Pirmasens „Mein Gefühl ist bei mir der Regisseur“

Er brilliert mit umwerfenden Erkenntnissen aus seinen Lieblingsthemen Kommunikation zwischen Männern und Frauen, Sex und Alkohol und kitzelt die Lachmuskeln exakt dort, wo sie es am allerliebsten haben – „Viagra fürs Zwerchfell“ steht dann auch unter dem Titel des Comedy-Programms „Wie soll ich sagen...?“, mit dem Jürgen von der Lippe am heutigen Dienstag, 20 Uhr, in der ausverkauften Pirmasenser Festhalle gastiert. Mit dem komischen Universaltalent sprach unser Redakteur Christian Hanelt.

Sie sind gerade mit „Wie soll ich sagen...?“ unterwegs. Ihr wievieltes Solo-Programm ist das eigentlich?

Das kann ich Ihnen jetzt gar nicht sagen. Am Anfang, als noch Vinyl-Platten mit Liedern rauskamen, waren auf denen ja in der Regel zwölf Lieder mit insgesamt noch nicht mal 40 Minuten – also kein komplettes Programm, so wie das heute ist, wo die Programme zwei, zweieinhalb Stunden dauern. Das heißt, man hatte damals Mischformate, in denen ein neues Programm mindestens zur Hälfte ein altes Programm war. In das wurden die neuen Lieder einfach eingearbeitet. Das lief so bis man gesagt hat, dass das nicht geht, denn das Publikum bezahlt ja richtig Geld und hat dann auch das Recht auf ein komplett neues Programm. Ich schätze, dass das jetzt mein 13., 14. oder 15. komplett neues Programm ist – aber genau weiß ich es wirklich nicht. Sie probieren also nicht – wie das manche Kollegen tun – neue Teile im alten Programm aus, um zu sehen, wie sie ankommen? Nein, das mache ich nicht. Aber ich mache ja seit einiger Zeit parallel Lesereisen mit dem, was später in Buchform rauskommt. Und da bin ich jetzt seit einiger Zeit schon mit Manuskripten unterwegs und verändere die dann auch im Lichte der Erkenntnisse der Lesungen. Und bei diesen Lesungen sind dann auch mal ein paar Sachen drin, die nicht ins nächste Buch kommen, sondern ins nächste Bühnenprogramm. Testen Sie die Bühnenprogramme erst aus, bevor Sie damit auf Tour gehen? Nein. Es gibt Kollegen, die machen 20 Vorpremieren in kleinem Rahmen. Ich habe zwei Vorpremieren in Berlin in einem kleinen Theaterchen mit 100 Plätzen gemacht. Und ich habe ein paar Texte auch in einem Mixed-Programm gebracht, wo ich außer Konkurrenz dabei war, um nur die Sprechgeschichten auszuprobieren. Ich habe also drei kleine Testläufe vor der Premiere gemacht. Natürlich ist dann noch nicht alles fehlerfrei – das ist klar. Aber man hat es sich draufgeschafft. Und ich schmeiße dann gleich nach der ersten Premiere die Sachen raus, die nicht reinpassen. Ich habe im Gefühl, was nicht gut genug ist oder was zwar fehlerhaft, aber ausbaufähig ist. Und wenn das Programm dann steht – insbesondere auch vom dramaturgischen Bogen her – dann ändert sich das bis zur letzten Vorstellung auch immer noch. Arbeiten Sie mit einem Regisseur zusammen? Nein. Das machen viele – ich aber nicht. Ich glaube, man tut sich dann einfach nicht so leicht, etwas komplett wegzuschmeißen. Mein Gefühl aufgrund der Publikumsreaktionen ist bei mir der Regisseur. Und ich mache mir da auch nichts vor. Mein Gefühl ist da ziemlich zuverlässig – ich mache das ja schon seit 40 Jahren. Wie viel entsteht an einem Abend spontan – Sie bitten ja auch Zuschauer auf die Bühne? Das ist für mich neu. Ich hatte mir das für dieses Programm vorgenommen, habe mich auch sehr darauf gefreut. Und ich bin jetzt ganz beglückt, dass das so hervorragend funktioniert, obwohl ich da noch in der Optimierungsphase bin. Das ist so ein wenig wie beim Improtheater, wo die