Pirmasens „Ich bin wohl zweimal durchs Energiefeld gelaufen“

Die Aufnahme vom 13. April 1968 zeigt Studenten, die während eines Ostermarsches unter dem Motto „Fünf Minuten Verkehrsruhe für
Die Aufnahme vom 13. April 1968 zeigt Studenten, die während eines Ostermarsches unter dem Motto »Fünf Minuten Verkehrsruhe für Vietnam« den Dalbergplatz in Frankfurt am Main blockieren

Männer trugen ihre Haare lang, Frauen ihre Röcke kurz. Gemeinsam gingen sie auf die Straßen der Republik, um sich für ihre politischen Ziele einzusetzen. Der Zeitgeist war links im und nach dem „Rebellenjahr“ 1968. Was der gemeine Südwestpfälzer allenfalls aus dem Fernseher kannte, hat Karola Streppel hautnah miterlebt: die Studentenrevolte Ende der 60er Jahre.

1969 hatte Karola Streppel ihr Studium in Frankfurt a. M. aufgenommen, einer der Hochburgen der Studentenunruhen. Streppel war mitten drin. „Es war eine Welt, die ich so nicht kannte“, erinnert sich die 68-Jährige. Im Elternhaus und in der Maria-Ward-Schule in Mainz hatte sie eine stark christlich geprägte und humanistische Bildung genossen. Als sie dann an die Uni Frankfurt kam, musste sie feststellen, dass weder die Schule noch ihr Zuhause sie auf zentrale Themen jener Zeit vorbereitet hatten: den Vietnam-Krieg, die Diktatur des Schahs von Persien oder die Nationalsozialisten in Nachkriegsdeutschland. „Ich war ein gutgläubiges Kind und fühlte mich von Lehrern und Eltern auf diese Themen nicht vorbereitet“, sagt Streppel. In Frankfurt – Streppel studierte Sozialkunde und Germanistik – war sie plötzlich mittendrin in dieser Welt, auf die sie nicht vorbereitet war. Konfrontiert mit Fragen, die eine ganze Generation beschäftigten: Was haben wir gelernt aus dem Zweiten Weltkrieg? Welche Perspektiven gibt es für Länder der Dritten Welt? Gibt es eine Alternative zum kapitalistischen Wirtschaftssystem? „Es waren bewegende und schwierige Themen“, denen sich Streppel zunächst von linksaußen her näherte. Sie schloss sich einer maoistischen Strömung an, die erkunden wollte, „ob man es besser machen kann, als es in Russland gelaufen ist“. Sie habe Fehler gemacht, auch gravierende, beschreibt sie heute ihr damaliges politisches Engagement. Heute weiß sie: „Es gab viele Übertreibungen.“ Was sie damals gelernt hat: Besser als mit studentischen Zirkeln lässt sich politisch etwas erreichen mit breiten Bündnissen. Damit begann ihr Weg zu den Grünen und deren Ideen wie Basisdemokratie, Gewaltfreiheit oder Umweltschutz. Im Jahr 1979 kam Karola Streppel als Lehrerin nach Pirmasens. „Ich war richtig froh, aus Frankfurt herauszukommen“. Nach den „geballten politischen Auseinadersetzungen“ in der Mainmetropole freute sie sich auf die „grüne, ruhige Stadt“ in der Südwestpfalz. Nur: Ruhig blieb es nicht lange. „Ich hatte noch nicht die Koffer ausgepackt, als in einer Monitor-Sendung über das Giftgaslager in Fischbach berichtet wurde“. Streppel gehörte daraufhin zu den Gründern einer Initiative gegen das Giftgaslager. Später war es der Atomunfall in Tschernobyl, der auch in Pirmasens die Gemüter erregte. Und Streppel war immer mittendrin. „Ich bin wohl zweimal durchs Energiefeld gelaufen, als Kind und in der Studentenbewegung“, erklärt sie ihr ungebremstes Engagement, das sich bis heute fortgesetzt hat. Mit Blick 50 Jahre zurück auf die 68er ist ihr Fazit ambivalent. Da ist zum einen die Überzeugung, dass das, was die verschiedenen Strömungen der Studentenbewegung bewirkt haben, ganz entscheidend war für die weitere Entwicklung in Deutschland. Und da ist zum anderen ein Stück Ernüchterung, wenn sie auf die aktuelle Politik schaut, weil viele Probleme noch die gleichen sind wie damals: Kriege, Umweltzerstörungen, soziale Ungerechtigkeiten, Ausbeutung der Dritten Welt. Und bis heute gebe es keine befriedigende Auseinandersetzungen damit, wie es zu der Nazi-Diktatur und den beiden Weltkriegen kommen konnte. Selbst wenn dagegen heute keine Studenten mehr auf die Straßen gehen, die jungen Leute nimmt sie in Schutz: „Es gibt viele Junge, die die Welt kritisch sehen“, sagt Streppel und erinnert an die Attac-Aktivisten, die sich für eine sozial und ökologisch gestaltete Globalisierung einsetzen, oder Aktivisten von Occupy, die gegen die Macht der Finanzmärkte demonstrieren. „Ich wollte heute nicht mehr jung sein“ sagt Streppel ob der Probleme, die die Welt heute in Atem halten. Mein 68 Welche Erinnerungen haben Sie, liebe Leser und Leserinnen, an die Studentenproteste vor 50 Jahre. Wie haben Sie den Umbruch in Deutschland erlebt? Schreiben Sie uns: per E-Mail an redpir@rheinpfalz.de oder an RHEINPFALZ-Redaktion, Schachenstraße 1, 66954 Pirmasens.

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