Neustadt Willy Brandt gern zu Gast

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Handkäse, Hausmacher und eigenen Wein – eben alles, was das Haus hergab, hat man 1796 in der Schlossstraße verkauft, als das Haus erstmals als Straußwirtschaft erwähnt wurde. Handkäse, Hausmacher und Wein gibt es auch heute noch in der „Mohre Jule“. Seit 460 Jahren gibt es die familiengeführte Weinstube, seit fast 40 Jahren bewirten Inge und Jürgen Weisbrod die Gäste; und die nächste Generation steht mit Michael und Kirsten schon in den Startlöchern.

„Wir sind uns treu geblieben“, sagt Jürgen Weisbrod im Hinblick auf das Angebot und seine Einstellung zur Gastronomie: „Kein Schickimicki, keine Experimente“, umreißt er das Konzept der Traditionsweinstube, in der er unter anderem schon Willy Brandt zu Gast hatte. Anlass war seinerzeit die 150-Jahr-Feier des Hambacher Fests, bei der sich ursprünglich nur eine Gruppe von 20 Journalisten angekündigt hatte. Schlussendlich wurden dann 80 Personen daraus – darunter viele Politiker wie eben Willy Brandt, Günter Verheugen und der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel. Insbesondere Brandt schien es gefallen zu haben in Hambach, denn „er war später öfter noch privat da“, erzählt Weisbrod: „Nicht auszuschließen, dass ihm der Wein geschmeckt hat ...“ Die Weine werden im Gegensatz zu früher heute nicht mehr selbst gemacht, stammen aber nach wie vor von Hambacher Weingütern: „Für ein eigenes Weingut haben wir nicht genug Platz“, erklärt Weisbrod. Jürgen Weisbrod erlernte das Handwerk der Gastronomie von der Pike auf: Mit 16 Jahren schloss er seine Kellnerlehre ab, 1966 wurde er Bundessieger im Kellnerberuf, später arbeitete er unter anderem im Hotel Wartburg in Mannheim, dann in den „Vier Jahreszeiten“ in München, wo er die Bekanntschaft mit zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens machte – unter anderem mit Farah Diba bei einem Staatsempfang für Schah Mohammad Reza Pahlavi. Auch Queen Elisabeth bewirtete er anlässlich eines Empfangs in Stuttgart. 1977 kehrte er in die heimische Schlossstraße zurück, damals arbeitete noch seine Mutter Kunigunde mit, die den Spitznamen „Mohre Jule“ von Juliane Mohr „geerbt“ hatte: Juliane Mohr, Mutter von neun Kindern, hatte die Weinstube von 1891 an geführt und ihr den Namen gegeben. „Frauen haben bei uns schon immer eine wichtige Rolle gespielt“, sagt Weisbrod im Rückblick auf die lange Familiengeschichte der Mohrs und Guttings, aus der die Weisbrods hervorgegangen sind: Heute sind es Jürgen und sein Sohn Michael, seines Zeichens Hotelkaufmann, die für den Service verantwortlich sind, in der Küche arbeiten Jürgens Frau Inge und Schwiegertochter Kirsten: „Ohne die geht nix“, meint Weisbrod und schmunzelt. Von 1947 bis 1980 war die Hambacher Weinstube auch auf dem Deutschen Weinlesefest vertreten, zunächst mit einem Stand auf der Festwiese, später mit einem eigenen „Haiselsche“, bis es vom damaligen Oberbürgermeister Brix eine Abfuhr gab: „Nur für Vereine“ sei damals die Ansage gewesen, woraufhin man sich eben zurückgezogen habe. Einer der Höhepunkte in seiner mittlerweile 53 Jahre währenden Gastronomietätigkeit war die 425-Jahr-Feier der Mohre-Jule 1981: Drei Tage lang feierten die Weisbrods gemeinsam mit den Hambachern, ihren Vereinen, der Trachtengruppe und dem Musikzug. „Da war die ganze Familie auf den Beinen“, erinnert er sich. Doch auch heute noch kennen Weisbrods kaum einen Ruhetag: An dem 1556 erbauten Anwesen gebe es eigentlich „immer was zu basteln“, sagt Weisbrod. „Wer rastet, der rostet“, meint er und betont, dass er es als seine Verpflichtung sehe, das Ererbte zu bewahren und fortzuführen. Auch hinsichtlich des Angebots bleiben die Weisbrods den Traditionen treu: Auf der Speisekarte stehen die Pfälzer Klassiker wie Hausmacher Wurst, Leberknödel, Saumagen und Bratwurst, je nach Saison ergänzt von diversen anderen kalten und warmen Speisen „wie zu Mohre Jules Zeiten“, wie Weisbrod erklärt. Jetzt im Herbst sind das zum Beispiel grobe Bratwürste mit Apfelrotkohl und Kastaniengemüse oder die mit Münsterkäse überbackenen Bratkartoffeln, im Frühjahr das beliebte „Frühlingsbrot“ mit Rührei, Schinken, Schnittlauch und vielen anderen frischen Kräutern und im Sommer natürlich das klassische Tomatenbrot. Seine Gäste kämen von überall her, viele natürlich aus Hambach, erzählt Weisbrod. „Viele Stammtische treffen sich regelmäßig hier, das ist über die Jahrzehnte gewachsen“, sagt er nicht ohne Stolz. Auch wenn er und seine Frau von Sohn und Schwiegertochter unterstützt werden, denkt Weisbrod heute noch nicht ans Aufhören: „Ich bin zufrieden und liebe meinen Beruf“, meint er. Denn trotz ihrer langen Geschichte und den unzähligen damit verbundenen Anekdoten sei „eigentlich jeder Tag in der Mohre Jule erwähnenswert“.

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