Speyerer Umland Rückblick 2021: Katastrophen, Verbrechen – und Menschlichkeit
Entscheidung des Jahres
2140 Otterstadter haben im September mit der Bundestagswahl über das Pionier-Quartier auf Otterstadter Ackerflächen abgestimmt. Die Beteiligung am Bürgerentscheid lag bei 78,5 Prozent. Eine deutliche Mehrheit (73,6 Prozent) sprach sich gegen die Pläne für ein interkommunales Gewerbegebiet mit der Stadt Speyer östlich der ehemaligen Kurpfalzkaserne aus. Das sogenannte „Pionier Quartier“ ist damit aber nicht aus der Welt. Wohn- und Gewerbeflächen sollen auf dem Kasernengelände entstehen. Dort besitzt die Ortsgemeinde Otterstadt das Vorkaufsrecht für eine 3,5 Hektar große Fläche, die auf ihrer Gemarkung liegt. Was mit dem Gelände passiert, soll sich im kommenden Jahr entscheiden. Dann wird auch bekannt, ob die Stadt Speyer den Zuschlag für die Landesgartenschau 2027 erhält. Diese ist in Teilen ebenfalls auf dem ehemaligen Kasernengelände vorgesehen.
Unwetter des Jahres
Die Anwohner der Schwegenheimer Straße in Mechtersheim sind Kummer gewohnt, was Unwetter und deren Folgen angeht. Was sich aber am 8. Juni abspielte, war auch für sie ein Schock. Es regnete in kürzester Zeit so viel, dass das den Hang hinunterschießende Wasser in Gebäude eindrang und sich ein Schlammteppich über die Straße legte. Der Sachschaden ging in die Zehntausende Euro. Etwas Vergleichbares wollte Römerbergs Ortsbürgermeister Matthias Hoffmann (Grüne) nicht noch einmal erleben. Im August sollte daher eine Firma die Lücke in einem bereits bestehenden kleinen Damm hinter den Grundstücken nördlich der Schwegenheimer Straße schließen. Was – wohl aufgrund von Fehlern in der Kommunikation – dort entstand, wird die Ortspolitik auch im kommenden Jahr noch beschäftigen, denn das Bauwerk ist wohl nicht standfest genug und befindet sich zudem zum Teil noch auf Privatgrundstücken, ohne dass das Einverständnis der Eigentümer eingeholt wurde. Bürgermeister und Bauabteilung mussten sich heftige Kritik gefallen lassen.
Prozess des Jahres
Es war ein kalter Tag im Februar, als sich in einem Waldseer Gewerbegebiet ein grausames Verbrechen ereignete. Ob es ein Mord war, darüber muss das Landgericht Frankenthal in den kommenden Monaten entscheiden. Was war passiert? Ein Werkstattbesitzer wurde tot in seinen Geschäftsräumen gefunden. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hat der Angeklagte, zu dem das Opfer geschäftliche Beziehungen hatte, zweimal mit der Armbrust auf den Mann geschossen. Ein Bolzen durchschlug den Brustkorb, ein anderer den Kopf. Anschließend habe der Täter den Werkstattbesitzer, der immer noch lebte, obwohl er in eine Grube gefallen war, weiter malträtiert. Nachdem er diesen mit einem Seil gewürgt habe und ihm eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt habe, sei das Opfer gestorben. Wenige Tage nach der Tat wurde der jetzt vor Gericht stehende Dirmsteiner festgenommen. Mögliches Tatmotiv: ein geplatzter Fahrzeugkauf.
Hilferuf des Jahres
Die Anwohner der Kettelerstraße in Dudenhofen sind verzweifelt. In ihrer Nachbarschaft gibt es ein Gebäude, in dem die Verbandsgemeinde Obdachlose unterbringt. Das wäre an sich noch kein Problem. Aber unter den Bewohnern gibt es einzelne, die Nachbarn terrorisieren. Diese berichteten von regelmäßige Drohungen. Auch ihre Notdurft hätten Männer schon auf den Grundstücken mancher Nachbarn verrichtet. Einmal kam es sogar zu einem tätlichen Angriff. Die betroffenen Anwohner wandten sich an die Politik, doch die musste zugeben, dass sie weitgehend machtlos ist. Die Verbandsgemeinde ist verpflichtet, Menschen eine Unterkunft zu stellen, bevor diese auf der Straße landen. Die Polizei kam, wenn sie gerufen wurde, doch wegsperren kann sie die betreffenden Männer, die offenbar Drogen nehmen und psychische Probleme haben, auch nicht so einfach. Bleibt die Hoffnung, dass ein Sozialarbeiter helfen könnte, doch solche sind „Mangelware“.
Unverständnis des Jahres
Martin Heinz aus Harthausen verstand die Welt nicht mehr. Mitte April untersagte ihm die Kreisverwaltung die Nutzung seiner weit über die Region hinaus bekannten Oldtimer-Werkstatt, die auf Trabis spezialisiert ist. Das Problem: ein fehlender Bauantrag und Brandschutzmängel. Heinz beschwerte sich über unzureichende Kommunikation der Bauabteilung in der Kreisverwaltung. Auch Bürgerbeschwerden über von Heinz in der Nachbarschaft abgestellte Fahrzeuge spielten eine Rolle. Ende Juni durfte er seine Werkstatt wieder öffnen, die Schließung und die Berichterstattung hatten für große Resonanz gesorgt, weil der junge Mann Kunden aus der ganzen Welt hat. Den erforderlichen Bauantrag musste er nachreichen.
