Mutterstadt Kriegsgeschichten: Katharina Mohr überlebte ein Lager in der Batschka
Geboren ist die heute 83-Jährige in Bukin in der Batschka im damaligen Jugoslawien, als Tochter von Landwirt Stefan und Eva Ripsam. Die Batschka ist eine Region auf dem Gebiet von Serbien und Ungarn. Dort hat Katharina Mohr von den direkten Kämpfen im Zweiten Weltkrieg fast nichts mitbekommen. „Das hat sich alles drüben in Serbien und Ungarn abgespielt. Wir sahen nur die Bomber über die Donau wegfliegen und hörten das Bombardement und Artillerie aus der Ferne.“ Sie erinnert sich noch gut daran, wie Hitler 1941 den Balkan besetzte. 1944 seien dann die Russen gekommen, danach die Partisanen der Volksbefreiungsarmee unter der Führung Titos.
Die hätten die Männer, auch ihren Opa Andreas, in ein Arbeitslager deportiert. Zwischen Weihnachten und Neujahr seien dann alle Frauen bis 40 Jahren nach Russland deportiert worden. Darunter ihre Mutter, die etwa zwei Jahre in einem Kohlebergwerk hart arbeiten musste. Dort wurde sie 1946 wegen schwerer Krankheit entlassen und kam über Umwege in die Heimat zurück.
„Am Palmsonntag 1945 haben die Partisanen dann alle Einwohner aus den Häusern getrieben, alle mussten binnen weniger Minuten fertig sein mit dem, was sie von ihrer Habe tragen konnten“, erinnert sich Katharina Mohr. Zu Fuß ging es in eine ein paar Kilometer entfernte Gemeinde. Dort wurden sie in die Häuser der Einheimischen getrieben und wenige Tage später „sortiert“ – nach Arbeitsfähigen und -unfähigen. „Es wurde uns alles abgenommen, nur was wir am Leibe trugen, durften wir behalten“, erzählt sie. Die „Arbeitsfähigen“ blieben im Ort. Die Alten, Kinder und Mütter mit Kindern wurden in Viehwaggons verladen und in der Gemeinde Batschki-Jarek in leere Häuser einquartiert. „Der ganze Ort wurde als Lager eingerichtet, später als Vernichtungslager bezeichnet. Wir durften uns nur innerhalb der Höfe bewegen“, erinnert sich die Zeitzeugin. „Zu essen bekamen wir morgens ein Stück Maisbrot als Tagesration und eine Tasse faule Brühe als Kaffee. Mittags etwas, das eine Suppe sein sollte. Ab und zu schwammen mal Bohnen darin und ein Wurm.“
Leichen in Massengräbern geworfen
Und es wurde schlimmer: „Es gab mal eine ganze Woche lang kein Körnchen Salz, die Leute sind umgefallen wie die Fliegen.“ Das Kleinkind Resie, die Tochter ihrer Tante Rosalia, konnte weder das Brot essen noch die Brühe trinken. „Mein Cousinchen schrie vor Hunger, weinte und wimmerte schließlich. Ich habe sie auf dem Arm getragen, um sie zu beruhigen. Irgendwann war sie still – sie war tot“, erzählt Katharina Mohr von diesem schlimmen Moment in ihrem Leben. Der kleine Körper sei dann in ein Tuch gewickelt, auf dem Bürgersteig abgelegt und schließlich von einem Leiterwagen abgeholt worden. „Die Leichen wurden hinter dem Ort in Massengräber geworfen.“
Aber es gab auch kleine Glücksmomente: Etwa als ihr Bruder Hans ins Lager kam, weil er im Winter in der Landwirtschaft nicht mehr gebraucht wurde. Er konnte sich öfter rauschleichen, um in den Nachbardörfern zu betteln. „Wir hatten große Angst um ihn, denn hätte man ihn erwischt, wäre er erschossen worden.“ Ihre Oma sei dann von einer sehr anständigen Familie als Haushaltshilfe aus dem Lager „rausgekauft“ worden. Sie hatte Kontakte zu Leuten, die Lebensmittel und Nachrichten ins Lager „schickten“. Auch ihr Opa durfte raus aus dem Lager, er hatte Arbeit als Kutscher. Er brachte dann ab und zu auf dem Feld geklaute Kartoffeln mit. Doch irgendwann wurde er krank und mit hohem Fieber ins Lager Jarek gebracht. „Ich habe ihn mit meinen acht Jahren gepflegt und versorgt, seine letzten Worte zu mir waren: ,Kind, was wird aus dir, wenn ich nicht mehr bin?’“, sagt sie ergriffen. Kurz darauf sei er gestorben. Das habe die Enkelin sehr mitgenommen. „Ich habe mich dann aufgegeben und nicht mehr durchgeblickt“, sagt sie.
Auch ihr Vater war großen Gefahren ausgesetzt: Er war Gefangener der Partisanen und wurde als Kutscher für ein Lazarett eingesetzt. „Die waren aber alle sehr gut zu ihm.“ Manchmal hat er sich nachts mit Lebensmitteln ins Lager schleichen können. Ein Junge aus dem Ort hat ihn gelotst. „Ich habe ein Schmalzlicht angemacht, dass er mich sehen konnte. Wir hatten ja kein Stroh und nichts zum Heizen in dem Winter.“ Das Reinschmuggeln von Lebensmitteln stand unter Todesstrafe. Und tatsächlich wurde er erwischt. „Als er dem Kommandanten vorgeführt wurde, habe er ihn gefragt, ob er nicht auch sein Leben für seine Kinder riskieren würde. Darauf sei er freigelassen worden“, erzählt die 83-Jährige.
Familie wieder vereint
So konnte er es in den Wochen danach arrangieren, dass er seinen eigenen Besitz, der inzwischen von einem Bosnier bewohnt wurde, wiederbekommt. Nach vielen Wirren habe er Tochter Katharina nach Hause holen können. Auch die übrigen Familienmitglieder kamen, manchmal auf Umwegen, wieder zusammen. Als sein Vater und Bruder 1948 aus russischer Gefangenschaft heimkehrten, war die Familie wieder vereint. „Wir haben dann wieder ein bisschen was aufgebaut, wollten aber mittels einer Familienzusammenführung nach Deutschland ausreisen zu den Eltern meiner Mutter“, erzählt Katharina Mohr weiter. Die waren ja dorthin geflüchtet. Doch nicht alle durften ausreisen: Ihr Bruder musste erst noch von 1951 bis 1953 seinem Militärdienst leisten. Ende 1955 konnte die Familien endlich von Jugoslawien nach Deutschland kommen. Nach mehreren Durchgangslagern, das erste in Piding bei Bad Reichenhall, ist die Familie 1956 in Mutterstadt angekommen.
Katharina Mohr besuchte danach zweimal ihre einst jugoslawische, nun serbische Heimat. „Einiges hatte sich verändert, die Kirche etwa ist heruntergekommen, aber es war ein sehr schönes Erlebnis“, sagt sie. Anlässlich der Einweihung eines Denkmals in Jarek hat sie die Strapazen vor drei Jahren nochmals auf sich genommen. Und auch diese Fahrt hat sich für sie gelohnt.