Interview „Wachsam bleiben ist wichtig“

Bernhard Thurn ist seit 2016 Präsident des Oberlandesgerichts Zweibrücken.
Bernhard Thurn ist seit 2016 Präsident des Oberlandesgerichts Zweibrücken.

Bernhard Thurn, Präsident des Zweibrücker Oberlandesgerichts, hält die Corona-Maßnahmen für angemessen. Im Gespräch mit der RHEINPFALZ sagte er, sollte die Pandemie kein Ende nehmen, müssten weitere Eingriffe in die Grundrechte auf eine andere rechtliche Basis gestellt werden.

Herr Thurn, seit November verlängert die Politik wegen Corona stets die Eingriffe in unsere Grundrechte. Ein Ende ist nicht abzusehen. Kann das denn endlos so weitergehen?
Eine gute Frage. Grundsätzlich sind die Maßnahmen immer beschränkt auf drei oder vier Wochen. Danach muss man stets entscheiden, ob gelockert oder verlängert wird. Verfassungsrechtlich ist es allerdings offen, wie lange das so gehen kann. Eine Ausnahmesituation kann nicht Dauerzustand sein. Wenn absehbar ist, dass die Pandemie kein Ende findet, weil zum Beispiel der Impfstoff nicht wirkt, oder das Virus mutiert, brauchen wir andere Maßnahmen als Rechtsverordnungen. Aber fragen Sie mich nicht, welche das wären. Nur: Irgendwann muss eine Änderung eintreten.

Momentan wird ja alles an dem Inzidenzwert von 50 festgemacht. Aber es gibt immer mehr Stimmen, die sagen, dass so ein Wert bei einer Viruserkrankung im Winter illusorisch ist. Wenn man also das Aufheben von Beschränkungen an eine unmöglich zu erfüllende Bedingung knüpft, hat man doch die Befristung umgangen, oder?
Ab diesem Grenzwert sollen die Gesundheitsämter wieder in der Lage sein, Fälle nachzuverfolgen. Besonders einschneidende Maßnahmen erfordern auch einen höheren Inzidenzwert, wie die 15-Kilometer-Beschränkung bei einem Wert von 200. Je länger die Maßnahmen dauern, umso größer muss auch der Begründungsaufwand für die Maßnahmen sein. Außerdem müssen bei längerer Dauer die Parlamente wieder eingebunden werden. Momentan entscheidet ja im Wesentlichen die Exekutive.

Sie meinen den Rat der Ministerpräsidenten, der zurzeit die Entscheidungen mit der Kanzlerin trifft, und der so im Grundgesetz gar nicht vorgesehen ist. Was könnten die Parlamente denn tun?
Sie hätten die Möglichkeit, die Rechtsverordnungen zu ändern, wenn sie sagen: Das geht zu weit.

Mein Eindruck ist momentan, dass es die Politik mit den Grundrechten nicht so genau nimmt. Da wird der Entzug als normal betrachtet, und wenn wir alle brav sind, bekommen wir die Rechte zurück. Und wenn nicht, wird mit noch härteren Maßnahmen gedroht.
Das ist eine Sache, wie man es auffasst. Ich sehe es eher als Transparenz statt als Drohung. Die Politik muss ja sagen, wie es weitergeht. Ich würde das nicht so negativ sehen. Die Bevölkerung muss wissen, was noch kommen kann.

Für einige Branchen kam es ganz dick. Für Gastronomen, die Kultur und Teile des Handels herrscht praktisch ein Berufsverbot.
Das kann man so sagen. Aber es gibt finanzielle Unterstützung. Und was wäre die Alternative?

Gaststätten und Geschäfte öffnen. 2020 hatte das keine Auswirkungen auf die Zahlen.
Ich glaube schon, dass die Mobilität höher ist, wenn alles offen ist. Es geht ja darum, Kontakte einzuschränken.

Aber ist das noch verhältnismäßig? Wenn beispielsweise die meisten Fälle auf Ausbrüche in Heimen, Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen zurückgehen? Was bringt dann eine nächtliche Ausgangssperre wie sie in Pirmasens der Fall war?
Es ist immer eine Frage nach der Balance. Man muss zwischen Freiheitsrechten der Bürger und den Schutzpflichten des Staates abwägen. Da gibt es viel Ermessensspielraum. Solange die Maßnahmen nicht völlig ungerechtfertigt sind, können sie verhältnismäßig sein.

Gelingt der Politik diese Abwägung?
Nach meinem Eindruck gelingt das gut. Auch wenn Gastronomen, Einzelhandel und Kulturschaffende massiv betroffen sind.

Könnte es da keine Ausnahmen geben? Zweibrücken schrammt eigentlich immer so an der Grenze zum Risikogebiet entlang. Da könnte man die Sache mit den Schließungen doch lockerer sehen, oder?
Das ist eher eine politische Frage. Aber meines Erachtens ist es sinnvoll, die gesamte Region zu sehen. Pirmasens war auch einmal sehr niedrig von den Zahlen – genau wie Sachsen und Thüringen. Das sind jetzt Hotspots (Gebiete mit besonders vielen Corona-Fällen, Anm. der Redaktion).

Im vergangenen Jahr haben wir uns über das gleiche Thema unterhalten. Damals rieten Sie, wachsam zu bleiben und darauf zu achten, dass die Beschränkungen auch wieder zurückgenommen werden. Gilt das jetzt auch?
Wachsam bleiben ist wichtig. Aber ich denke, Regierung und Parlamente haben sich bewährt. Auch die Kontrolle durch die Justiz funktioniert. Immer wieder haben Gerichte an der einen oder anderen Stelle Maßnahmen für rechtswidrig erklärt, beispielsweise bei Verboten gegen die Versammlungsfreiheit.

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