Rheinpfalz Wenn Körper und Seele leiden

Sie gehen offen mit ihrer Erkrankung um, um anderen Mut zu machen und Gesunde zu sensibilisieren: Die Gruppen-Sprecherinnen (ste
Sie gehen offen mit ihrer Erkrankung um, um anderen Mut zu machen und Gesunde zu sensibilisieren: Die Gruppen-Sprecherinnen (stehend) Verena Schank und Bianka Schmeer mit Mitgliedern. Nicht alle sind auf dem Bild.

«SÜDWESTPFALZ.» Die Damen haben an diesem Montagabend etwas zu feiern: Ihre Selbsthilfegruppe Lipödem besteht seit einem Jahr. Einmal im Monat treffen sie sich, in unterschiedlicher Gruppenstärke. Es sind Frauen aus dem Landkreis Südwestpfalz, aber auch aus dem angrenzenden Saarland. Angeregt hat die Gründung der Gruppe Anke Dörr; sie ist seit 2018 als Fachärztin für plastische und ästhetische Chirurgie am Nardiniklinikum Zweibrücken angestellt. Und sie hat sich vorgenommen, das Lipödem öffentlich ins rechte Licht rücken. Denn ihrer Meinung nach wird diese Erkrankung oft viel zu spät diagnostiziert oder gar als Adipositas fehlinterpretiert, womit Patientinnen mögliche Therapien vorenthalten würden. Auch die psychische Belastung durch die Erkrankung sollte nicht unterschätzt werden, gibt sie zu Bedenken. Auf Diät bis zur Bulimie Verena Schank ist ihre Patientin und Mitinitiatorin der Selbsthilfegruppe. Dass sie an einer krankhaften Fettverteilungsstörung leidet, die sich wie bei vielen anderen vor allem an den Beinen zeigt, hat sie erst vor drei Jahren erfahren. Dass etwas nicht stimmt mit ihrem Körper, weiß sie aber schon seit der Pubertät. Sie sei schmal gewesen, erzählt sie, aber ihre Beine hätten irgendwann nicht mehr zum restlichen Körper gepasst. Ab dann habe sie gedacht, sie sei zu dick. Sie fängt an, exzessiv Sport zu treiben, Diäten zu machen – bis hin zur Bulimie. Doch an den Beinen nimmt sie nicht ab. Und dann kommen dort Schmerzen hinzu, zeitweise, dann permanent. Das sei wie ein Brennen an der letzten Stufe, beschreibt sie es – am Ende einer sehr langen Treppe. Damit geht sie schließlich zum Arzt. Doch dort hört sie: Vermutlich habe sie zu viel Sport getrieben und überhaupt, sie sei zu dick. Doch die Schmerzen lassen nicht nach – und dann, blickt sie zurück, „hört man auf, bestimmte Dinge zu tun“. Zum Beispiel Sport. Der Einstieg in einen Teufelskreislauf. Den Ausstieg ermöglicht ihr Jahre später ein Zufall: Wegen Krampfadern sucht sie eine Venenarztpraxis auf – und dort hört sie den Begriff Lipödem zum ersten Mal. Hätte sie das früher erfahren, sagt die 38-Jährige heute, „es wäre mir ein Teil der Hölle erspart geblieben“. Die Hölle hatte viele Gesichter: die Ungewissheit darüber, was nicht stimmt mit dem Körper; jahrelange Schmerzen bei noch so kleinem Druck und ohne Aussicht auf Besserung; zunehmende Einschränkungen im Alltag; verletzende Bemerkungen und sprechende Blicke. Dass es keine lebensbedrohende Krankheit ist, sei ihr bewusst, sagt sie. Doch was Lipödem von anderem unterscheidet, ist die auffällige deformierende Veränderung des Körpers. Und dafür gibt’s kein Mitleid. Im Gegenteil. Was Verena Schank besonders weh tut: Dass ihre Tochter darunter leidet. Denn auch in der Schule bleiben Bemerkungen über die Mutter nicht aus. Mit OP zu neuem Lebensgefühl Heilen lässt sich die Krankheit so einfach nicht. Schwergängige Kompressionshosen und -ärmel sollen zwar Linderung bringen, Schmerzen bleiben jedoch meist. Als erfolgversprechender gilt die Liposuktion (Fettabsaugung), bei der das krankhafte Gewebe operativ entfernt wird. Diese Eingriffe, meist ist es