Pirmasens Max Raabe: „Ich bin gerne undiszipliniert“

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Das zweite Euroclassic-Konzert in Zweibrücken ist eine Premiere für die Stadt und das Festival: Der Sänger Max Raabe kommt, am Flügel begleitet von Christoph Israel, am morgigen Samstag zu einem Solo-Abend in die bereits seit Tagen ausverkaufte Festhalle. Über sein Programm „Übers Meer“, in dem er bekannte, ungehörte und vergessene Lieder der 20er und 30er Jahre singt, sprach Raabe mit Christian Hanelt.

Waren Sie jemals in Zweibrücken, beziehungsweise was sagt Ihnen der Name?

Ich glaube ja. Aber ehrlich gesagt, ist es meistens so, dass ich irgendwohin komme und dann feststelle: „Ach ja, da war ich schon mal“. Ich bin mit Namen sowieso ganz mies. Gesichter vergesse ich nie, aber wenn es zum Beispiel bei Gesellschaften darum geht, jemanden vorzustellen, gerate ich immer in Verlegenheit, weil ich oft nicht weiß, wie die Leute heißen. Wie ist es da mit den Texten Ihrer Lieder? Sie haben ein Repertoire von über 500 Liedern. Wie viele sind Ihnen da präsent? Alle. Deshalb ist in meinem Hirn auch kein Platz mehr für Namen. Ich habe alle Speicherkapazität für die Texte verbraucht. In Zweibrücken treten Sie in einem relativ kleinen Rahmen auf. Ist das Programm entsprechend zugeschnitten? Unser Programm heißt „Übers Meer“. Es geht darin um Lieder, die in Deutschland und Wien entstanden sind; einige auch später auf Zwischenstation in Paris. Es sind Lieder, die recht populär waren, wie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ oder „Dein ist mein ganzes Herz“ – also Lieder, die später auch in den USA populär geworden sind. Diese Lieder sind quasi ihren Komponisten und Textern voraus gereist, die, wenn sie Juden waren und Glück hatten, hinterher reisen und emigrieren konnten. Daher der Titel „Übers Meer“. Es waren natürlich nicht alles Juden, deren Lieder in unserem Repertoire vertreten sind, aber doch schon sehr viele. Gerade die Texter haben oft jüdische Wurzeln. Ich erwähne ihre Namen in den Konzerten, damit die, die mal vergessen gemacht werden sollten, weiter gehört werden. Gibt es eine Verbindung zwischen dem Humor, den die Lieder damals zum großen Teil hatten, und dem jüdischen Humor, der ja doch eine ganz eigene Prägung hat? Eine Pauschalisierung ist da sicher zu einfach. Die Juden standen in den letzten Jahrhunderten hier in Europa fast immer irgendwie unter Drucks. Schon im Mittelalter gab es Hetzjagden und Pogrome. Und damit kann man, glaube ich, wirklich nur umgehen, wenn man Humor als eine Art Notventil entwickelt. So wie alle Bevölkerungsgruppen ihren bestimmten Humor haben: Katholiken sind auch etwas anders drauf als Protestanten. Solche Pauschalurteile sind immer falsch, aber ein bisschen, finde ich, kann man so etwas immer versuchen zu behaupten und dann bei nächster Gelegenheit auch gerne wieder revidieren. Auf jeden Fall ist es so bei den jüdischen Komponisten, die sich nicht aufs jüdisch sein reduziert haben, dass sie in ihren Texten und mit ihrem Humor nun mal in dieser Tradition ihrer Familien standen. Und der zeigt sich eben auch in leichteren Themen, wenn es um Liebe, Eifersucht oder Zusammensein geht. Humor und Ironie findet man in den Schlagern noch bis in die 50er und 60er Jahre. Warum ist das heute in der Musik so selten geworden? Ja, das ist wahr. Popmusik und Ironie schließen sich eigentlich aus. Sie finden keinen Rapper, der ironisch ist. Zwischen Bushido und Helene Fischer spannt sich keine Brücke feiner Ironie. Und das liegt daran, dass alle immer große und wahre Gefühle transportieren wollen. Diese Sachen können sicher auch lustig sein, ironisch aber sind sie selten. