Pirmasens „Wir sind keine Prozesshansel“

„Die Pirmasenser Klage gegen das Land ist in keinster Weise parteipolitisch motiviert“, sagt Oberbürgermeister Bernhard Matheis (CDU). Wie mehrfach berichtet, hat die Stadt Pirmasens vor ein paar Wochen Verfassungsbeschwerde gegen den Landesfinanzausgleich vor dem Verfassungsgerichtshof in Koblenz eingereicht. In Kaiserslautern war in der heißen Wahlkampfphase ein Streit darüber entbrannt, ob die ebenfalls hoch verschuldete Fast-Großstadt Pirmasens zur Seite springen sollte. RHEINPFALZ-Redakteurin Claudia Schneider hat darüber mit Oberbürgermeister Bernhard Matheis gesprochen.

Haben sich denn schon andere Städte der Pirmasenser Klage angeschlossen?

Bislang nicht. Aber alle Städte in Rheinland-Pfalz haben ihre Solidarität erklärt. Auf einer Sitzung des Vorstandes des Städtetages im März waren sich alle Oberbürgermeister einig, dass gegen das neue Finanzausgleichgesetz des Landes geklagt werden muss. Weil es trotz zusätzlicher 50 Millionen Euro Landesmittel nur auf den ersten Blick Verbesserungen bringt. Wir haben damals gesagt, Pirmasens kann vorangehen, weil man an unserem Beispiel die Kernprobleme der Finanzierbarkeit staatlicher Aufgaben gut aufzeigen kann. Wir standen da auch unter Druck, weil die Klagefrist 15. April eingehalten werden musste. Das hätte aber genauso gut auch eine andere Stadt wie Worms oder Kaiserslautern sein können, die nach dem neuen Gesetz ebenfalls schlechter als bisher dasteht. Die anderen haben erklärt, dass sie das mittragen, weil unbedingt etwas passieren muss. Also ärgert es Sie ein bisschen, dass der Klage noch niemand beigetreten ist? Ich will das nicht politisch bewerten. Aber da werden insbesondere von der Landesregierung momentan viele Nebelkerzen geworfen. Fakt ist, dass auf der politischen Schiene in Mainz im Moment so getan wird, als seien wir, zusammen mit dem Landkreis Südliche Weinstraße und der Verbandsgemeinde Arzfeld, die ebenfalls als Gebietskörperschaften stellvertretend Klagen eingereicht haben, die Prozesshansel. Aber das stimmt nicht. Es wird so dargestellt, als handele es sich um drei skurrile Einzelfälle. Dabei sind alle unzufrieden. Deshalb wurde ja unsere Klage zwischenzeitlich auch als Musterklage vom Land anerkannt. Wir klagen stellvertretend für die anderen mit. Es geht auch darum Zeichen zu setzen. Dann ist es doch nicht in Ordnung, dass Pirmasens den Kopf hinhält, die anderen nach außen kneifen und am Ende doch alle was davon haben, wenn die Verfassungsklage Erfolg hat, oder? Ich würde es schon begrüßen, wenn sich andere Kommunen ausdrücklich dem Klageverfahren anschließen. So ist beispielsweise der Landkreis Kaiserslautern der Klage des Kreises Südliche Weinstraße beigetreten. Wir haben ja in unserer Klage die Probleme der kommunalen Finanzausstattung aus unserer Sicht herausgearbeitet. Woanders können ganz andere Schwerpunkte bei der Kommunalfinanzierung staatlicher Aufgaben durch die Kommune eine Rolle spielen. Auch aus dieser Sicht könnte es für das Verfahren sehr gut sein, wenn noch andere Defizite aufgezeigt werden. Der Kaiserslauterer SPD-OB argumentiert, eine Musterklage müsse man nicht unterstützen, die CDU dort sieht das anders. Wie sehen Sie das? Wenn Kaiserslautern geklagt hätte, hätte ich mir die Klageschrift angeschaut. Dann hätte ich mit dem Stadtrat darüber diskutiert, ob wir noch weitere Besonderheiten für Pirmasens vor dem Verfassungsgerichtshof vorbringen oder uns aus Solidarität der Klage anschließen. So hätte ich es gemacht, das wird auch noch anderswo passieren, davon bin ich überzeugt. Zumal