Pirmasens „Ich schätze Hildebrandts spielerische Radikalität“
Seit Mitte des Jahres 2013 beschäftigte sich Dieter Hildebrandt mit seinem letzten Programm, „Kommen Sie zum Schluss, Hildebrandt!“ und schrieb dazu im Oktober 2013: „Die Zeitgenossen, die ,Zeit und Politik’ gestalten, sind inzwischen reihenweise aus der Kurve geflogen. Ganze Parteien sind untergegangen. Mit Mann und Mäusen. Die Mäuse aber bleiben ihnen. Keiner fällt sozial ungeschützt aus dem Boot. Sollte der ein oder andere aber tatsächlich verarmen, öffnen sich Aufsichtsräte, Universitäten oder andere Versorgungskanäle. Es ist alles beim Alten geblieben. Und ich melde mich geziemend zurück.“ Dazu kam es nicht mehr, weil der Großmeister des deutschen Kabaretts am 20. November 2013 starb. Trotzdem gibt es sie, die „Letzte Zugabe“ – live auf der Bühne beim Festival Euroclassic am Freitag, 11. September, 20 Uhr, in der Pirmasenser Festhalle. Walter Sittler, den Hildebrandt nicht nur als vielseitigen und facettenreichen Schauspieler, sondern auch für sein politisches und soziales Engagement schätzte, verleiht diesen letzten Gedankenblitzen Hildebrandts so viel Authentizität, dass der Meister da oben wohl seine helle Freude dran hätte. Über die „Letzte Zugabe“ sprach unser Redakteur Christian Hanelt mit Walter Sittler.
Das waren die beiden Kästner-Abende, die so gut liefen in Pirmasens. Welche Erinnerungen haben Sie sonst noch an Pirmasens? Als wir einmal da waren, hatte das Theater gerade nagelneue Vorhänge bekommen – elektrisch. Bei meinem Auftritt ging aber nur einer dieser Vorhänge auf. Und da war die Dame vom Kulturamt, die das wirklich sehr gut macht. Es ist schon etwas besonders, mit einer solch engagierten Frau zu arbeiten, die sich mit einer beeindruckenden Hingabe um die Kultur kümmert. Das waren sehr schöne Abende in Pirmasens, weshalb ich nur gute Erinnerungen an die Stadt habe. Ich weiß aber auch, dass es der Stadt wirtschaftlich nicht sehr gut geht, aber da ist sie ja in bester Gesellschaft. Und ich erinnere mich an ein unglaublich gutes italienisches Lokal. Wie kam es dazu, dass Sie als Schauspieler ein kabarettistisches Programm auf die Bühne bringen? Das erste Mal war das bei einem Abend zu Ehren Hildebrandts. Da sind die ganzen Kabarettisten aufgetreten und ich als einsamer Schauspieler habe Hildebrandts Texte gelesen und alle haben gedacht, „der hat ’nen Vogel – was macht der da?“. Aber es hat so gut funktioniert, dass ich gefragt wurde, ob ich nicht Hildebrandts Buch als Bühnenprogramm machen will, weil Hildebrandt das ja nicht mehr kann. Ich war aber der Ansicht, man kann Hildebrandt nicht „machen“ – er ist einzigartig. Ich habe mich dann aber breitschlagen lassen und es vor einem Jahr im Schlossparktheater in Berlin aufgeführt. Und das hat sehr gut funktioniert, woraufhin ich mir ein Programm zusammengebaut habe aus dem Buch und ein paar anderen Sachen von Hildebrandt. Ich bin selbst überrascht, dass das geht – vielleicht deshalb, weil ich eigentlich eine Verbeugung vor Hildebrandt mache. Ich möchte, dass sein Geist und die Art, wie er Dinge gesehen hat und damit umgegangen ist, belebt wird. Haben Sie Dieter Hildebrandt persönlich kennengelernt? Kennengelernt habe ich ihn leider nie. Als ich von Random House gefragt wurde, das Buch einzulesen, habe ich mich noch gewundert, habe dann aber gehört, dass sich Dieter Hildebrandt sehr für die politische Angelegenheit im Zusammenhang mit Stuttgart 21 interessiert hat. Und da ich mich ja da auch sehr engagiert