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, wie bei jeder Regel. Die Sachen von Udo Lindenberg haben einen wunderbaren Humor. Aber auch er ist eben eine Ausnahme. Ich bilde mir ein, dass die Texte, die wir mit Annette Humpe, Rosenstolz und Achim Hagemann gemacht haben, sehr viel Ironie und Humor haben. Aber ich bin eh eine Ausnahme. Wo finden Sie Ihre Lieder – graben Sie in Archiven auf Flohmärkten? Ja, das war so der Anfang. Dann haben wir Zugang zu den Archiven der Verlage bekommen. Inzwischen gibt es viele Verlage, die sehr gut sortiert sind und ihr Repertoire auch richtig katalogisiert haben. Und wir kennen inzwischen viele Sammler, die uns Aufnahmen zur Verfügung stellen. Und bei Youtube stellen Sammler unheimliche viele Sachen aus den 20er, 30er Jahren ins Netz. Inzwischen können wir aber auch in unseren eigenen Archiven suchen, ganz nach dem Motto „das haben wir ewig nicht mehr gemacht, das könnten wir mal wieder rauholen“. Also am Repertoire mangelt es uns nicht. Im Großen und Ganzen habe ich schon das Gefühl, jetzt fast alles beisammen zu haben. Und deshalb schreiben Sie eigene Lieder? Das habe ich schon immer gemacht. 1992 fing es an mit „Kein Schwein ruft mich an“. Und dann kamen Lieder wie „Klonen kann sich lohnen“ oder „Rinderwahn“. Alle fünf, sechs Jahre ist so ein Stück entstanden. Der Trick dabei ist, wenn man die Sprache nicht versteht oder nicht hinhört, klingt es nach 20er Jahre, aber wenn man auf den Text achtet, weiß man, das Lied ist von heute. Es gibt da immer einen Bruch. Bei „Kein Schwein ruft mich an“ waren es diese brutalen Worte. Inzwischen hat man sich daran gewöhnt, aber damals waren viele Leute geschockt – meine Eltern zum Beispiel. Selbst Punkbands haben solche Worte damals nicht verwendet. Und auf einmal steht da jemand im Frack und verwendet so brutale Ausdrucksweisen – das war der Witz. Bei „Rinderwahn“ war es auch so: Das Stück klingt elegant nach einem Stück der 20er oder 30er Jahre, hat aber eben diesen Bruch. Wenn man heute über Liebe schreibt und über zwischenmenschliche Beziehungen schreibt, fehlt eben dieser Bruch und dann hätte es nach einem alten Stück geklungen. Und das wäre dann ein Etikettenschwindel. Deshalb ist auch die Zusammenarbeit mit Annette Humpe so wichtig gewesen. Man hört die Musik und denkt, „das hat poppige Elemente, das kann nicht alt sein“. So ist es dann weiter gegangen. Annette meinte, wir hätten jetzt über alles geschrieben, ich sollte doch mal die Leute von Rosenstolz fragen. Und dann habe ich auch noch mit Achim Hagemann zwei, drei Nummern geschrieben. So habe ich Leute, die Ahnung von Pop haben und die Spaß daran haben, mit jemandem wie mir, der musikalisch und textlich ganz anders arbeitet und denkt als sie, zusammenzuarbeiten. Die haben dann auch ihren Spaß daran und so entsteht etwas Neues. Das ist also nicht aus der Verzweiflung geboren, sondern aus dem Vergnügen. Sie singen auch Englisch – aber schreiben tun sie nur auf Deutsch? Ich habe schon zwei englische Stücke geschrieben, die aber auch wirklich so klingen, als ob sie in den 30er Jahren entstanden wären. Das liegt aber daran, dass dies für einen Film so gewünscht wurde. Aber sie haben natürlich recht, das ist nicht so meine große Stärke. Das ist das Schöne, wenn man im Ausland tourt merkt man erst mal, was es für ein Vergnügen ist, in seiner Muttersprache vor Leuten zu sprechen, und jede Silbe, jede Pause zu genießen. Das ist doch etwas ganz anderes, als ob man in einer anderen Sprache radebrecht. Sie wirken auf Fotos und