Pirmasens „Ich will dich unbedingt singen hören“

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Zwei Bewerberinnen sitzen stumm nebeneinander. Die Stimmung ist angespannt, obwohl sich die Mitarbeiter des Intensiv-Theaters alle Mühe geben, die Nervosität zu lindern. In wenigen Minuten wird die nächste Kandidatin hereingerufen, um zu zeigen, was sie kann. Es geht um die Produktion des Musicals „Jesus Christ Superstar“, die sich das Intensiv-Theater aus Saarbrücken vorgenommen hat. Das Unternehmen veranstaltet dafür Castings an mehreren Orten, am vergangenen Freitag im Pirmasenser Dynamikum.

Die 20-jährige Laura Marie Reinwarth studiert Biowissenschaften in Kaiserslautern. Das Singen war aber schon immer Teil ihres Lebens gewesen, etwa im Schulchor und bei kleinen Musical-Produktionen. Bei „Jesus Christ Superstar“ würde sie sich die Rolle der Maria Magdalena wünschen. Für das Vorsingen hat Reinwarth, anders als andere Kandidaten, keine Choreografie vorbereitet. Sie hält die Hände vor dem Bauch, konzentriert sich ganz auf ihre Stimme. Das Team um Produzent Tim Ganter unterhält sich freundlich mit ihr, kein Vergleich zu Fernseh-Castings à la Dieter Bohlen. Wäre sie bereit, sich für die Rolle ihre Haare zu färben, die zurzeit in einem leuchtenden Rot schimmern? Das sei kein Problem, sagt die Kandidatin. In naher Zukunft arbeite sie als Model für einen Friseur, danach dürfe das Team mit ihren Haaren anstellen, was es wolle. Die junge Frau lacht. Ganter versichert sich bei jedem Kandidaten, dass diesem bewusst ist, worauf er sich einlässt: Die Gage (100 Euro pro Auftritt) reicht nicht zum Leben, die Proben dauern über drei Monate, es ist eine semi-professionelle Produktion. Es scheint ihm wichtig zu sein, mit offenen Karten zu spielen. Beim Intensiv-Theater soll der Gast im Mittelpunkt stehen. „Das ist unser Credo, unsere Philosophie“, sagt Tim Ganter. Das Kernteam aus Ganter, Regisseurin Jenny Theobald und dem musikalischen Leiter Timo Maul steht am Eingang, um die Gäste persönlich zu begrüßen. Sie wollen für Transparenz und Zuschauernähe stehen. In den Pausen soll es leckere Snacks geben, Ganter will mit Düften arbeiten, um alle Sinne anzusprechen. Isabel Meisen wird hereingerufen, sie ist die nächste von etwa 15 Kandidaten, die sich in Pirmasens vorstellen. „Setz dich erst mal, wir wollen ein bisschen plaudern“, sagt Ganter. Sie sei ein wenig nervös, antwortet die Kandidatin auf Nachfrage. „Dazu gibt es gar keinen Grund“, meint der Produzent und lächelt. Die junge Frau hat Schulmusik und Gesangspädagogik studiert, nun studiert sie in Saarbrücken Operngesang. Im Juli sind die Abschlussprüfungen für den Master. Ob sie sich vorstellen könne, im Chor zu singen, wenn es für eine Hauptrolle nicht reicht, fragt der Produzent. „Ich glaube, eher nicht“, sagt die junge Frau nach kurzem Zögern. Ganter lobt ihre Ehrlichkeit. „Gut, ich will dich unbedingt singen hören“, leitet Ganter die nächste Phase des Castings ein. „I Don`t Know How To Love Him“ aus „Jesus Christ Superstar“ hat Meisen vorbereitet. Nicht nur ihrer Stimme merkt man die professionelle Ausbildung an. Ihre Körperhaltung und -spannung sowie die kleine Choreografie, die sie präsentiert, verraten Training. Der begleitende Musiker scheint sich zu verheddern, die Musik bricht kurzzeitig ab. Meisen überspielt es, doch ihre Anspannung steigt sichtlich. Nach dem Vorsingen bedankt sich das Team, die junge Frau darf gehen. Sie ist unzufrieden mit ihrem Auftritt, der Keyboarder habe sie aus dem Takt gebracht. Seit einem Jahr singe sie bei Castings für Musicals und Opern in Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich und der Schweiz vor. Überall dort, wo die Anfahrt nicht gar so teuer ist. Reise, Unterkunft, Essen muss die junge Sängerin selbst zahlen. „Es heißt, man braucht im Durchschnitt 40 Castings, bis es klappt. Ich bin jetzt bei 20.“ Manchmal sei es frustrierend. „Es ist eine Frage der Einstellung. Man macht entweder immer weiter, oder man gibt auf.“ Es sei wichtig, nicht zu schüchtern rüberzukommen. „Man muss auf der Bühne stehen und denken ,Ich bin die Geilste`“, sagt Isabel Meisen und grinst. Inzwischen ist ein neuer Bewerber bei den Juroren. Oder vielleicht doch nicht: Als Darius Merstein-MacLeod loslegt, ist schnell klar, dass hier ein Profi steht. „Ich nehme an, du willst nicht wirklich bei uns mitmachen“, sagt Ganter und lacht. Nicht als fester Schauspieler, antwortet Merstein-MacLeod. Aber er habe das Stück schon zweimal gespielt, in beiden Hauptrollen. Er sei gekommen, um das Team kennenzulernen und seine Hilfe anzubieten. Seit 30 Jahren steht der Sänger auf der Bühne. Die dreimonatigen Proben zu „Jesus Christ Superstar“ könne er nicht mitmachen, er fasse aber gerne mit an, wenn Bedarf besteht, beim Gesangtraining der Darsteller, bei der Umsetzung der Ideen für die Bühnengestaltung oder notfalls als kurzfristige Zweitbesetzung. Das Team freut sich über die unerwartete Unterstützung. Die Schauspieler werden zwar schon jetzt ausgewählt, die Proben beginnen aber erst im September. Die Aufführungen sind für den Winter geplant. Auch in der Pirmasenser Festhalle soll das Stück gezeigt werden.

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