Speyer „Die Angst macht mir Angst“

Bezeichnet die Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ als mutmachend: Christian Linker.
Bezeichnet die Klimaschutzbewegung »Fridays for Future« als mutmachend: Christian Linker.

Christian Linkers Lesung aus seinem Jugendroman „Der Schuss“ ist die einzige Vormittagsveranstaltung in der laufenden Reihe „SpeyerLit“. Der Autor hält mit seinem Roman ein flammendes Plädoyer für Zivilcourage und gegen Fremdenhass. Ellen Korelus-Bruder hat mit ihm über den Einfluss aufkeimender rechtsnationaler Tendenzen auf Sprache, Kultur und Identität gesprochen.

Herr Linker, Sie befinden sich in den 40ern. Was wissen Sie über die Lebenswirklichkeit Jugendlicher?

Wenn ich einen Roman schreibe, muss ich mich immer in die konkrete Figur hineinversetzen, egal ob sie 17 ist oder 70, ob sie Superkräfte hat, eine Zauberschule besucht oder – wie im Fall von Robin in „Der Schuss“ – ein Ex-Dealer und Schulabbrecher ist. Grundsätzlich denke ich aber schon, dass ich mich ein wenig in jugendlichen Lebenswelten auskenne. Das hilft, wenn man Jugendbücher schreibt. Wann haben Sie begonnen, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen? In der Schule – ich glaube in der neunten Klasse – haben wir die Fernsehserie „Holocaust“ gesehen. Das hat mich sehr bewegt. Damals dachte ich, das sei alles Geschichte. Dann ereigneten sich 1992 die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, ein Jahr später der Brandanschlag von Solingen. Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los. Was macht Ihnen Angst? Die Angst macht mir Angst. Also ich habe Angst davor, irgendwann Angst zu kriegen. AfD, NPD: Die Nähe Ihrer Protagonisten zu aktuellen deutsch-nationalen Parteien ist unüberlesbar. Warum? Um es ganz unbescheiden mit Heinrich Böll zu sagen: Die Ähnlichkeiten sind „weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich“. Wo haben Sie für Ihr Buch recherchiert? Da ich mich seit meiner Jugend mit Rechtsextremismus beschäftige und auch den Aufstieg der AfD sehr ge-nau mitverfolgt habe, musste ich nicht so viel recherchieren. Mein vorheriger Roman spielt im salafistischen Milieu und beim sogenannten Islamischen Staat – dafür habe ich hunderte Stunden im Internet verbracht, aber auch Personen in echt getroffen. Ich blieb trotzdem ein Außenstehender, weil es nicht meine Religion ist, die dort missbraucht wird. Bei „Der Schuss“ war das völlig anders, denn wenn über „Leitkultur“ diskutiert wird, bin ich als Autor natürlich ganz persönlich Teil der Debatte, ob ich will oder nicht. Eine interessante Erkenntnis für mich war, wie ähnlich sich doch Salafismus und Rechtsextremismus sind ... Wer sollte Ihr Buch unbedingt lesen? Alle, die gern spannende Geschichte lesen! Ein Roman ist ja kein Sachbuch, er soll auch gute Unterhaltung sein. Weil die Geschichte aus sehr vielen Perspektiven erzählt wird, können Leser an ganz unterschiedlichen Stellen andocken, sich vielleicht identifizieren oder reiben. Sind Leser nach der Lektüre des Romans klüger als zuvor? Ha, keine Ahnung. Gute Frage. Glauben Sie, dass die Jugendlichen dieser Tage politischer sind als die Ihrer Generation? Na ja, meine Generation gilt schon als ziemlich oberflächlich. Aber ich tue mich schwer mit pauschalen Zuschreibungen. Was ich aber bei heutigen Jugendlichen sehe, macht mir jedenfalls Mut – zum Beispiel aktuell die Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“. Was ist Ihnen wichtiger: Die Lesung oder die daran anschließende Diskussion mit den Zuhörern? Für mich ist das natürlich die Diskussion. Manchmal freue ich mich schon beim Schreiben einer Szene darauf, später einmal mit dem Publikum darüber zu diskutieren. Selbst nach einigen hundert Lesungen kommen immer wieder neue Aspekte zur Sprache, die mich auch in meinem Schreiben weiterbringen. Und was wünschen Sie sich? Ich wünsche mir, dass die Leute sich beim Lesen fragen, was sie anstelle der Figuren tun würden. Durch das Sichhineinversetzen passiert auch eine inhaltliche Auseinandersetzung. Wenn die Leser hinterher merken, dass sie über eine Frage nachgedacht haben, die sie sich so vorher nie gestellt haben, dann habe ich als Autor einen guten Job gemacht. „Der Schuss“ ist 2017 erschienen. Liegt schon ein neues Manuskript in Ihrer Schublade? Mein Roman „Und dann weiß jeder, was ihr getan habt“ ist vor wenigen Wochen erschienen. Im Juni kommt der zweite Band einer Krimireihe für Erwachsene, die ich unter dem Namen Magnus Mahlmann verfasse – übrigens eine Nebenfigur aus „Der Schuss“. Zudem habe ich gerade ein Kinderbuch beendet, das im Frühjahr 2020 erscheint, und jetzt schreibe ich an dem nächsten Roman für junge Erwachsene. Langweilig wird mir jedenfalls nicht. zur Person und Termin — Christian Linker, Jahrgang 1975, hat in Köln Theologie studiert. Neun Jahre leitete er einen katholischen Jugendverband, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei zuwandte. 1999 erschien sein erstes Kinderbuch. Seine Jugendromane wurden vielfach ausgezeichnet. Linker lebt mit seiner Familie in Leverkusen. —Lesung am Donnerstag, 21. März, 11 Uhr, in der Heiliggeistkirche in Speyer.

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