auf der Bühne sehr kontrolliert und zuweilen streng. Diese Form, die sie gerade beschrieben haben, hilft mir natürlich auch, in meine Form zu finden. Ich muss nur abends den Frack anziehen, um in meine Rolle zu kommen. Und das hilft mir auch, den Abend zu gestalten. Eigentlich stehe ich ja nur da und singe, der Rest funktioniert im Empfinden der Zuhörer. Was bringt Sie aus der Fassung? Sie sollten mich mal als Autofahrer erleben. Mein Prinzip ist, wer blinkt darf alles. Ansonsten kann ich mich über Unverschämtheiten sehr aufregen. Sie sind staatlich geprüfter Opernsänger, aber haben nie auf einer Opernbühne gestanden. Warum nicht? Gott sei Dank nein. Während des Studiums fing es ja schon an mit dem, was ich heute mache. Ich habe damals mein Studium darüber finanziert. Nach dem Abschluss habe ich zwei Konzerte in der Philharmonie mit Carmina Burana gesungen. Das hat funktioniert. Aber spätestens da habe ich gemerkt, dass das, was ich als Hobby begonnen habe, eigentlich meine Leidenschaft ist. Ich gehe in Konzerte, gehe in die Oper – das finde ich alles großartig, aber im Opernfach gehört schon eine andere Disziplin dazu. Und ich bin gerne undiszipliniert. Und steht es um Ihre Karriere als Schauspieler? Da kann ich nur von mir abraten. Sie singen in Zweibrücken vor rund 700 Zuhörern, sie sind aber weltweit auch schon in größten Säle aufgetreten. Reagiert das Publikum unterschiedlich? Eigentlich ist es überall gleich. Unterschiede gibt es höchstens an den Wochentagen. An einem Montag ist das Publikum schwerer aus der Reserve zu locken. Am Donnerstag und Freitag ist es schon wesentlich leichter, an einem Samstag ist es auch nicht einfach, weil die Leute sagen, „heute ist Wochenende, jetzt muss es einfach toll sein“. Aber es gibt auch da keine Pauschalurteile. Wir spielen in Berlin drei Wochen im Admiralspalast und jeder Tag ist anders. Sie haben bei der Hochzeit des Schockrockers Marilyn Manson gesungen. Wie ist es dazu gekommen? Ich habe ihn selbst gefragt, wie er auf die Idee gekommen ist. Und er sagte, er sei in Moskau gewesen und in jeder Bar, in jedem Restaurant wäre meine Musik gelaufen. Das war zu der Zeit, als wir diese englischen Popsongs gemacht haben, „Oops I Did It Again“ und „Sexbomb“. Diese Aufnahmen waren zu der Zeit in Moskau sehr populär. Und da hat Manson den Barkeeper gefragt, was da läuft. Dann hat er sich Aufnahmen besorgt und gesagt, „wenn Ihr nicht kommt, gibt es keine Musik, und wenn Ihr kommt, dann gibt es nur Eure Musik“. Und so war es dann auch. Wir hatten einen Auftritt von 20 Minuten vor dem Essen. Danach haben die Kollegen nur so zum Vergnügen ihre Instrumente ausgepackt. Das war eine sehr schöne Atmosphäre auf einem Schloss von dem Helnwein in Irland. Das war ein bisschen Halloween für Erwachsene. Manson ist ein wahnsinnig zurückhaltender, höflicher Mensch. Kann er mit einer Gegeneinladung rechnen? Nein. Das steht nicht zur Debatte. Wir haben ja auch keine Kontakte. Es ist nicht so, dass wir in inniger Brieffreundschaft miteinander verbunden wären Was ist für Sie Erfolg? Das man das machen kann, wofür man brennt, und wenn man ein Publikum dafür findet, das nach dem Konzert rausgeht und sagt, „wenn der kommt, gehen wir wieder hin“. Bitte nennen Sie drei Gründe, das Zweibrücker Konzert zu besuchen. Wenn man sich für zwei Stunden aus der Realität reißen lassen möchte, dann sollte man in unser Konzert gehen. Wenn man für feine Ironie und musikalische Raffinesse der Komponisten ein Empfinden hat, dann wird das ein schöner Abend – das kann ich versprechen.

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