Pirmasens Als der wilde Bär davonläuft
Großes Interesse fand der Stationen-Lauf „Zum Tor hinaus“ am Samstag. Gästeführer Rainer Schnur berichtete, dass sich rund 100 Jahre nach dem Tod des Landgrafen Ludwig IX. an der Ecke Buchsweiler Straße, Höhstraße und Landauer Straße im Lachmeyer’schen Haus die „Restauration zum Storchen“ befand. Am 1. Oktober 1901 sei dort wegen des großen Postaufkommens durch die Schuhindustrie das „Postamt 3“ eröffnet worden, im Volksmund „Storchenpost“ genannt.
Nach dem Krieg zog das Postamt um in die Landauer Straße neben die ehemalige Sparkassen-Filiale; der Name „Storchenpost“ wurde übernommen. Weiter ging es zum Walhalla-Kino, dessen Fassade seit seiner Eröffnung durch Heinrich Ohr im Jahr 1913 unverändert geblieben ist. Der „Komet“ habe es damals als „phänomenales Prachtkino“ bezeichnet; es sei das größte Kino in der Pfalz und das schönste in Süddeutschland gewesen. Es habe 1000 Zuschauer gefasst, die Stummfilme wurden von einer Kapelle begleitet. Auch Modeschauen und Theateraufführungen hätten darin stattgefunden, so Schnur. Im Jahre 1930 sei die Umstellung auf Tonfilm erfolgt. Bis 1994 sei es von der Familie betrieben worden; seine Blütezeit jedoch habe das Kino in der 1950er Jahren erlebt. 2007 sei es grundlegend renoviert und 2009 und 2011 die Technik digitalisiert worden. Heute ist es das einzige Kino in Pirmasens. Laut Gästeführer Michael Gaubatz wurden im 1884 errichteten Saalbau ab dem Jahre 1915 Rekruten untergebracht und im Zweiten Weltkrieg Westwallarbeiter. Nächste Station: Volksgarten. Er sei um die Jahrhundertwende ein beliebter Biergarten von 7600 Quadratmetern gewesen. Er war im Jahre 1888 von Louis Semmler erworben worden. Das heutige Gasthaus „Luigi“ sei das Wirtschaftsgebäude gewesen; daneben ein geräumiger Stall für die Tiere der Landwirte, außerdem ein Konzert- und Versammlungssaal, Kegelbahn, Musikpavillon, Vogelhaus und Kinderspielgeräte. Den Eingang zur „Brauerei Semmler“ hätten zwei Löwen geziert, die heute auf dem Schlossplatz stehen. Die Halle sei 1934 in das Eigentum der Stadt übergegangen und 1939 durch einen Neubau ersetzt worden. Erst im Jahre 1952 habe sie den Namen „Festhalle“ erhalten. Während des Nationalsozialismus wurden im Volksgarten Juden versammelt, bevor sie abtransportiert wurden. Gästeführer Klaus Brenner erzählte über das um das Jahr 1840 erbaute „Gasthaus zum Weißen Bär“ in der Spitzkehre Lemberger und Landauer Straße folgende Anekdote: Der Wirt habe einen wilden Bären auf die Fassade gemalt haben wollen. Weil er sich aber mit dem Bezahlen geziert habe, habe der Handwerker Wasserfarben verwendet. Als der Bär nach einem Regen weg war, habe der Maler erklärt: „Du wolltest doch einen wilden Bären und keinen zahmen.“ 1982 wurde der „Weiße Bär“ abgerissen. Der Wegweiser ist ein Denkmal aus der Landgrafenzeit. Gästeführerin Johanna Render berichtete am alten Krankenhaus, dass es im Jahre 1883 nach neunjähriger Standortsuche erbaut, mehrmals angebaut und im Juni 1990 vom Altenheim St. Anton am Messplatz übernommen wurde. Weiter ging es zur ältesten Schuhfabrik, der im Jahre 1848 Ecke Horeb-/Löwenbrunnenstraße von Peter Kaiser gegen den Widerstand seines Vaters gegründeten Schuhfabrik. Er lieferte Schuhe in Fässern nach Amerika. Nach dem Krieg bezog die Firma das Siemensgebäude in der Lemberger Straße. Gästeführerin Christel Glaser berichtete über die im Jahre 1908 von der Familie Loeser im Jugendstil und Historismus erbaute Villa Loeser: Sie hatte florale Muster in den Fenstern, Stuckarbeiten, farbige Tapeten, zwei Kachelöfen, Wintergarten, grüne Tonziegel , Zwiebeltürmchen und zwei Tennisplätze. Seit 2001 habe sie leer gestanden und sei langsam verfallen. Derzeit wird sie vom neuen Eigentümer, der Firma Gemora, renoviert. Die gegenüber liegende Villa Sertel sei im Jahre 1921 vom Architekten Uhl als Wohnhaus des Schuhfabrikanten Sertel im Jugendstil erbaut, 1996 verkauft und restauriert worden, Seniorenwohnungen wurden angebaut. Bereits im Jahre 1899 habe der Stadtrat Philipp Keitel den Bau eines Bades beantragt, so Glaser über das Plub. Doch der Stadtrat habe abgelehnt. Erst 1928 konnte der Bau im Bauhausstil begonnen werden, nachdem bereits 1924 ein Schwimmverein gegründet worden war. Die Fresken im Vorraum stammen – wie die in der Turnhalle der Husterhöhschule - von dem Landauer Maler Hermann Croissant. (arck)