Speyer Die Stunde der großen Verführer

Kaum ein Autor der aktuellen deutschen Literaturszene verführt seine Leser regelmäßig so gekonnt mit Charme, Wortwitz und Authentizität wie Joachim Meyerhoff. Daher ist es nur wohlverdient, dass sein aktueller Roman „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ in diesem Monat in allen vier Bestsellerlisten der Speyerer Buchhandlungen vorkommt.

Damit rangiert der Roman in der Gesamtwertung gleich hinter dem noch größeren Verführer Tyll Ulenspiegel, der allerdings – dank „Tyll“-Verfasser Daniel Kehlmann – auch zu dunkleren Methoden der Verführung greift. Meyerhoff dagegen schreibt wieder über Meyerhoff, wie er es schon in den drei ersten Bänden seiner Memoiren „Alle Toten fliegen hoch“ getan hat. Diesmal treffen den jungen Schauspieler Meyerhoff Amors Pfeile gleich dreifach: Sein Herz schlägt im Nu für die schlagfertige Studentin Hanna, die Lebefrau Franka und die Bäckerin Ilse. So steuert er in eine Gefühlswetterlage hinein, die weder an ihm noch den anderen Beteiligten spurlos vorübergeht. Sie bietet genug Schreibstoff für den kurzweiligen Roman – mitunter auch deshalb, weil der einzelgängerische Erzähler mit einem nicht nachlassenden Gedankenstrom gesegnet – oder verflucht – ist, der zur anregenden Hintergrundmusik der Handlung wird. Andere Melodien erklingen aus dem Überraschungsbuch des Monats: „Die schönsten Lieder“, ein von dem Illustrator Frank Walka zauberhaft bebildertes Kompendium von 166 Liedern, herausgegeben von Christine Busch (wir berichteten ausführlich im überregionalen Kulturteil vom 17. November). Zum Buch gehört auch eine CD zum Mitsingen, und mit Bildern, Tonaufnahmen sowie Noten ist es ist ein Genuss für die Sinne und eine Schatzkiste für gemeinsame Musikabende. Es steht zu vermuten, dass es unterm Weihnachtsbaum oft vertreten sein dürfte. Mit dem Zauber des Musikmachens steckt auch Bachtyar Ali die Leser in seinem Roman „Die Stadt der weißen Musiker“ an. Im vergangenen September erhielt der kurdische Autor dafür den Nelly-Sachs-Preis der Stadt Düsseldorf. Die Handlung beginnt auf einem Flughafen, wo ein bekannter Autor als Alis Alter Ego einen geheimnisvollen, weiß gekleideten Reisenden trifft, der ihn um einen Gefallen bittet. Der Autor möge eine Tüte mit Noten bei einer befreundeten Musikerin in Kurdistan abgeben. Als er sich mit ihr in Verbindung setzt, eröffnet sie ihm den wahren Grund des Auftrags: Sie und eine Gruppe eingeweihter Freunde haben den Autor dafür ausgewählt, die Geschichte des außergewöhnlichen Flötisten Dschaladat Kotr zu erzählen. Als einziger Person ist es Dschaladat je gelungen, in die Stadt der weißen Musiker zu gelangen – und wieder von dort zurückzukehren, um seinen Freunden davon zu berichten. Was brachte ihn in diese Stadt, einen jenseitigen Ort, an dem die Schönheit der Musik fortlebt? Dschaladat und der Autor einigen sich darauf, die Geschichte gemeinsam zu erzählen. Im Laufe des Buches verhandeln sie immer wieder darüber, ob es sich um ein Märchen oder doch eine historische Erzählung handelt – ein erzählerisches Stilmittel von Bachtyar Ali. Sein Roman ist dem magischen Realismus zuzurechnen. Auf fesselnde und zugleich einladende Art verbindet Ali die kurdische Tradition des Geschichtenerzählens mit seinem Anliegen, die historischen Ereignisse in seiner Heimat literarisch festzuhalten und zu verarbeiten. Nach „Der letzte Granatapfel“ ist die „Die Stadt der weißen Musiker“ der zweite Roman des Autors, der ins Deutsche übersetzt wurde. Er übersiedelte in den 80er Jahren aus politischen Gründen wegen Bürgerkriegen und Verfolgung in seiner kurdischen Heimat nach Deutschland. Dort lebt er bis heute und schreibt weiterhin in Sorani, einer im Iran und Irak von acht bis zehn Millionen Menschen gesprochenen kurdischen Sprache. Bachtyar Alis Bücher werden zunächst von begeisterten Anhängern erstübersetzt und dann redigiert – das Ergebnis ist voller Poesie.

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