Rheinpfalz „Hier Bürgermeister zu werden, war richtig“

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Freuen Sie sich auf den Ruhestand?

Ja. Nach 26 Jahren kriegt man auch langsam mal den Wunsch danach, sein Leben nicht mehr von fremden Terminen, von aufgezwungenen Problemen bestimmen zu lassen, sondern mal wieder selbst planen zu können, über seine Freizeit bestimmen zu können. Das wünsche ich mir. Das hatte ich nämlich nie. Ich bin noch nie länger als 14 Tage dem Dienst fern geblieben. Als Bürgermeister ist man ja oft 24 Stunden im Dienst. Wie war dieser Spagat zwischen diesem Amt in der Öffentlichkeit und dem Privatleben? Am Anfang fand ich das eigentlich ganz attraktiv, von vielen erkannt zu werden und bekannt zu sein. Aber im Laufe der Jahre habe ich mich in der Großstadt, wo mich niemand gekannt hat, auf einmal wohler gefühlt. Das heißt, es war auch eine Belastung, weil du immer aufpassen musstest, was du sagst, wie du guckst, wen du grüßt und wen nicht. Gibt es Leute hier, von denen Sie nicht mehr gegrüßt werden? Da kann es schon ein paar geben, die über die eine oder andere Entscheidung enttäuscht gewesen sind oder hier nicht hinreichend genug Gehör gefunden haben und nicht einsehen wollen, dass es auch sachliche Gründe gibt. Und dass ich niemanden mehr grüßen würde – das kann ich nicht sagen. Ich bin nicht nachtragend und irgendwie ist auch eine gewisse Gelassenheit eingekehrt, so dass ich etwas verzeihen und vergessen kann. Es gibt also nichts Negatives, das Sie am Freitag aus dem Amt mitnehmen? Eigentlich nicht. Natürlich ist so manches passiert, was ich mir positiver vorgestellt hätte. Das könnte ich jetzt auch festmachen an der gescheiterten Feuerwehrreform oder an der übertriebenen Reaktion auf diese Wasserverunreinigung in Niederschlettenbach. Das waren natürlich schon Erfahrungen, die ich mir gerne erspart hätte. Auf der anderen Seite waren das auch Erfahrungen, die mich weitergebracht haben. Auch im Umgang mit Medien. Ich war da am Anfang sehr viel zugänglicher, mitteilsamer, offener, als es dann später der Fall gewesen ist. Man wird einfach vorsichtiger. Hat Sie das Amt verändert? Das glaube ich auf jeden Fall. Nichts bleibt nur in den Kleidern hängen. Aber verantwortlich zu sein und sich verantwortlich fühlen für eine Region, für eine Verwaltung, als Dienstvorgesetzter von 100 Leuten – das führt dann schon zu einem Verantwortungsbewusstsein, Pflichtbewusstsein, was man sich so von außen nicht vorstellen kann. Sich die Probleme einer Region zu eigen machen, führt zu einer ganz bestimmten Sichtweise auf die Menschen, auf die Region. Du wirst sensibler für alles, was um dich herum vor sich geht. Was nehmen Sie unterm Strich persönlich mit von diesem Amt? Das kann ich so einfach gar nicht beantworten. Da müsste ich mal wieder alte Einschätzungen aus meinen Tagebüchern durchsehen. Sie führen Tagebuch – als Bürgermeister oder als Privatmann? Beides. Als Privatmann habe ich früher Erfahrungen niedergeschrieben. Und als Bürgermeister habe ich mir das schon relativ bald angewöhnt, zu notieren, mit wem ich wann was besprochen habe und was als Ergebnis dabei rausgekommen ist. Denn Missverständnisse gibt es oft. Sind diese Tagebucheinträge nicht manchmal identisch? In meinem Tagebuch kommt nicht vor, wie ich mich heute gefühlt habe und ob es ein schöner, ein