Pirmasens Der gefräßige Drache

Ein Bagger also bedeutet das Ende. Ziemlich groß, ziemlich schwer und überhaupt ziemlich imposant. Er passt sich seinem Gegenüber an, steht vor dem ehemaligen Hotel Matheis. Nicht mehr in leuchtendem Gelb, wie er mal war, sondern verdreckt, abgenutzt, verbraucht. Ganz so wie das Objekt, das er erobert, um es niederzureißen. „Ein stattlicher viergeschossiger Bau, klassizierende Reformarchitektur, teilweise Jugendstildekor“, heißt es im rheinland-pfälzischen Verzeichnis der Kulturdenkmäler. Das war einmal, das Matheis ist heruntergekommen, schlichtweg fertig. Deshalb kommt es weg. Die Hydraulikschläuche wandern wie dicke, schwarze Adern am langen Hals des Baggers entlang, hin zur tonnenschweren Schere an dessen Ende. Immer wieder senkt sich der Kopf, bohrt sich in die bröckelnde Fassade. Die Gelenkbolzen sehen aus wie Augen – und wenn der Kiefer sich schließt, knackt und ächzt es. Er beißt zu, unerbittlich und immer wieder, Eisenträger brechen unter dem Druck mehrere Hundert Tonnen wie Salzstangen. Der gefräßige Drache hat Hunger. Er zermalmt Beton und Backsteine, durch einen Schlauch sprüht er Wasser, um den Staub zu binden. Der hungrige Drache speit Feuer auf sein Opfer, während er es verschlingt. „Schade drum“, sagen die, die sich den endgültigen Niedergang des Matheis vor Ort anschauen. Der Abriss hat eine kleine Völkerwanderung in Pirmasens ausgelöst, jeden Morgen stehen viele Menschen an den Bauzäunen und auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Straße ist nicht gesperrt, es gibt keine Sprengung, keine Lastwagenkolonnen. Der zum Schandfleck gewordene Palast verschwindet leise und häppchenweise im Maul des Drachen. Es ist ein Geduldsspiel, die Arbeiten scheinen mühsam, gehen langsam voran. Solch eine massive Bausubstanz hatten wohl auch die Bauarbeiter nicht erwartet. Sind sie erst einmal beim Altbau, dessen Grundstein 1909 gelegt wurde, dürfte es einfacher werden. Nach jedem Abschnitt wird mit dem Schutt der Keller des Hotels verfüllt, damit die schwere Baumaschine wieder näher an das Gebäude heranrücken kann. Dachziegeln fallen zu Boden, schwere Betonbrocken hängen an den Stahlseilen, der Drache kappt sie mit einem kräftigen Biss. Schon von der Brücke am Bahnhof ist die Großbaustelle zu sehen. Ein halbes Dach, herausragende Holzbalken, die Spitze des Kranwagens, der die Schutzmatte in die Höhe hält, um das angrenzende Kulturforum Alte Post vor herunterfallenden Trümmerteilen zu schützen. Eine solche Baustelle gab es in Pirmasens seit der direkten Nachkriegszeit nicht mehr, sind sich die Beobachter sicher. In den ersten Tagen lag eine Staubkuppel über dem Ort des Geschehens, es riecht mineralisch. Es ist Betonstaub, der in die Nasen der Zuschauer steigt. Wehmut mischt sich in ihre verstaubten Erinnerungen. „Früher, ja früher sind wir gern zum Essen und Tanzen ins Matheis gegangen“, sagen die älteren Zuseher – in der großen, frei tragenden Hotelhalle des Neubaus. Damals, in der Blütezeit der Stadt, als die Straßen voll waren, war das Matheis das beste Haus am Platz. Nun gibt der Abbruchbagger Blicke in das Innere des Hotels frei, Rohre und Leitungen quillen wie Gedärme aus dem offenen Körper heraus. Vor dem eigentlichen Abriss wurde das Gebäude entkernt, Asbest und Dämmstoffe entfernt. „Das Gebäude ist sauber“, sagt der Bauleiter. Und auch der Schutt wird feinsäuberlich getrennt und zeitaufwendig sortiert. Trockenbauelemente aus dem Inneren, das Holz vom Gebälk, Beton – das Matheis ist in seine Bestandteile zerlegt. Dort, wo in Zukunft ein großer Freiplatz zum Verweilen einladen soll, spielt der Baggerfahrer mit einem Stahlträger Riesenmikado. „Man hätte halt Geld in die Hand nehmen müssen“, sagen die Pirmasenser und zucken mit den Schultern, um das Hotel Matheis zu retten und zu sanieren. Über 100 Jahre stand es in der Stadt, vor 13 Jahren, im Februar 2001, wurde es für 50.000 Deutsche Mark veräußert. Bis heute sind das 4938 Tage. Viel Zeit für den Besitzer, etwas zu tun. Passiert ist nichts. Ein älterer Mann, der oft zum Schauen an der Baustelle ist, sieht eine interessante Parallele. „Ich vergleiche das Matheis gerne mit dem Kunz in Winzeln“, sagt er, „das ist gewachsen, während das Matheis zerfallen ist.“ Er zeigt auf die mit Holztafeln verbarrikadierten Fenster. Zeugnis der Zeit, als das Hotel Auffangbecken für allerlei Gestalten war. Punks und Dealer waren willkommen, die Polizei war nicht gern gesehen, hatte keinen Zutritt. „Das Kunz wächst weiter“, sagt der Mann mit leerem Blick, „und das Matheis?“. Der gefräßige Drache beißt wieder zu.

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