Rheinpfalz Der letzte Bäcker der Stadt

Sie haben dem Café Flory wieder Leben eingehaucht: Martina und Holger Gravius
Sie haben dem Café Flory wieder Leben eingehaucht: Martina und Holger Gravius

«RODALBEN.» Es sollte sich als Glücksfall für Rodalben erweisen, dass Holger und Martina Gravius vor über sechs Jahren das alteingesessene Café Flory nach 15-monatigem Leerstand übernahmen. Hätten sich die beiden im September 2012 nicht entschlossen, die Tradition der „Marke Flory“ (Gravius) fortzusetzen, hätte die Stadt Rodalben aktuell keine Bäckerei mehr. Brot und Brötchen würden nur noch im Supermarkt oder im Discounter angeboten. Wie die Zeit die Verhältnisse gewandelt hat. Vor einem Vierteljahrhundert gab es in der Stadt noch eine Vielzahl an Bäckereien. Davon geblieben sind nur die Erinnerung an deren Namen wie Meckes und Schilling, Loreth, Wilhelm, Dreher oder Schmitz. Den Wandel beschleunigten große Märkte, begründet Gravius diese Entwicklung. Dem bequemen Einkaufen ohne Umwege werde heute Vorrang einräumt. Holger Gravius ist Betriebswirt und könnte auch einen Arbeitsplatz in der Industrie finden. Aber er entdeckte in sich schon früh den „Bäcker aus Leidenschaft“, hatte er das Handwerk doch bereits bei seinem Vater erlernt und im Familienbetrieb in Winzeln mitgearbeitet. Die Backleidenschaft setzte sich letztlich gegen andere Möglichkeiten durch. Dafür akzeptierte Gravius die ungewöhnlichen Arbeitszeiten in der Backstube zwischen 23 Uhr abends und 7 Uhr morgens (in der Konditorei zwischen 6 und 13 Uhr), denen er gar positive Seiten abgewinnen kann. „Im Backbetrieb gibt es keinen Schichtwechsel“, so Gravius, „und nachmittags habe ich freie Zeit für die Familie zur Verfügung“. Holger und Martina Gravius haben ihren Beruf von Grund auf gelernt. Er ist Bäcker und Konditor, sie ist Bäckerei-Fachverkäuferin. Über viele Stationen führte der Weg den gebürtigen Rodalber in die Selbstständigkeit. Die Lehrzeit absolvierte er in der Bäckerei Edrich in Winzeln. Es folgten ein Betriebswirtschaftsstudium in Kaiserslautern, die Meisterprüfung (2002), zwei Jahre Weiterbildung als Betriebsleiter in der Schweiz, schließlich die Rückkehr in die Heimat und der Wechsel des Arbeitsplatzes in einen Lauterer Großbetrieb. „Aber Industriewaren herzustellen, das mochte ich nicht“, erklärte Gravius. Durch Zufall habe er von einem ehemaligen Lehrling des Floryschen Betriebs vom leerstehenden Café mit Bäckerei und Konditorei in Rodalben erfahren. Die übereinstimmende Berufsphilosophie mit den Vorgängern Gerhard und Ilse Flory erleichterte den Übergang. Sie beruhte hauptsächlich auf den Prinzipien, ausschließlich natürliche Produkte zu verwenden, ohne chemische Zusatzstoffe auszukommen und Fertigmischungen zu vermeiden. Außerdem gewichtete das Café Flory die regionale Verankerung von jeher stark. „Wir beziehen unsere Produkte von der Pfalzgut Frischdienst GmbH in Waldfischbach-Burgalben“, sagt Gravius, „unser Mehl wird aus Rieschweiler-Mühlbach geliefert“. Diese natürliche Produktion nehme aber viel Zeit in Anspruch, vor allem für die Teigführung. Der Brötchenteig stehe mäßig gekühlt über Nacht im Backhaus, der Hefeteig ruhe vor der Verarbeitung vier bis fünf Stunden. Da werde keine Ware mittels chemischer Zusatzmittel „kurzum schnell aufgebacken“. Das Aroma bilde sich, wenn der Bäcker dem Teig Zeit lasse, Bindemittel würden dabei entbehrlich, und die Verträglichkeit der Backprodukte steige. Das gelte zum Beispiel für Empfindsamkeiten gegenüber Weizen. Holger und Martina Gravius wissen um „die ein paar Cent günstigere“ Konkurrenz und setzen ihre Qualität entgegen. „In Qualität genügt uns kein ,gut’, um in diesem Wettbewerb zu bestehen“, sagt Holger Gravius, „wir brauchen schon ein ’sehr gut’“. Diesen Anspruch stellen beide auch an die Vielfalt. Die größte Übereinstimmung mit den Vorgängern in der Angebots-Palette bestehe im reichhaltigen Tortenprogramm. Hier hielten sich Streichungen, Ergänzungen und Rezepturänderungen, etwa bei der Buttercreme, in Grenzen. Deutlich verändert wurde hingegen das Angebot an Brot und Brötchen, die den neuen Schwerpunkt des Betriebs bilden. Als Beispiele nennt der Meister bei den Brotsorten das Urgetreidebrot, Dinkel- und Mehrkornbrot, Sorten wie „Florys Bestes“ oder „Kornschatz“ mit einem Roggenanteil von 80 Prozent. Bei den Brötchen verweist er auf neue Produkte wie die Knackis, Vierlinge oder die Grünesputscheweck mit den Zutaten Grünkern und Honig. Zusammen mit fünf Mitarbeitern stemmt er den Backbetrieb. Zum Team gehören außer dem Chef selbst ein weiterer Meister und eine Konditorin sowie drei Gesellen. Im Service wechseln sich mehr als 20 Beschäftigte ab. Dass das Café seinen Kunden auch sonntags – selbst mit frischen Brötchen und frischem Brot –, zumindest zeitweise an den meisten Feiertagen und in den großen Ferien zur Verfügung steht, zeugt von Begeisterung für das Betriebskonzept. Familie Gravius ist mittlerweile von Kröppen nach Rodalben umgezogen und wohnt direkt neben dem Café. „Die Rodalber“, sagt Holger Gravius, „wissen unsere Theorie und Praxis und sicherlich auch unser Engagement zu schätzen. Das Geschäft ist nach der längeren Pause nach dem Rückzug der Familie Flory in den Ruhestand wieder voll und ganz in der Stadt angekommen“. DIE SERIe Bäckereien gab es früher in fast jedem Ort in der Südwestpfalz. Aber sie sind selten geworden – Ketten bestimmen das Bild. In unserer Serie „Unser täglich Brot“ stellen wir Betriebe aus der Region vor, die die Tradition des Backhandwerks weiterführen.

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