Leute auf der Bühne den Eindruck erwecken, dass ihnen das gerade alles eben erst einfällt, in Wirklichkeit sie aber mit sehr geschickt gebauten Versatzstücken arbeiten. Und so ein bisschen mache ich das auch. Das kriegt dann fast etwas von einer Zaubershow, denn Zaubern lebt ja auch von der Vorspiegelung falscher Tatsachen und von der Ablenkung. All das macht mir außerordentlichen Spaß – und den Leuten auch, wenn man mal von dem ersten Moment absieht, wo ihnen natürlich unwohl ist. Dieter Nuhr hat einmal gesagt, dass zu seinen Vorstellungen die Frauen die Karten kaufen und die Männer dann mit müssen. Können Sie das bestätigen? Ich glaube, das ist bei jeder Veranstaltung so, dass die Frauen die treibende Kraft sind und die Männer mitgeschleppt werden. Ich mache da auch eine eigene kleine Show draus, vor allem wenn ich das Glück habe, gegen ein wichtiges Fußballspiel anzutreten. Dann thematisiere ich das am Anfang und ziehe die Männer auf meine Seite, indem ich sage, dass ich jetzt auch lieber das Fußballspiel sehen würde, wir jetzt aber halt das Beste aus dem Abend machen sollten. Was ist der Rote Faden des aktuellen Programms? Ein Roter Faden ist vielleicht übertrieben. Der Titel heißt ja „Wie soll ich sagen...“, und ich erkläre am Anfang, dass es darin sehr häufig um verschiedene Aspekte der Sprache geht – was beeinflusst unsere Sprache oder was sind bestimmte komische Entwicklungen in der Sprache. Wenn ich das jetzt so erkläre, klingt das halb wissenschaftlich, was es aber natürlich nicht ist. Da gibt zum Beispiel Rocker Kalle Lebenshilfe – das ist dann, wenn man so will, eine Parodie auf Lebenshilfesendungen. Oder es gibt ein Lied über den Trend, dass sich Geschäfte aller Art jetzt witzige Namen geben – angefangen bei den Friseuren, die da federführend sind. So gibt es ganz bestimmte Textsorten, die ich aufgreife. In einem großen Saal ist es sicher auch schwieriger, das Publikum einzubinden? Es wäre vielleicht technisch gegangen und früher hat es mir auch nichts ausgemacht, Aber ich denke, es ist auch eine Frage der Energie, die man in den Saal gibt. Und ich bin nun mal keine 40 mehr. Ich merke das zwar nicht in dem Moment, in dem ich auf der Bühne stehe, aber ich merke nach drei oder vier Wochen auf Tour, dass ich einfach ganz schön ausgelaugt bin. Trotzdem ist es für mich nach wie vor der schönste Beruf, den es für mich geben kann. Sie sind ja jetzt in einem Alter, in dem der Normalbürger in Rente geht. Haben Sie daran schon mal gedacht? Nein. Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Unsereins, und damit meine ich alle, die in einem Unterhaltungsberuf tätig sind, ist ja auch irgendwie suchtkrank. Die Psychologie hat ja auch den Fachterminus Histrioniker für uns – vom Lateinischen Histrio, der Schauspieler, also Menschen, die ein bisschen mehr Exhibitionismus haben als andere. So haben wir auch den etwas größeren Wunsch, geliebt zu werden. Das sieht man schon daran, wie viele Abschiedsshows es gibt, ob das nun die „Stones“ sind oder Howard Carpendale. Es ist einfach zu schwierig aufzuhören, wenn man das so lange und so gerne macht. Vielleicht kommt ja mal der Moment, dass man sich etwas zurückzieht. Aber irgendwann kriegt man dann doch wieder den Rappel. Aber haben Sie nicht Angst, den Punkt nicht zu erkennen, ab dem man sich auf der Bühne der Lächerlichkeit preisgibt? Da haben Sie völlig recht – das ist das Risiko. Und wahrscheinlich ist es so, dass man blind dafür wird und man die wohl gemeinten Ratschläge der Freunde nicht hören will. Das