schlechter oder sonstiger Tag war. Sondern welche Erfahrungen habe ich gemacht, die ich mir merken sollte. Sie setzen sich offensichtlich auch mit Ihrer Person stetig auseinander. Das mag sein. Wenn du versuchst, in der Öffentlichkeit etwas zu bewirken, dann musst du auch wissen, wie du auftreten musst, wie du selbst wirken musst, um etwas bewirken zu können. Sind Sie ein disziplinierter Mensch? Absolut. Das liegt einfach auch daran, dass ich seit 30 Jahren Diabetiker bin und von daher jeden Tag notieren muss, wie meine Zuckerwerte sind und mehr. Du musst einfach disziplinierter leben und das beschränkt sich dann nicht nur auf die von der Diabetes beeinflussten Dinge. Das ist halt so und hat mir auch nicht geschadet. Das war aber nicht allein der Grund, nicht mehr fürs Amt zu kandidieren? Ja, das kann man nicht auf eine Ursache zurückführen. Von der Tätigkeit her steht auch noch mehr Ärger ins Haus mit diesen ganzen Fusionsthemen. Das wollte ich mir einfach nicht mehr antun und ich wollte gehen, solange es noch wenigstens drei Leute bedauern. Waren es 26 erfolgreiche Jahre für Sie? Kann man das eigentlich unterscheiden – für mich oder für die Region erfolgreich? Ich habe mich ja schon immer mit den hier lebenden Menschen und der Region identifiziert und mit deren Problemen. So dass ich das eigentlich verknüpfen muss. Und die Verbandsgemeinde hat in den letzten 26 Jahren einen guten Aufschwung genommen. Meine riesigen Listen an zu Erledigendem, die ich von der Politik damals erhalten habe, sind alle abgearbeitet. Natürlich kann man immer noch das eine oder andere als fehlend oder verbesserungswürdig ansehen – aber die wesentlichen Aufgaben sind alle erfüllt und die Region hat sich ganz gut entwickelt. Und ich bin auch stolz darauf. Wenn man durch das Dahner Felsenland fährt, gibt es keine Ortsdurchfahrt, die nicht erneuert worden wäre in den letzten 25 Jahren. Und darauf bin ich auch stolz, weil ich von Anfang an mit den Leuten vom Landesbetrieb für Mobilität immer wieder Gespräche geführt habe und dadurch gemeinsame Planungen zustande gekommen sind. Ich vergleiche das ja gelegentlich, wenn ich sonst wo unterwegs bin: Da können wir eigentlich ganz zufrieden sein. Dafür, dass wir die dünnst besiedelte Region der ganzen Pfalz sind, geht es uns so schlecht nicht. Worauf sind Sie am meisten stolz? Dass wir Anfang der 90er Jahre vom Bundesamt für Immobilien das Gewerbegebiet Neudahn 3 erworben haben, es erschlossen und an Betriebe veräußert haben als Verbandsgemeinde. Das war viel Arbeit, aber wir haben insgesamt in der Konversionspolitik aus 1200 Hektar Konversionsfläche viele Gewerbegebiete gemacht und mehr Arbeitsplätze schaffen lassen dort, als jemals bei den Amerikanern verloren gegangen sind. Das ist alles schon in Vergessenheit geraten. Wie viele Arbeitsplätze waren das? Wenn ich das jetzt mal so über den Daumen peile, also den Gewerbepark Fischbach und die drei Gewerbeparks Neudahn, sind da etwa 400 Arbeitsplätze möglich geworden. Und bei den Amerikanern sind vielleicht 200 Zivilarbeitsplätze verloren gegangen. Das klingt alles nicht sonderlich viel, aber das ist für diese Region schon hilfreich gewesen, denn wir haben ja Zweidrittel Auspendler. Was wünschen Sie Ihrer Verbandsgemeinde? Auf jeden Fall Kommunalpolitiker in den Gremien, die nach wie vor bereit