Pirmasens Das etwas andere Real-Book
Das war originell: Die „Ewood Brothers“ aus Öhringen bei Heilbronn haben sich bei ihrem Konzert am Sonntagabend in der evangelischen Kirche Erlenbrunn mal nicht auf den Katechismus der Jazzer, das Real-Book, verlassen, sondern haben mit ihren gelungenen Jazz-Interpretationen von Liedern aus dem evangelischen Gesangbuch neue alte Töne gefunden.
Eigentlich seltsam, dass derlei nicht häufiger zu hören ist – gerade von Jazzmusikern. Schließlich hat der Gospel im Heimatland des Jazz ja einen ganz beträchtlichen Einfluss auf diese Musik gehabt, auch wenn die zu Anfang eher in Tingeltangeln gespielt worden ist. Auch ein Ray Charles hat seinen originellen Soul direkt aus dem Gospel heraus entwickelt, was zu Anfang ja etwas ganz Unerhörtes gewesen ist. Ewald Schumacher (Bass), Rick von Bracken (Saxophon, Tasten), Hans Pollmächer (Gitarre) und Gerd Göpfahrt (Schlagzeug) – die „Ewood Brothers“ – sind zuallererst mal gestandene Jazzer, die sich voll und ganz der Ursprünge ihrer Musik bewusst sind und sich der ketzerischen Verbindung von „Teufelsmusik“ und „alterwürdiger deutscher Kirchenlieder“ trotzdem bereits in zwei CD-Produktionen genähert haben. In Erlenbrunn stand das Programm von „Jazz Gesangbuch“ aus dem Jahre 2012 im Mittelpunkt. Aus dem letzten Jahr stammt die CD „Jazz Gotteslob“. Behält man weiter im Hinterkopf, dass gerade Johann Sebastian Bach als der erste Jazzer gilt, ist der Weg zu den Gesangbuchliedern – meist aus dem 17. und 16. Jahrhundert – noch viel kürzer. An der Qualität der Melodien von „Die güldene Sonne voll Freud und Wonne“, „Geh aus mein Herz und suche Freud“, „Lobe den Herren“ oder „Großer Gott, wir loben dich“ gibt es nichts zu deuteln, zumal sie auch bei jenen (noch) im Ohr sind, die der Kirche längst den Rücken gekehrt haben. Zugegebenermaßen haben sie aber ihren allgegenwärtigen Status als Volkslieder längst eingebüßt, was andererseits auch einen Reiz des Wieder-Neuen befördern mag. Die harmonisch alles andere als einfältigen Vorlagen sind natürlich bestes Futter für Jazz-Arrangeure – in diesem Falle Ewald Schumacher und Rick von Bracken – die aus dem Material bruchlos verwertbare Jazz-Harmonien, Akkordprogressionen und Voicings entwickeln können. Der Rückgriff auf dieses Material ist schlicht auch eine willkommene Erweiterung des üblichen Repertoire-Kanons. Neu-Rhythmisierungen als Reggae, Samba, 6/8-Walzer und Swing ergeben sich bei den „Ewood Brothers“ wundervollerweise ganz natürlich, als gehörte das so. Das Wort „verjazzt“ hatte ja mal eine durchaus abfällige Konnotation. Gut, dass man das heute anders sieht. Gut auch, dass die „Ewood Brothers“ eine sauber und kompakt aufspielende Kombo sind, der man höchstens zu Last legen mag, dass sie sich hinter ihren Noten verbarrikadiert. Nach Noten zu spielen ist – vielleicht mit Ausnahme eines Big-Band-Zusammenhangs – eines Jazzers eigentlich unwürdig. Ein Zwölf-Nummern-Programm kann man immer im Kopf behalten. Jazz ist Risiko und mit Gottvertrauen schafft man wohl auch die Gesangbuchlieder ohne Noten. Trotzdem ein sehr ansprechendes Konzerterlebnis mit originellem Repertoire, das beträchtlich mehr Zuhörer verdient gehabt hätte.