Pirmasens Jäger der verlorenen Schätze

Die Jäger der verlorenen Schätze sterben zum Glück nicht aus: Volker Becker gehört als Sänger und Gitarrist zu dieser leider rar gewordenen Gattung, die selbst im Orchideenhain des wahren deutschen Volksliedes noch Exotischeres hervorzaubern und auch einem informierten Publikum Neues und Vergessenes präsentieren können. Mit seinen Volksballaden hat der Kölner am Sonntag in der Alten Kirche in Vinningen ein bemerkenswertes Konzert gespielt.

Die Renaissance des deutschen Volksliedes hatte mit dem „Festival Chanson International“ von 1964 bis 1969 auf der Burg Waldeck bereits ihren ersten Höhepunkt überschritten, als Volker Becker 1969 zur Welt kam. Der Folkboom der 70er Jahre war ebenfalls bereits am abebben, als sich der Kölner Musiker, von der Geige kommend, der (Folk-)Gitarre und dem damit verbundenen Liederschatz zuwandte. Zum deutschen Volkslied, dessen bekannteste Sammlungen wohl „Des Knaben Wunderhorn“ von Clemens Brentano und Achim von Arnim und der „Der Zupfgeigenhansl“, das Liederbuch der Wandervogelbewegung, waren, kam Becker auf dem Umweg über Irland und England. Dort hatte sich die Folkmusik weit besser erhalten, auch durch die „Child Ballads“, die der amerikanische Philologe und Volkskundler Francis James Child unter dem Titel „The English and Scottish Popular Ballads“ herausbrachte und denen auch Bob Dylan so manche Melodie und manchen Songeinfall verdankte. Für Becker war rasch klar, „dass es so was doch auch aus Deutschland und auf Deutsch geben muss“. Gab es. Und sogar in unserer Gegend: zuvörderst beim Pfarrer und Liedersammler Louis Pinck aus dem lothringischen Lemberg, der 1940 in Saarbrücken starb, und bei Franz Wilhelm von Ditfurth und Ludwig Erk. Diese Lieder haben in ihrem morbiden Charme so gar nichts Romantisches, es geht um Leben und Tod, die Plagen, Krieg, Kindsmörderinnen, Vergewaltiger. Wenn ein Mädchen die schneeweise Hand reicht, dann weiß man schon: Die stirbt gleich. Übrigens eine Metapher, die sich auch in vielen englischen Balladen findet, nur ist es dort die „lily-white hand“, etwa in „Black Jack Davey“. Und so greift Becker auf Lieder zurück, die Titel wie „Es war ein reicher Kaufmannssohn“, „Mädchen und Mörder“, „Der Schneider in der Hölle“ und „Kindesmörderin“, „Die Schlangenkönigin“ oder „Eule und Adler“ tragen. Die Motive vom Leben und Leiden der – meist – einfachen Leute, finden sich in der gesamten Folklore Europas, was stark darauf hindeutet, dass es einen regen Austausch gab. Becker hat die Melodien, die er in den Liedsammlungen vorgefunden hat, behutsam modernisiert und trägt sie in jeder Beziehung kompetent mit seinem weit ins Tenor-Register reichenden Bariton vor. Als Sänger ist er ein ausgezeichneter Herold dieser im wahrsten Sinne existenzialistischen Lieder, auch wenn die Textverständlichkeit unter der prekären Akustik der Alten Kirche in Vinningen litt. Besonders angenehm ist, dass Becker auch einen gesteigerten Wert auf gute Arrangements legt. Man könnte diese Lieder auch mit den bekannten Lagerfeuerakkorden runterschrubben – was ja selbst bei gestandenen Folkern keine Seltenheit ist. Becker versteht sich aber darauf, auch in den oberen Lagen der Gitarre mal die Melodie zu doppeln oder Gegenstimmen zu entwerfen. Diese Art der Harmonisierung verweist auf den schwedischen Rokokosänger Carl Michael Bellman, der seine Lieder zur Waldzither vorgetragen hatte, auf der man mit ganz ähnlichen Fingersätzen begleitet. Das war ein rundum gelungener, aufschlussreicher und bewegender Konzertabend mit einem famosen Musikanten.

x