Pirmasens Schmetterlinge, Langeweile und die Sehnsucht nach Feuer

Didier (Roberto Guerra) und Karine (Petra Kleinert) liefern sich heftige Wortgefechte, trennen sich, um sich letztendlich wieder
Didier (Roberto Guerra) und Karine (Petra Kleinert) liefern sich heftige Wortgefechte, trennen sich, um sich letztendlich wieder zu begehren.

Bist du glücklich?, fragt Éric Assous seine Figuren in dem Theaterstück „Auf dünnem Eis“ und rüttelt damit deren scheinbar heile Welt aus den Fugen. Am Samstag erweist sich das Stück als wahrer Publikumsmagnet im Dahner Otfried-von-Weißenburg-Theater. 250 Gäste amüsieren sich köstlich über den Spiegel, der ihnen vorgehalten wird, und freuen sich, Petra Kleinert hautnah zu erleben, die seit der Fernsehserie „Mord mit Aussicht“ als Heike Schäffer Publikumsliebling ist.

Ein starkes Stück und überzeugende Schauspieler sorgen für einen intensiven und höchst unterhaltsamen Abend im Dahner Otfried-von-Weißenburg-Theater. Autor Éric Assous erzählt in einer Art Kammerspiel davon, wie ein Paar Clint Eastwoods „Brücken am Fluss“ schaut und die Frau daraufhin aus der Ehe aussteigen will, weil sie sich durch den Film bewusst wird, dass sie keine Schmetterlinge mehr im Bauch hat und ohne dieses Kribbeln nicht weitermachen will. Mit dieser Ansage treibt sie ihren bis dahin selbstbewussten Mann schier in den Wahnsinn. Hollywood hebt die Ehe von Karine (Petra Kleinert) und Didier (Roberto Guerra) aus heiterem Himmel aus den Angeln, weil sie sich auf die Suche nach einer Seifenblase macht. Die Theorie und Methode des Autors ist einfach: Film- und Fernsehwelten durchdringen den Alltag vieler Menschen. Die Zuschauer und ihr Leben werden in Frage gestellt, weil sie gegen fiktive Liebe, Lust und Leidenschaft meist keine Chance haben. Genau diese Situation nimmt Éric Assous als Grundlage für sein Theaterstück, in das er Dialoge einfließen lässt, die er in der Realität aufgeschnappt hat. Diese „wahren“ Worte fließen in seinen Text, der sich so zu einer Art dokumentarischem Theater verdichtet. Da nutzt es auch nichts, wenn Guerra alias Didier seine Frau daran erinnert, dass es sich nicht lohnt über eine Begebenheit zu diskutieren, die es überhaupt nicht gibt. Doch sie hegt fortan hollywoodianische Gefühle, auch wenn ihr Lover arbeitslos ist. Dabei fallen unendlich viele Fragen und Bemerkungen, die wir alle kennen und die beide par excellence ad absurdum führen und sie zur Höchstform auflaufen lässt: Vernunft versus Gefühl, Risiko versus Langeweile, doch am Ende siegt die Liebe. Weil, als sie sich fast verloren haben, sie sich endlich wieder begehren. Mit Schmetterlingen im Bauch und ganz ohne Langeweile. Ein brillanter Regieeinfall ist, die hochemotionale Karine ihre Gefühle mit trockener Miene kommunizieren zu lassen, während der vernünftige Didier immer mehr aus der Fassung gerät und sich zu heftigen Gefühlsregungen hinreißen lässt. Ja, Regisseur Holger Berg, der das Stück als deutsche Erstaufführung für die Theatergastspiele Fürth inszenierte, hat leichtes Spiel bei dieser hervorragenden Besetzung: Das kraftvolle Spiel der Petra Kleinert kombiniert mit der Mimik eines Roberto Guerra, der herrliche Grimassen schneiden kann. Wechselnde Kostüme, um Zeit abzubilden, oder ein Bühnenbild ist bei der starken Bühnenpräsenz der Schauspieler unnötig, ja fast störend. Am stärksten wird das gesprochene Wort, wenn die beiden einfach auf der Coach sitzen, hitzig diskutieren, und sich ihre Emotionen und Gefühle in den Gesichtern widerspiegeln. Wenn physische Bewegung ins Spiel kommt, rutscht ihr Spiel gar ansatzweise in den Klamauk. Und Éric Assous hat nicht umsonst zweimal den französischen Prix Molière als bester zeitgenössischer Gegenwartsautor bekommen. 2014 wird sein Werk mit dem Großen Preis der Académie Française für sein dramatisches Werk ausgezeichnet. Der Autor verfügt über eine meisterliche Beobachtungsgabe, durch die sich jeder im Publikum früher oder später angesprochen fühlt. Weil das, was auf der Bühne passiert, echt wirkt. Und genau das macht den Abend im Otfried-Weißenburg-Theater aus. Das Stück berührt persönlich und das Publikum lacht oder leidet gerade deswegen ständig mit. Es geht nicht um Gags und Schenkelklopfen, es geht um Dinge, die jeder kennt, und die von den Schauspielern intensiv umgesetzt werden. Das Dahner Publikum genießt den Abend in vollen Zügen und hat auch genug Gelegenheit, begeistert zu applaudieren zwischen den sechs Aufzügen – und natürlich zum Ende hin. Die Macher der Dahner Sommerspiele haben ein glückliches Händchen bewiesen, Petra Kleinert und Roberto Guerra nach Dahn zu holen. Die Premiere der Dahner Sommerspiele zeigt sich als voller Erfolg.

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