Neustadt Winzingen: Dorfgemeinschaftsgefühl wird gepflegt

Belastend: das hohe Verkehrsaufkommen in der Martin-Luther-Straße.
Belastend: das hohe Verkehrsaufkommen in der Martin-Luther-Straße.

Stadtspaziergang: Winzingen hat als Wohnviertel viele Pluspunkte, zum Beispiel die gute Infrastruktur und die Nähe zur Innenstadt. Dennoch beobachten Anwohner eine Verschlechterung der Wohnsituation. Eines der Probleme: das hohe Verkehrsaufkommen.

Wenn der Ur-Winzinger in die Innenstadt geht, dann geht er „uff Neischdad“. Also quasi in einen anderen Ort. Winzingen, früher ein Winzerdorf, ist zwar schon seit 1892 eingemeindet, doch das Dorfgemeinschaftgefühl hat sich, zumindest zum Teil, erhalten. Und es wird auch gepflegt, beispielsweise durch den Verein Winzina oder die Vertreter Winzingens im Innenstadtbeirat. Wie das Gebiet begrenzt ist, ist durch Schilder relativ gut erkennbar: Es reicht vom Winzinger Tor (Ecke Friedrich-Ebert-Straße/Hindenburgstraße ) im Westen bis zur Bahnlinie im Osten, von der B 38 im Norden bis in den Bereich Gartenstraße/Landauer Straße im Süden. Ein Gebiet, das von der Infrastruktur her gut aufgestellt ist: Drei Schulen (Ostschule, Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium, Berufsbildende Schule), mehrere Kindergärten, drei Supermärkte, ein Ärztehaus (Robert-Stolz-Straße) und ein Bahnhaltepunkt gibt es, der Autobahn-Zubringer ist um die Ecke. Gleichzeitig liegt das Viertel zentral, die Innenstadt ist zu Fuß gut zu erreichen. Friedhelm Mutschler, Vorsitzender des Vereins Winzina, sieht das als Pluspunkte, die das Gebiet als Wohnstandort attraktiv machten. Gerade im Winzinger „Kerngebiet“ um die Kirchstraße und die Martin-Luther-Straße zögen deshalb viele Familien zu. Dort liegt auch die bedeutendste historische Sehenswürdigkeit des Viertels, die Alte Winzinger Kirche (Kirchstraße 40). Was die Wohnqualität angeht, gibt es aber auch zahlreiche kritische Stimmen. „Winzingen hat in den vergangenen Jahren stark gelitten“, sagt beispielsweise Günter Schönbach, der ebenfalls Mitglied im Verein Winzina und außerdem im Innenstadtbeirat aktiv ist. Die Wohnsituation drohe außerdem, sich weiter zu verschlechtern. Eines der großen Probleme ist nach Meinung Schönbachs der Verkehr. Das „kleine Weinstraßenzentrum“ in der Martin-Luther-Straße, also die drei Einkaufsmärkte dort, löse sehr viel Verkehr aus. „Seit der Vergrößerung der Märkte hat das noch einmal deutlich zugenommen“, sagt Schönbach, der ein bisschen den Zeiten nachtrauert, in denen kleine Lebensmittelläden sowie Metzger und Bäcker die Versorgung des Viertels sicherten. Mit Sorge beobachtet Schönbach auch den sozialen Wandel in dem Stadtteil. Der Anteil von sozial Schwächeren und Randgruppen steige. Dass Schönbach mit solchen Ängsten nicht allein steht, ist unter anderem auch bei einer Info-Veranstaltung der Stadt zum geplanten Bau einer Flüchtlingsunterkunft in der Böhlstraße deutlich geworden. Befürchtungen, dass das Viertel benachteiligt werde, sind damals besonders von Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgebracht worden. Frank Schuster, Pfarrer der protestantischen Martin-Luther-Kirchengemeinde, will dennoch nicht von sozialen Spannungen reden. „Man hört schon mal, dass Leute sich benachteiligt fühlen“, sagt er. Aber das sei doch mehr ein „gefühltes Problem“. Das Verhältnis zur Brüdergemeinde, zu der viele „Russlanddeutsche“ gehören, beschreibt er als „konstruktives Nebeneinander“. Die Gemeinde, die zur Landeskirche gehört, hat ihre eigenen Gottesdienste, bei denen in aller Regel alle 450 Plätze in der Kirche belegt sind. Um die Integration der Flüchtlinge, für die in der Landwehrstraße eine Unterkunft gebaut worden ist, bemühen sich in Winzingen unter anderem die beiden Kirchen und eine Gruppe von Schülern des Kurfürst-Ruprecht-Gymnasiums. „Da, wo die Flüchtlinge menschlich wahrgenommen werden und nicht als anonyme Gruppe, sind die Beziehungen entspannt“, sagt Pfarrer Michael Janson von der katholischen Pfarrei St. Theresia von Avila. Um möglichen Spannungen im Verhältnis zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken, hat die Stadt sich für das Gebiet Böbig um Aufnahme in das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ beworben. Der Antrag ist zu Beginn des Jahres gestellt worden, eine Entscheidung wird in nächster Zeit erwartet. Mit dem Programm wird die Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen in Stadtteilen mit erhöhter Bedarfslage finanziell gefördert. Eine Aufwertung verspricht die Verwaltung sich außerdem von der Fortführung des Grünzugs Wallgasse von der Winzinger Straße bis zur Landwehrstraße entlang des Speyerbachs. Das Projekt, das auch die Renaturierung des Speyerbachs in diesem Abschnitt umfasst, sollte ursprünglich bereits 2013 starten, wurde aber zunächst aus finanziellen Gründen zurückgestellt. Inzwischen steht die Finanzierung aber, ein Ingenieurbüro ist mit der Planung beauftragt. Um eines müssen sich die Winzinger keine Sorge machen: Das Kleinod Alte Winzinger Kirche ist in guten Händen. Um Erhalt und Sanierung kümmert sich seit Jahren eine rührige Fördergemeinschaft.

Renovierungsarbeiten in der Alten Winzinger Kirche.
Renovierungsarbeiten in der Alten Winzinger Kirche.
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