Pirmasens „Singe nicht immer nur von mir“

Ian Anderson, Gründer und Frontmann von „Jethro Tull“, beim Konzert vor sechs Jahren in der Zweibrücker Westpfalzhalle.
Ian Anderson, Gründer und Frontmann von »Jethro Tull«, beim Konzert vor sechs Jahren in der Zweibrücker Westpfalzhalle.

„So viele 50th-Anniversary-Tourneen gibt es nicht mehr“, sagt „Jethro Tull“-Mastermind Ian Anderson zu seiner seit 2018 andauernden Werkschau mit allen Hits von „Living In the Past“ über „Locomotive Breath“ bis „Too Old To Rock’n’Roll, Too Young To Die“, die am morgigen Sonntag auch auf dem Vorplatz der Saarbrücker Congresshalle live zu erleben ist. Seit der Gründung der Band 1968 verkaufte „Jethro Tull“ über 60 Millionen Tonträger, spielte 22 Studio-Alben ein und absolvierte unzählige Tourneen. Christof Graf unterhielt sich mit „Jethro Tull“-Boss Ian Anderson.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Lieder für Ihre Konzerte aus?

Es gibt weit über 300 „Jethro-Tull“-Songs – die unveröffentlichten, die hin und wieder auf den remasterten Boxsets erscheinen, gar nicht mitgerechnet. Wir können also durchaus aus einem großen Repertoire schöpfen, was ich auch sehr liebe. Und dass ich dann gerade für die Jubiläums-Tour Songs aus Alben wie „This Was“, „Stand Up“, „Benefit“ oder „Aqualung“ auswähle, versteht sich, denn letztendlich erwarten die Leute auch, dass das alles irgendwie fester Programmbestandteil ist. Kein Künstler geht auf eine Bühne mit der Absicht, sein Publikum zu enttäuschen. Wie wirkt dieses Jubiläum auf Sie? Normalerweise habe ich es ja nicht so mit Geburtstagsfeiern, aber zu diesem besonderen Anlass springe ich ausnahmsweise über meinen Schatten. Was wir in unserer Frühzeit an Repertoire auf die Beine gestellt haben, ist ein Schatz, dessen ich mir einschließlich all der damit verbundenen Erinnerungen sehr wohl bewusst bin. Deshalb freue ich mich, gemeinsam mit meiner Band zu einem nostalgischen Abend mit vielfältiger Musik einzuladen. Jedes unserer Konzerte wird ein Spiegelbild meiner Art des Komponierens sein, die sich in ständiger Veränderung befindet. Ständige Veränderung sagt man auch Bob Dylan nach, der um die 3000 Konzerte allein auf der sogenannten Neverending-Tour seit 1988 gespielt hat. Wie wichtig sind Kontinuität und Veränderung? Sehr wichtig. Beides sind sowohl die Antriebsfedern für künstlerisches Schaffen wie auch für das Leben schlechthin, weil der Mensch beides einfach zum Leben braucht. Die tatsächliche Kunst ist es, ein funktionierendes Gleichgewicht zu schaffen, und das muss jeder für sich selbst finden. Wie wichtig war es, dass Dylan 2016 den Literaturnobelpreis erhalten hat? Es ist gut, dass ihn jemand aus dem Genre der populären Künste erhalten hat. Außer Bob Dylan fällt mir allein schon aufgrund der Anzahl seiner Werke und seiner Bedeutung niemand ein. Lange Zeit mochten Sie Journalisten keine Interviews geben. Was hat sich daran geändert? Kaum einer fragt etwas, was noch nicht über „Jethro Tull“ bekannt ist. Bevor ich also jedem Journalisten immer wieder die gleichen Frage beantworte und das für mich superlangweilig ist, erzähl ich ihm erst einmal, was ich zu sagen habe. Sollte er es dann noch schaffen, mich in meinem Redefluss zu unterbrechen, ist seine Zeit um, oder aber er schafft es, mich in ein wirkliches Gespräch zu verwickeln. Einige Ihrer Alben firmieren nicht als „Jethro Tull“, sondern wie Ihr siebtes Solo-Album „Homo Erraticus“ als ein Ian-Anderson-Album. Warum? Die Band hat mittlerweile unzählige Besetzungswechsel hinter sich. Aber „Jethro Tull“ ist lan Anderson und lan Anderson ist „Jethro Tull“. Das war schon immer so. Alles, was mit „Jethro Tull“ zu tun hat, zumindest rockmusikalisch und sich urheberrechtlich auf Nordamerika und Europa beziehen lässt, bin ich – lan Anderson. Im Laufe der Jahre gab es über 30 Musiker, Kollegen und Freunde und auch Familienmitglieder wie zum Beispiel sein Sohn am Schlagzeug, die dabei halfen, mein musikalisches Werk zu verwirklichen, was die verschiedenen Bandgefüge erklärt. Jethro Tull war seinerzeit eine Berühmtheit und er war ein Pionier der Landwirtschaft. Jethro Tull erfand seinerzeit die Drillmaschine, die die Landwirtschaft zu Beginn des 18. Jahrhunderts revolutionierte. Was mir für ihn leid tut ist, dass, wenn man nach ihm googelt, lediglich ich und die Band erscheinen. Ich fühle mich dabei schlecht, jemandem seine Identität genommen zu haben. Dafür würde ich mich am liebsten bei ihm entschuldigen. Ich habe keine große Freude mehr daran, Alben nur noch als „Jethro Tull“ zu veröffentlichen, ich möchte dem wahren Jethro Tull wieder etwas an Persönlichkeit zurückgeben. Infos —Im Vorprogramm spielt Albert Hammond seine Hits von „It Never Rains in Southern California“ bis zu „Free Electric Band“. —Einlass zu dem Konzert am Sonntag auf dem Vorplatz der Saarbrücker Congresshalle ist ab 17, Beginn um 19 Uhr. —Karten gibt es ab 58,25 Euro unter anderem bei www.eventim oder unter www.garage-sb.de.

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