sind, sachorientierte Lösungen für sich auftuende Probleme zu suchen und zu finden. Für mich waren Orts- oder Verbandsgemeinderäte immer Entscheidungsgremien und nicht „Parla-mente“. Das war am Anfang sehr schwierig. Aber mittlerweile sind unsere Verbandsgemeinderatssitzungen sehr kurz und absolut sachorientiert und keiner schwätzt mehr aus politischen Gründen rum. Dass das so bleibt, wünsche ich auch meinem Nachfolger. Aber es wird Probleme geben, die heute noch gar nicht absehbar sind. Die gesamte Verwaltung wird sich umstellen müssen auf die Informationstechnik, die übrigens nicht zu meinen Lieblingsthemen gehört. Es kann nämlich am Ende der Informationstechnik zu einer Individualisierung der Entscheidungsprozesse kommen. Dann ist es natürlich höchst problematisch, das organisatorisch noch irgendwo aufzufangen und in den Griff zu kriegen. Zum Dienstjubiläum 2016 haben Sie bedauert, dass die Lokalpolitik sich verbürokratisiert, an Gestaltungsfreiheit verliert. Wenn Sie dieses Wissen 1990 gehabt hätten: Hätten Sie da Bürgermeister werden wollen? Meine Begeisterung hätte sich in Grenzen gehalten. In einer Region etwas bewirken zu können, Gestaltungsmöglichkeiten zu bekommen, das war immer mein Wunsch. Ich war ja früher einer derjenigen, deren Arbeit ich heute beklage. Als ich in der Ministerialbürokratie geglaubt habe, man könnte mit klugen Gesetzen das Leben beeinflussen und gestalten. Ich würde mir heute wünschen, dass viele Parlamentarier ihren Arbeitssinn nicht darin sähen, Gesetze zu beschließen, Regelungen zu erlassen, sondern sich lieber mal mit den Leuten vor Ort unterhielten, wo die wirklichen Probleme sind. Kann Kommunalpolitik heute überhaupt noch Spaß machen und wann haben Sie zuletzt Spaß gehabt? Das ist in der Tat eine gute Frage, denn in den letzten Jahren war Kommunalpolitik nur noch geprägt vom Abhaken von Pflichtaufgaben oder von Pflichtbeschlüssen – es war früher undenkbar, dass man überhaupt auf so ein Wort kommt. Wir fällen heute fast nur noch Pflichtbeschlüsse. Bei den Inhalten haben wir gar nicht mehr so viele Spielräume. Das letzte Mal Spaß gemacht in der Politik hat es im letzten Jahrtausend. Da haben wir noch Möglichkeiten gehabt, da haben wir noch entscheiden können, bauen wir da hin oder dort hin, bauen wir über das Königsbruch eine Brücke – das hat noch Spaß gemacht, das waren noch Entscheidungsspielräume, die man wahrnehmen konnte. Und heute ist alles – natürlich auch durch den finanziellen Mangel – vorgeprägt und oft vorgegeben. Dabei geht es Deutschland gut. Das Verteilungssystem ist einfach unbefriedigend geworden. Übrigens besonders auch in Rheinland-Pfalz. Das Land ist schon in eigenem Interesse sparsamer gegenüber den Kommunen geworden. Sie sind von Haus aus Jurist. Haben Sie mal gedacht: „Hätte ich doch bloß etwas anderes gemacht“? Gelegentlich überlegt man, ob einem nicht etwas anderes auch Freude gemacht hätte. Aber ich fälle eine Entscheidung, und wenn eine Entscheidung gefällt ist, frage ich nie mehr, ob es nicht bessere Alternativen gegeben hätte. Ich halte das, was ich entschieden habe, für das Beste zum jeweiligen Zeitpunkt. Ich habe das immer so gehalten. Die Entscheidung, hier Bürgermeister zu werden, war richtig und ich habe sie auch nie ernsthaft hinterfragt. Als es Ende der 90er Jahre um die Nachfolge von Klaus-Dieter Uehlhoff gegangen