ist die Gefahr. Aber nehmen wir mal Dieter Hallervorden. Der ist 75, leitet zwei Theater und spielt in vielen Aufführungen selbst noch mit. Der Mann muss offensichtlich weit mehr als zehn Stücke im Kopf haben. Er ist unermüdlich und ist dabei noch zehn Jahre älter als ich. Von diesen Kollegen gibt es eine ganze Menge. Ich habe kürzlich Norbert Blüm gesehen in irgendeiner Sendung – der ist 80 und noch als Kabarettist unterwegs. Offensichtlich ist es ja so, dass ich als 66-Jähriger oder auch die noch älteren Menschen nichts mehr mit diesen 80-Jährigen von damals als ich Kind war zu tun haben. Für mich als Kind war ein 50-Jähriger schon scheintot. Und die waren damals auch wirklich anders. Sicherlich hat das etwas mit Ernährung und mit dem medizinischen Fortschritten zu tun. Jopi Heesters ist sicher ein extremes Beispiel, aber man konnte sich das tatsächlich noch anhören, was er mit weit über 100 gesungen hat. Sie sind auch wieder mit einer Folge „Geld oder Liebe“ im Fernsehen. Die Jubiläumssendung haben wir abgedreht – das war ganz toll. Doch ganz besonders freut es mich, dass ich wieder zwei Ausgaben von „Was liest Du?“ machen kann. Und ich habe eine Silvestershow aufgezeichnet. „Was liest Du?“ – ist das Ihr Lieblingsbaby? Das ist tatsächlich mein Lieblingsbaby. Und ich habe nie verstanden, warum der WDR die Sendung eingestellt hat, denn sie entspricht ja dem Auftrag des Senders – sie ist ein Mittelding zwischen Unterhaltung und Bildung, hat nachweislich viele Leute zum Lesen gebracht, hat den Büchern was gebracht und die Verlegen haben übereinstimmend gesagt, dass durch die Sendung genauso viele Bücher verkauft wurden, wie dank des „Literarische Quartetts“ – es ist halt eine andere Art von Büchern, was aber letztlich keine Rolle spielt. Wir haben ja nicht nur komische Bücher vorgestellt, sondern das Kriterium war, dass ein Buch interessant sein muss – unter welchem Aspekt auch immer. Eine solche Sendung braucht ja auch einen glaubhaften Präsentator. Sicher kann eine Mainstream-Unterhaltungssendung auch ein junger Mensch machen. Aber für eine Buchsendung braucht man einen ganz anderen Hintergrund. Da muss man sich ein Leben lang mit Büchern beschäftigt haben und ein Gespür haben, wie welche Stelle aus einem Buch funktionieren wird. Und das macht man eben nicht mit 25 oder 30. Da bin ich dann also wirklich gefordert mit meinem Wissen und meiner Erfahrung. Bei „Geld oder Liebe“ dagegen nicht. Wird es „Was liest Du?“ über die zwei neuen Folgen hinaus weiter gehen? Das kann ich nicht sagen. Das hoffe ich aber natürlich, so wie ich auch nie die Hoffnung aufgegeben habe, dass die Sendung überhaupt wiederkommt. Ich werde weiterhin bei jedem Sender nachfragen und werde es vielleicht auch selbst produzieren und dann bei den Sendern anbieten – die Sendung kostet ja nichts. Natürlich ist das ein Nischenprogramm – das ist gar keine Frage, denn das sind alle diese Literatursendungen. Und trotzdem gibt es sie. Es gibt diese Buchsendungen und es muss sie geben, auch wenn sie keine Millionen Zuschauer haben. Bitten nennen Sie drei Gründe, in Ihre Show zu kommen. Der erste Grund ist, dass Sie schwerlich etwas besseres finden werden. Der zweite Grund ist, dass man festgestellt hat, dass nach gelungenen Unterhaltungsveranstaltungen der Wunsch nach Beischlaf um etwa zwölf Prozent steigt – der Besuch also auch im Interesse der Beziehung ist. Und der dritte Grund ist: Ich bin nicht mehr jung, jeder Abend könnte der letzte sein.

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