Urteil des Jahres
Im Juli endete ein zweieinhalb Jahre dauernder Rechtsstreit zwischen der Ortsgemeinde Lingenfeld und der Kreisverwaltung Germersheim vor dem Oberverwaltungsgericht in Koblenz. Das Gericht urteilte in zweiter Instanz, dass die Spielhalle in der Bahnhofstraße in Lingenfeld rechtens ist. Betreiber ist ein Sohn von Landrat Fritz Brechtel (CDU). Fast 700 Bürger hatten sich gegen das Gewerbe ausgesprochen. Das Oberverwaltungsgericht sah es allerdings nicht als gegeben an, dass die Spielhalle, die knapp unter 100 Quadratmeter groß ist und acht Glücksspielautomaten vorhalten darf, die Situation in dem Wohngebiet verschlechtert. Aufgrund der Corona-Pandemie hatte die Spielhalle in den vergangenen zweieinhalb Jahren viele Monate geschlossen.
Idee des Jahres
Der Walderlebnistag in Hanhofen lockt in normalen Jahren hunderte Familien in den Wald. An zahlreichen Ständen von Forst, Vereinen oder Naturschutzorganisationen gibt es dann viel zu lernen über die Natur vor der Haustür. Nachdem die Veranstaltung bereits 2020 Corona-bedingt ausfallen musste, ließen sich Förster und Ortsgemeinde in diesem Jahr eine Alternative einfallen: ein Walderlebnis-Parcours, den während der Herbstferien Naturfreunde alleine erkunden konnten. Etliche Organisationen machten mit und bereiteten Stationen im Wald vor, an denen es jeweils eine Frage rund um die Natur zu beantworten galt. Wer am Ende das richtige Lösungswort „Der Klimawandel“ auf den Rätselbogen schrieb und diesen in den Briefkasten am Rathaus warf, hatte die Chance auf einen kleinen Gewinn. Wie gut die Idee des Walderlebnis-Parcours ankam, zeigte die Teilnehmeranzahl: 433 Rätselbögen wurden abgegeben.
Temporekord des Jahres
Der Verkehr ist praktisch in jedem Ort im Speyerer Umland ein Problem. Hier zeigen sich die Schattenseiten einer boomenden Region. Die Straßen, insbesondere in den alten Ortskernen, waren einfach nie für die heutige Menge an Fahrzeugen ausgelegt, die diese nutzen. Und dann gibt es noch die vielen Rücksichtslosen, die sich an keine Geschwindigkeitsbegrenzung halten und bei denen vor allem abends und nachts alle Hemmungen fallen, weil sie wissen, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie erwischt werden. Exemplarisch seien die Ergebnisse der Geschwindigkeitsmessungen zwischen Mai und Juli in der Bahnhofstraße in Schwegenheim herausgegriffen. Nur eine Minderheit hielt sich dort an Tempo 30. Einer raste gar mit 110 Kilometern pro Stunde durch den Ort. Die Polizei kontrolliert hin und wieder. Die Ortsgemeinde tut, was sie kann, um durch bauliche Veränderungen dem Raser-Problem Herr zu werden. Immerhin: Schwere Unfälle sind laut Polizei in der Vergangenheit kaum passiert – ein schwacher Trost für die Anwohner.
Spaß des Jahres
Als am 23. Juli das Olympische Feuer im Nationalstadion in Tokio entzündet wurde, startete in Speyer und dem Umland die RHEINPFALZ-Gartenolympiade. An der neunten Auflage – die Aktion findet alle vier Jahre zu den Olympischen Sommerspielen statt – beteiligten sich mehr als 50 Hobbygärtnerinnen und -Gärtner. Sie präsentierten großes und schweres, kurios gewachsenes und exotisches Obst und Gemüse. Sie verrieten ihre Tricks und zeigten vor allem eins: Spaß und Freude an der Gartenarbeit, die in diesem Corona-Jahr eine willkommene Abwechslung war.
Hilfsbereitschaft des Jahres
Die Flutkatastrophe im Ahrtal bewegte auch die Menschen im Speyerer Umland. Zahlreiche Einsatzkräfte von Feuerwehren, DLRG und DRK, aber auch viele Freiwillige fuhren ins Krisengebiet, um den Menschen zu helfen, die Mitte Juli durch die zerstörerische Kraft der Natur alles verloren haben. Die Eindrücke und Erfahrungen nahmen sie mit in die Heimat. Was bleibt, ist, dass auch hier auf allen Ebenen vom Kreis bis zum Land noch einiges getan werden muss, um für eine solche Naturkatastrophe besser vorbereitet zu sein. Auch wenn die Topographie in der Vorderpfalz eine andere ist, als im beengten Ahrtal, ist die Bedrohung durch ein Rheinhochwasser nicht abstrakt, sondern ein jährlich wiederkehrendes Ereignis. Auch dieses Jahr waren die Feuerwehren zwei Mal – im Januar/Februar und im Juli – tagelang im Einsatz, um zu überprüfen, ob das Schutzbauwerk den Hochwassern standhält. Seit Juli ist das Bewusstsein der Bürger noch mal gestiegen, denn das Unglück im Ahrtal hat deutlich gemacht, dass Naturkatastrophen auch direkt vor der Haustür passieren können.