Birkenheide Zum Tode von Ortsbürgermeister Rainer Reiß: Er ist nicht mehr hier

Hemdsärmelig und humorvoll: Birkenheides Ortsbürgermeister Rainer Reiß ist gestorben.
Hemdsärmelig und humorvoll: Birkenheides Ortsbürgermeister Rainer Reiß ist gestorben.

Birkenheides Ortsbürgermeister Rainer Reiß ist tot. Mit ihm verliert das Dorf einen meinungsstarken wie streitbaren Mann. Der 61-Jährige prägte rund drei Jahrzehnte lang das politische Leben im Ort – und ließ sich auch von seiner größten Niederlage nicht unterkriegen. Ein Nachruf.

Meistens auf den letzten Drücker, und manchmal auch ein paar Minuten drüber. Der späte, aber große Auftritt war eines der Markenzeichen von Rainer Reiß (CDU) geworden. In dem Moment, in dem er den Saal betrat und auf seinem Stuhl Platz genommen hatte, schauten die anderen zu ihm. Ganz gleich, in welchem Gremium er vertreten war, ob als Chef im Birkenheider Ortsgemeinderat oder während der quälenden Jahre in der Opposition. Ausgerechnet auf seinem letzten Weg ist Reiß nun aber deutlich zu früh dran.

Knapp 52 Prozent, direkter Durchmarsch gegen zwei Mitbewerber. Dieses Ergebnis beschreibt den wohl größten Triumph von Rainer Reiß und erfüllt ihn mit Stolz. Mit jedem Stimmzettel, der ausgezählt wird, zeichnet sich ab, dass die Menschen in Birkenheide ihm erneut ihr Vertrauen schenken würden. Für Reiß, durchaus auch Machtmensch, heißt das auch, dass die Bürger erkannt haben, dass in den fünf vorangegangenen Jahren einiges schiefgelaufen ist. Dass Reiß wieder antreten würde, war in Birkenheide ein offenes Geheimnis. Allein: Bestätigen wollte es niemand, am allerwenigsten Reiß selbst. Er hielt sich in den Monaten vor der Wahl lange bedeckt, auf der CDU-Liste steht er auf einem der hinteren Plätze. Ganz oder gar nicht. „Wir konnten es nicht öffentlich machen“, sagte Reiß in einem vertrauensvollen Gespräch im Januar 2021, gut eineinhalb Jahre später, „wir wussten auch, dass wir gewinnen würden. Aber wir durften keine Angriffsfläche bieten.“ Am Abend von jenem 26. Mai 2019 steht Reiß vor dem Dorfgemeinschaftshaus und sagt: „Ich bin wieder hier.“

Keine Auseinandersetzung gescheut

Rainer Reiß, Jahrgang 1960, war ein politisches Wesen durch und durch. 1979 begann er, die Junge Union in Birkenheide mit aufzubauen, bis 1985 war er ihr Vorsitzender vor Ort. Nach sechs Jahren als stellvertretender Kreisvorsitzender der Jugendorganisation war Reiß von 1986 bis 1992 Chef der JU für Ludwigshafen-Land. Zwischen 1988 und 1996 war er Mitglied im Landesvorstand der Jungen Union Rheinland-Pfalz. Für die Mutterpartei saß er ab 1989 im Ortsgemeinderat und war Fraktionsvorsitzender der CDU, ehe er 1999 zum Bürgermeister gewählt wurde. Er blieb bis 2014 im Amt.

Politische Auseinandersetzungen hat Rainer Reiß nie gescheut, genauso wenig wie große Vergleiche. Was Hillary Clinton 2016 in den USA erlebt habe, habe er bereits 2014 durchgemacht, sagte der Vater von vier Kindern einmal: „Es war ein Denunzianten-Wahlkampf gegen mich und meine Familie.“ Kurz vor der Kommunalwahl wird eine Sache öffentlich, die da bereits ein Jahr zurückliegt: Weil er gut 70 Euro auf das eigene Konto gelenkt haben soll, wird Reiß wegen Untreue verurteilt. Indem er eine Geldstrafe zahlt, vermeidet er einen Prozess – obwohl er beteuert, nichts von den Vorgängen zu wissen. Für Reiß ist klar, dass es sich um eine Schmutzkampagne handelt, initiiert durch den politischen Gegner. Die Wahl verliert er trotzdem.

2017 steht Reiß erneut vor Gericht, er soll während seiner Amtszeit Unterschriften auf Quittungen für Vereinszuschüsse gefälscht haben. Es geht um 200 Euro. Wieder bestreitet er die Vorwürfe, wieder akzeptiert er eine Geldstrafe. „Das sind die Nachwehen“, sagt Reiß. Die Rolle in der politischen Opposition bleibt für ihn in dieser Zeit befremdlich. Dass andere entscheiden, ist er nicht gewohnt. Er schimpft, er kritisiert, manchmal flüchtet er sich in Polemik. Reiß ist am Boden, doch er kommt zurück.

Immer seinem Dorf verpflichtet

Es gab Phasen, da strebte Reiß nach Höherem. 2005 trat er bei der Wahl zum Bürgermeister der Verbandsgemeinde Maxdorf an, 2006 unterlag er Hannelore Klamm (SPD) als Direktkandidat bei der Landtagswahl. Und doch war er immer vor allem seinem Birkenheide verpflichtet. Grundschule, Feuerwehr, Heimatverein, überall war Rainer Reiß präsent. Kein Fest, an dem er nicht am Grill stand. Keine Kerwe, die er nicht mitfeierte. Keine Prunksitzung der Kraniche, deren Ehrensenator er war, bei der er nicht anwesend war – ob im Ausschank oder im Publikum. Dass er selbst Ziel mancher Pointe wurde, nahm er meist mit Humor. Reiß konnte über sich selbst lachen – und es gefiel ihm, wenn er sich in einer Zeitungskarikatur wiederfand. Großes Engagement, verbunden mit allzu großer Hemdsärmeligkeit, das lieferte dem politischen Gegenüber immer wieder die Angriffsfläche, die Reiß vor seiner Wiederwahl vermeiden wollte.

Er war ein leidenschaftlicher Kämpfer für sein Dorf, der sich gerne mit den übergeordneten Behörden stritt. Meinungsstark wie streitbar. Einer, der um die Ecke dachte, nach Schlupflöchern und Fördertöpfen suchte, um Vorhaben im Ort womöglich doch umsetzen zu können. Denn oft genug waren ihm die Hände gebunden, weil Birkenheide schlicht das Geld fehlte.

Bis zuletzt wurde ihm aber auch vorgeworfen, in Birkenheide wie ein Alleinherrscher zu agieren, nicht den Dialog mit den anderen Fraktionen im Ort zu suchen, ihn gar abzulehnen. Umgekehrt betonte Reiß stets, gute Zusammenarbeit läge ihm am Herzen. Zugleich kündigte er jedoch an, erst einmal den „Scherbenhaufen“ aus den Jahren seiner Abwesenheit an der Ortsspitze zusammenkehren zu müssen. Mit der absoluten Ratsmehrheit der CDU im Rücken machte er Planungen und Entscheidungen rückgängig. „Langsam kommt wieder etwas zustande“, sagte Reiß zu Beginn des Jahres. Es sind Projekte, die er nicht beenden wird.

Am Samstag ist Rainer Reiß nach kurzer, schwerer Krankheit mit 61 Jahren gestorben.

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