Autorin Olga Tokarczuk ist dagegen, sich festzulegen. Ihr Roman „Unrast“, der schon vor neun Jahren in deutscher Übersetzung erschien, ist ein literarisches Manifest für ein Leben in Bewegung, eine persönliche Absage an Starrheit, feste Meinungen und Wohnsitze sowie ans Wurzeln schlagen. Im vergangenen Monat erhielt die Polin dafür dem prestigeträchtigen „Man Booker International Prize 2018“. Im modernen Reiseroman „Unrast“ werden Reisende aus dem Flugzeug in Orten und Situationen abgeworfen, an denen Kuriositäten auf sie warten. In ihren sterblichen Körpern, deren Anatomie sich Tokarczuk aufmerksam annimmt, reisen sie vorwärts, rückwärts und seitwärts – nach Kroatien, Sibirien, Paris, Peru und an den Nordpol. Sie verlieren sich in ihren Gedanken und im Labyrinth seltsamer Landkarten, die im Roman abgedruckt sind. „Unrast“ macht Mut zum entdeckenden Reisen und Lust an der Bewegung durch Raum und Zeit.

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