habe, was ihm gefallen hat, war ich ihm ein Begriff. Und mir hat es einfach auch gut getan, von jemandem wie ihm gesagt zu bekommen, dass mein Engagement gegen Stuttgart 21 so falsch nicht gewesen sein kann. Was haben Sie an Hildebrandt geschätzt? Ich schätze Hildebrandts spielerische Radikalität, mit der er die Sachen zu Ende denkt und dabei immer den kleinen Bürger im Auge hat, der die Politik erleidet und dem er klar machen kann, was da passiert und dem er auch die skandalträchtigsten Dinge so sagen kann, dass man begreift, mit welcher Normalität wir angelogen werden – richtig angelogen werden. Wobei das mit dem Lügen so eine Sache ist. Ich fürchte manchmal, dass einige unserer Politiker tatsächlich glauben, was sie sagen. Das ist das Problem, denn damit lügen sie von der Definition her ja nicht, sondern sind einfach nur bescheuert oder so verwoben in Interessenskonflikte, dass sie gar nicht mehr sehen, was sie eigentlich machen. Und da hat es mir an Hildebrandt gefallen, dass er versucht hat, Licht ins Dunkel zu bringen, ohne als Rechthaber dazustehen. Recht zu haben interessierte ihn gar nicht. Ihn interessierte es, hinter die Dinge zu sehen, sie auseinanderzunehmen, zu sezieren. Leidet man aber nicht auch als Kabarettist, der Jahr ein, Jahr aus mit seiner Kritik durchs Land zieht, von den Besuchern Applaus bekommt, letztlich aber doch alles beim Alten bleibt? Ja bestimmt. Vielleicht sind ja deshalb die echten Komiker auch so melancholisch und so gar nicht witzig. Und ich glaube, dass es manchmal schwierig ist, das auszuhalten – andererseits ist es ihr Beruf. Rezitieren Sie frei, oder gestalten Sie den Abend eher als Lesung? Ich mache es so wie er, ich komme mit einem Stapel Papiere und setze mich an einen Tisch mit einem Glas Wasser und einem Mikrofon und fange an. Das meiste lese ich, ein paar Sachen sind frei. Hinten ist die Bühne schwarz und rot angeleuchtet, so dass die, die Hildebrandt kannten, möglichst nah an das Erlebnis herankommen können, das sie mit ihm hatten, denn ich bin ja nicht wie er – niemals. Kommen Sie sich so ganz allein auf der Bühne nicht manchmal verloren vor? Nee – ich bin ja nicht allein, ich habe ja Hildebrandt immer bei mir. Und wenn man den dabei hat, ist alles gut, der ist so schlau und so gewitzt und hat auch diesen besonderen Humor – das ist einfach wunderbar. Sie spielen Theater, drehen Filme und sind mit Lesungen unterwegs. Muss man heute als Schauspieler so vielseitig sein, um zu überleben? Es kommt darauf an, wie sich das berufliche Leben entwickelt hat. Ich kenne Kollegen, die wären froh, wenn sie so viel zu tun hätten wie ich. Ich muss das nicht alles tun, aber ich habe das Glück, dass es lauter schöne Sachen sind, die letztlich ja alle in dem Bereich meines Berufes liegen. Ich kenne natürlich auch Kollegen, die machen so viel sie nur können, weil sie überleben müssen. Schauspieler zu sein, ist für die meisten Kollegen kein Zuckerschlecken. Mir geht es gut – ich bin da wirklich privilegiert. Gibt es bei aller Vielseitigkeit etwas, was Sie bevorzugen? Das Theater ist meine berufliche Heimat – das ist gar keine Frage. Wenn ich ein schönes Stück vom Theater bekomme, setze ich alles dran, es auch zu spielen. Aber vom Theater kommt nicht ganz so viel, weil bei den etablierten Theatern die Proben- und Vorstellungszeiten so sind, dass ich das mit anderen Sachen nur schwer koordinieren kann. Info Karten für „Letzte Zugabe“ gibt es für 19, 21 und 24 Euro im Pirmasenser Kulturamt, Telefon 06331/842352.