sich ein Erfolg mit der Normenkontrollklage auf die anderen Städte auswirken würde. Was ist mit der Klageschrift? Die Kaiserslauterer Politik will die haben, wird sie den Pirmasenser Bürgern, die sich dafür interessieren, auch zugänglich gemacht? Natürlich kann die Klageschrift jeder einsehen. Ich kann sie nur nicht rumschicken. Das sind 60 Seiten. Aber jeder interessierte Bürger kann sie beim Rechtsamt einsehen. Aus Kaiserslautern haben mich etliche Anfragen von Fraktionen erreicht, die die Klageschrift haben wollten. Aber das ist nicht mein Stil. Ich habe den persönlichen Referenten des Oberbürgermeisters angerufen und ihm die Klageschrift der Stadt Pirmasens zur Verfügung gestellt. War es richtig zu klagen? Auf jeden Fall. Das aktuelle System treibt die Kommunen bundesweit in den Ruin und in Rheinland-Pfalz ist die Verschuldung der Kommunen mit am höchsten. Deshalb muss mal ein Gericht den Finger heben und sagen, dass es so nicht weitergeht. Inklusion, U3-Betreuung, Schulbuchausleihe - das sind alles noch junge Beispiele dafür, wie den Kommunen neue Aufgaben übertragen wurden, ohne dass vom Land oder vom Bund dafür eine ausreichende Gegenfinanzierung kam. Und hier sind wir bei des Pudels Kern: Das Land entlastet mit einem bescheidenen Beitrag aus eigenen Finanzmitteln von 50 Millionen Euro zwar die Kommunen nach dem neuen Finanzausgleichsgesetz in einem sehr geringen Umfang, zugleich werden aber von Bund und Land den Kommunen neue Aufgaben und Ausgaben zugewiesen, die zu zusätzlichen Haushaltsdefiziten führen. Und die nach meiner Ansicht die zusätzlichen 50 Millionen Euro des Landes pro Jahr für alle Kommunen nicht nur innerhalb kürzester Zeit aufbrauchen, sondern zu einem weiteren dramatischen Schuldenanstieg führen werden. Mit der Konsequenz, dass alles Sparen nichts hilft? Alle Einsparbemühungen bei Personalkosten, Sachkosten, Steuern und Gebührenanpassungen der Kommunen haben in den letzten Jahren diesen Trend nicht brechen können. Wann immer solche Einsparungen auf kommunaler Ebene mit oft großen Kraftanstrengungen realisiert waren, wurden neue kostenträchtige Sozialgesetze und Standards verabschiedet, die den Kommunen weit mehr finanzielle Lasten auferlegt haben, als vorher eingespart und konsolidiert werden konnte. In den gesamten Verhandlungen zur Neuregelung des jetzigen Kommunalfinanzausgleichsgesetzes der kommunalen Spitzenverbände mit dem Land waren keine konkreten Zusagen zu erreichen, diesen Trend auf Dauer zu brechen. Die neuen zwischenzeitlich im Gesetzgebungsverfahren befindlichen oder verabschiedeten Aufgabenzuweisungen an die Kommunen im Bereich von Schulbuchausleihe, U3-Kinderbetreuung und Inklusion lassen erkennen, dass es auf Landesebene nicht die Kraft und den Willen gibt, den Kommunen nach dem Prinzip „wer bestellt der bezahlt“, die Mittel zur Verfügung zu stellen, die für die zugewiesene Aufgabenstellung notwendig sind. Aufgrund dieser auch aktuellen Entwicklung war es notwendig dem Verfassungsgerichtshof in Koblenz die Frage zu stellen, ob auf diese Art und Weise weiter verfahren werden darf. Die Musterklage der Stadt Pirmasens und anderer Kommunen hat deshalb nicht, das zeigen ja gerade die solidarischen Beschlüsse aller Kommunen in Rheinland-Pfalz, parteipolitische Hintergründe, sondern ist ein existenzieller, elementarer Hilferuf der kommunalen Familie. Die Klage gegen das Land ist in keinster Weise parteipolitisch motiviert. Bei einem Regierungswechsel würde ich mit der gleichen Vehemenz gegen die Missstände vorgehen.

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