Rhein-Pfalz Kreis „Das vergisst man in 100 Jahren nicht“
. Gespannt hören die vielen älteren Herrschaften im sehr gut besuchten Sängerheim des MGV Frohsinn zu, was Leo Scheller vom Museumsverein und Uwe Benkel bereits herausgefunden haben. Bei einigen handelt es sich um Zeitzeugen, die den Absturz als Kinder verfolgt haben – in Rödersheim, Alsheim-Gronau und Niederkirchen. „Er kam aus Richtung Ludwigshafen, geriet in den Suchscheinwerfer und wurde von der Flak heftig beschossen“, erzählt ein Gast. Dann hätten die Motoren aufgeheult und das Flugzeug sei ganz tief über die Dächer geflogen. Brennend. Manche nicken bei den Schilderungen zustimmend. Über den Absturzort gibt es unterschiedliche Ansichten. Sicher war es an der Grenze der Gemarkungen von Rödersheim, Niederkirchen und Deidesheim, sehr wahrscheinlich auf Niederkirchener Gebiet. Von der Neugierde gepackt seien seine Freunde und er mitten in der Nacht losgerannt, um sich die Absturzstelle aus nächster Nähe anzuschauen. Auf halbem Weg hätten sie’s dann aber doch mit der Angst zu tun bekommen und seien erst am nächsten Tag zurückgekehrt, berichtet Altbürgermeister Otto Gerdon. „Wir haben die Reifen aufgeschlitzt, weil sich daraus prima Schleudergummi machen ließ“, verrät er. Dass dort Menschen gestorben sind, sei ihm als Junge erst viel später bewusst geworden. Wieder ein anderer suchte die Stelle mit seinem Vater auf. „Da lag eine halbe Person, das vergisst man in 100 Jahren nicht“, beschreibt dieser Besucher sein Erlebnis. Genau darum geht es den Veranstaltern: die Erinnerungen der Zeitzeugen zu erfahren, sie für die Nachwelt festzuhalten, aus den vielfältigen Schilderungen die gemeinsamen Fakten herauszufiltern. „Denn obwohl der Absturz anscheinend ein wichtiges Ereignis war, gibt es dazu keinerlei Aufzeichnungen in den Archiven“, erklärt Leo Scheller. Entsprechend schwierig habe sich besonders anfangs die Suche nach Informationen gestaltet. Mit Hilfe einiger Zeitzeugen und der Arbeitsgruppe Vermisstenforschung, in der Benkel mitwirkt, haben die Beteiligten inzwischen einiges herausgefunden. Demnach handelte es sich bei dem Flugzeug um einen britischen Lancaster-Bomber mit sieben Mann Besatzung – fünf Briten und zwei Kanadier. Er war von Shellingthorpe in England gestartet und sollte in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 Darmstadt angreifen, zusammen mit 225 weiteren Bombern. Die Auswirkungen des Angriffs zeigt eine Schwarz-Weiß-Luftaufnahme. Zahlen liefert Benkel: 11.500 Tote, 66.000 der 110.000 Einwohner ohne Zuhause. Der bei Rödersheim abgestürzte Bomber sei anscheinend von einem deutschen Nachtjäger angeschossen worden und habe vermutlich versucht, sich nach Frankreich zu retten. „Nur so lässt sich erklären, warum er so weit südlich unterwegs war“, sagt der Experte. Bei dem Fluchtversuch sei die viermotorige Maschine ins Visier der Flakgeschütze geraten, die Ludwigshafen und Mannheim schützen sollten und die ihr wohl den Rest gaben. „Der Bomber schlug vermutlich auf dem Boden auf und zerbrach in viele Teile“, berichtet Benkel über seine Recherchen. Einige Überbleibsel haben die Spurensucher schon zusammengetragen und ausgestellt. Bei den Fundstücken handelt es sich um eine Patronenhülse aus einem der Bord-Maschinengewehre, Aluminiumteile in schwarzer Tarnfarbe und Leitungen. Eine Frau im Publikum hat ein besonders seltenes Stück mitgebracht: die Linse der Bordkamera oder eventuell sogar des Bombenzielgeräts, die 70 Jahre in der heimischen Garage herumlag. Daneben zeigen die Veranstalter einen etwa achtminütigen Lehrfilm der britischen Luftwaffe, der bei einem der verheerendsten Angriffe auf Ludwigshafen und Mannheim entstand. „In dieser Nacht starben 700 Menschen, und 90.000 wurden obdachlos“, informiert Scheller. Lebhafte Erinnerungen werden bei manchen Gästen auch wach, als Benkel den Einmarsch der US-amerikanischen Truppen in der Pfalz und im heutigen Rödersheim-Gronau schildert. „Hängt weiße Tücher auf und kommt aus den Häusern“, gibt ein Mann die Ratschläge seines Vaters wider. Ein anderer weiß noch, wie er mithalf, auf dem Kirchturm die weiße Flagge zu hissen und heilfroh war, dass dieser nicht beschossen wurde wie der in Hochdorf. Der Dritte berichtet, dass der erste Panzer gebrannt habe und von den Soldaten verlassen wurde. „Vorher haben sie die ganze Ausrüstung rausgeworfen, und wir Jungs haben uns die Schokolade geschnappt und gleich aufgegessen.“