ist, also um das Bundestagsmandat, habe ich überlegen müssen. Aber der Gestaltungsspielraum in der Kommunalpolitik, der damals noch sehr gut vorhanden war, hätte mir einfach gefehlt. Hätten andere politische Ebenen Sie nicht gereizt? In der Politik kannst du alles werden, wenn du zum rechten Zeitpunkt am rechten Ort bist. Natürlich hätte es mich auch gereizt, irgendwo für einen Landratsposten zu kandidieren. Aber als ich meine Familie gefragt habe, ob sie mitgehen würde, wenn ich mich in Neuwied oder sonst wo bewerben würde, hat die nein gesagt. Wenn Landrat Hans Jörg Duppré vielleicht zehn Jahre früher gegangen wäre, hätte mich seine Nachfolge gereizt. Denn ich habe schon alles gemacht, nur Kreisverwaltung hat mir noch gefehlt. Aber ich vermisse es nicht und ob mich das glücklicher gemacht hätte, wage ich sogar zu bezweifeln. Mir ist es eigentlich immer gelungen, mit meinem Leben, so wie es war, zufrieden zu sein. Was sollen Ihnen Bürger nachsagen? Das ist nicht so einfach zu beantworten. Aber ich würde mir schon wünschen, dass sie merken, dass ich mir Mühe gegeben habe, die Region voran zu bringen. Was die gesamte Infrastruktur, was das Zusammengehörigkeitsgefühl der verschiedenen Bereiche angeht: Das war auch etwas, woran ich arbeiten musste, dass wir so etwas wie eine Identifikation der Region Dahner Felsenland im unteren Wieslautertal, im Sauertal, im Umland von Dahn zustande bringen. Das war in der Anfangszeit sehr schwierig, aber es ist uns gelungen. Ich wäre froh, wenn die Mehrheit der Leute das auch so sehen und erkennen würde, dass die kommunale Infrastruktur unserer Verbandsgemeinde auf einem sehr guten Stand ist. Wie haben Sie sich eigentlich auf Ihren Ruhestand vorbereitet? Überhaupt nicht. Ich bin mir aber sicher, dass ich mein Leben, meinen Tag, meine Zeit genauso gut, sinnvoll und befriedigend strukturieren werden kann, wie das jetzt der Fall ist. Ich werde mir ein bisschen mehr Zeit lassen für alles und ich werde mir Dinge vornehmen, für die bisher keine Zeit war. Zum Beispiel für unsere Premium-Wanderwege. Sie haben mal gesagt: Das beste wäre es, den Beruf zum Hobby zu machen. Was passiert denn jetzt mit Ihnen, so ohne Beruf? Befürchtet Ihre Frau eine neue Hausordnung? Die Befürchtung hat sie durchaus. Aber da meine Frau auch schon im Ruhestand ist, hat sie die Position im Hause sozusagen besetzt. Aber ich will nun endlich mal mit meiner Frau die eine oder andere Reise machen. Was ich auf jeden Fall sehen möchte, ist Lissabon und Teneriffa. Was nehmen Sie sich als erstes vor nach der Übergabe? Dann gehe ich in mein Arbeitszimmer und sortiere alle meine Bücher und Akten neu. Und zwar nicht mehr unter dem Gesichtspunkt, was ich dienstlich gebrauchen könnte, sondern woran ich mich unter welchem Stichwort gerne erinnern würde. Das hört sich fast so an, als planten Sie eine Art Archiv. Das mache ich auch. Aber ich werde nur für mich meine Erfahrungen niederschreiben. Was werden Sie vermissen? Würde ich was vermissen? Nein. Wenn ich am Freitag verabschiedet bin, habe ich meinen Job gemacht und ich habe mich immer bemüht, ihn so gut wie möglich zu machen. Und dann kann ich einen Strich drunter machen und einen neuen Lebensabschnitt anfangen. Und ich will mich auch nicht mehr einmischen. Mechthild Treusch

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