mit einer OP nicht getan, bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen in der Regel aber nur im Einzelfall. Verena Schank, die noch an weiteren Erkrankungen leidet, erhielt eine Zusage. Und seit der OP, sagt sie, habe sie keine Schmerzen mehr. Für sie war das ein neues Lebensgefühl: alleine schon, sich setzen zu können ohne Schmerzen. Warum die OP nicht längst eine Kassenleistung ist, kann sie nicht verstehen: „Das ist keine Schönheits-OP“, betont sie immer wieder. „Es geht darum, die Schmerzen zu beseitigen.“ Daniela hat die Operation am Ende selbst bezahlt. Der Leidensdruck war zu groß. Seit zwölf Jahren hat sie die Diagnose Lipödem. Auch bei ihr fing es in der Pubertät an, der richtige Ausbruch sei dann nach der Geburt ihres Kindes gekommen, berichtet sie; die Hormonumstellung könnte dazu beitragen haben. Ihre Oberschenkel seien plötzlich extrem aufgeblasen und druckempfindlich gewesen. Mit der Diagnose Lipödem bekam sie dann eine Kompressionshose auf Maß. Selbst hat sie sich schon lange einer disziplinierten Lebensweise verschrieben: Seit Jahren ernähre sie sich fast kohlenhydratfrei, treibe drei- bis viermal pro Woche Sport, berichtet sie, Spinning, Pilates und Schwimmen. Einige Kilos wurde sie zwar los, aber nicht die Schmerzen. Selbst einfache Haushaltsarbeiten fielen ihr immer schwerer. Ein Antrag auf eine OP wurde dennoch von der Krankenkasse abgelehnt. Ende 2018, erzählt sie, habe sie dann den ersten Eingriff an den Beinen gehabt. Seitdem sei sie schmerzfrei. 3600 Euro hat sie für eine OP bezahlt. Nicht gerade wenig. Aber dennoch fast günstig, meint sie – im Verhältnis zu den Folgekosten im weiteren Krankheitsverlauf. Zu den rund 800 Euro im Vierteljahr für die Kompressionshose kämen ja noch Kosten für Begleiterscheinungen hinzu. Zum Beispiel für orthopädische Probleme. In absehbarer Zeit hätte sie ein neues Kniegelenk gebraucht, das dann die Kasse wohl bezahlt hätte. Mut sammeln in der Gruppe Auch Bianka hat von ihrer Kasse bereits eine OP-Ablehnung erhalten. Jetzt will sie es noch mal versuchen. Was sie nicht logisch findet an dem ganzen System: Nachdem sie einmal sehr viel abgenommen hatte, wurde ihr das Absaugen einer verbliebenen „Fettschürze“ genehmigt – nicht aber das Entfernen des für sie schmerzhaften Lipödems. Hoffnungen setzen die Frauen auf den Vorstoß des Gesundheitsministers, eine OP im Katalog der gesetzlichen Kassen aufzunehmen. Wünschen würden sie sich aber, dass dies nicht nur für das dritte und letzte Krankheitsstadium gilt, also nach einer meist langen Leidenszeit. Nicht stoppen kann die Selbsthilfegruppe dieses Leiden unter Schmerzen und Aussehen. Aber dort gibt es medizinische Informationen und persönliche Tipps, gesunde Rezepte und gute Zuhörer. Und die Gruppe macht Mut. Gemeinsam waren sie zum Beispiel bei der Wassergymnastik im Schwimmbad, was die Damen als echte Wohltat beschreiben. Gemeinsam lassen sich dann auch die Blicke anderer besser aushalten. Kontakt Verena Schank, Telefon 0151-11191320. Zur Serie —Von Alzheimer bis Zöliakie: Die Bandbreite der Selbsthilfegruppen in der Südwestpfalz ist groß. In unserer Serie „Geteiltes Leid“ stellen wir in lockerer Folge einige vor. Am 9. Mai erschien der Bericht über die Selbsthilfegruppe für Stoma-Träger.

Schmerzbefreit: eine operierte Patientin.
Schmerzbefreit: eine operierte Patientin.
Schmerzbehaftet: eine nicht operierte Lipödem-Patientin.
Schmerzbehaftet: eine nicht operierte Lipödem-Patientin.
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