Interview Wie Unwissenheit der Natur schadet

Mit Sieben sammeln Kinder vom Naju Neustadt Kleinstlebewesen aus dem Gewässer.
Mit Sieben sammeln Kinder vom Naju Neustadt Kleinstlebewesen aus dem Gewässer.

Der Speyerbach fließt im Alltag ganz selbstverständlich an uns vorbei. Warum es wichtig ist, den Lebensraum Bach zu verstehen, erklären Ulrike Bahl und Elke Schemel vom Nabu Neustadt im Gespräch mit Stefanie Brunner.

Frau Bahl, Frau Schemel, der Nabu bietet in Neustadt eine Fortbildung zum Lebensraum Bach für Gruppenleiter aus ganz Rheinland-Pfalz an. Wieso sollten wir unsere kleineren Gewässer in den Blick nehmen?
Bahl: Als Lehrerin für Biologie und Chemie am Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium habe ich mit Schülern öfter Gewässeruntersuchungen gemacht, hauptsächlich, weil die Gewässerqualität damals katastrophal war. Der Speyerbach war eine richtig stinkende Brühe und hatte fast jeden Tag eine andere Farbe, weil Fabriken Abwässer hineingeleitet haben. Ab den 1980er-Jahren hat sich mit der Gewässergütebeurteilung, mit der man den Zustand eines Baches bestimmen kann, einiges in Sachen Gewässerschutz getan.

Die geschulten Gruppenleiter sollen ihr Wissen dann an Kinder und Jugendliche weitergeben und selbst Aktionen planen. Kann man die Jungen heutzutage noch dafür begeistern, sich die Hände schmutzig zu machen?
Schemel: Kinder sind Forscher und wahnsinnig begeisterungsfähig. Jugendliche sind da schon ein wenig anspruchsvoller, wollen etwas erleben, aber auch etwas tun. Da bietet sich die Untersuchung eines Baches als ganz praktische Aufgabe natürlich an. Kinder und Jugendliche lernen dabei außerdem einen respektvollen Umgang mit der Natur.

Bahl: Gerade bei Jugendlichen nimmt der Bezug zur Natur generell ab. Die meisten bringen nur Fische als Lebewesen mit dem Bach in Verbindung. Doch die würden ja nicht überleben, wenn es nicht genügend Kleintiere im Nahrungsnetz gäbe. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, was ein gesundes Gewässer ausmacht. Warum muss man Millionen Euro ausgeben, um Gewässer zu renaturieren? Warum sollte man keine Steine aus dem Bach holen? Wenn Menschen keine Ahnung von den Zusammenhängen haben, machen sie die Natur unwissentlich kaputt.

Die Bestimmungsgruppe sichtet die gefangenen Kleintiere. Ihre Art und Anzahl sind entscheidend für die Gewässerqualität.
Die Bestimmungsgruppe sichtet die gefangenen Kleintiere. Ihre Art und Anzahl sind entscheidend für die Gewässerqualität.

Wo liegen Problemfelder rund um den Bach?
Bahl: Das Schlimmste, was man einem Bach antun kann, ist, ihn völlig gerade durch eine schattenlose Gegend zu führen, wo von benachbarten Feldern noch Nitrat eindringt. Man muss das zurückbauen, was der Mensch so zerstört hat, dass die Natur sich nicht selbst davon erholen kann. Der Speyerbach ist toll renaturiert worden. Doch jetzt haben wir den Klimawandel, der für mehr Trockenheit sorgt. Interessant ist nun herauszufinden, inwieweit das die Gewässergüte beeinflusst. Wenn der Wasserstand über längere Zeit sinkt und es warm ist, entweicht der im Wasser gelöste Sauerstoff. Damit verschiebt sich dann das ganze Ökosystem. Die Renaturierung beugt dem etwas vor, da die natürlichen Strömungsverläufe das Wasser weniger stark erhitzen lassen und Sauerstoff untermischen.

Nach welchen Kriterien wird der Bach bewertet?
Bahl: Wir gehen nach den Vorgaben des Landesuntersuchungsamts vor. Dabei schauen wir zunächst auf den Saprobienindex, der die Güte anhand von Zeigerorganismen angibt. Je nachdem, welche und wie viele Tiere man findet, kann man feststellen, wie sauerstoffreich ein Gewässer ist – ein Hauptindikator für die langfristige Sauberkeit. Außerdem werden chemische Tests, unter anderem auf Nitrat und Phosphorgehalt, gemacht. Dann kommt die ökologische Untersuchung. Dabei schaut man sich auf zehn Metern Bachlänge die Uferstruktur, das Strömungsbild, die Tiefenvarianz, die Gewässersohle sowie Uferbewuchs und die Verzahnung von Land und Gewässer an und bewertet jedes Kriterium nach einer festen Skala. Je vielgestaltiger Lebensräume sind, desto stabiler ist das Ökosystem.

Wie genau läuft die Untersuchung ab?
Bahl: Man braucht einen Becher, ein Sieb und einen Pinsel: Der eine hebt Steine am und im Bach hoch und fängt Lebewesen, die sich darunter verstecken, im Becher ein. Am Ufer wartet die Bestimmer-Gruppe, die die Tiere auseinandersetzt, bevor sie sich auffressen. Mit einem Binokular, also quasi einer größeren Lupe, bestimmen sie die Funde und erfassen sie per Strichliste. Daraus ergibt sich der Saprobienindex.

Schemel: Ich möchte an dieser Stelle aber betonen: Wir legen Steine und Tiere nach der Untersuchung auch wieder zurück, um keinen Lebensraum zu zerstören. Und natürlich stimmen wir eine solche Aktion am Bach auch mit der Unteren Naturschutzbehörde ab.

Welche Kleintiere leben denn normalerweise in so einem Bach?
Bahl: Auf der Rückseite von Steinen finden sich häufig gut getarnte Köcherfliegenlarven, die ihre Röhre aus feinsten Steinchen bauen, aber auch Eintagsfliegenlarven. Je nachdem, was man findet, lassen sich auch weitere Rückschlüsse auf den Bach ziehen: Steinfliegenlarven sind beispielsweise ein Indikator für ein sauberes Gewässer. Und Flohkrebse leben dort, wo sie Laub zum Zersetzen haben.

Die Fortbildung zielt auf Leute ab, die sich bereits als Gruppenleiter engagieren. Ist das also nur etwas für Ältere?
Schemel: Nein, wir würden uns auch über junge Gruppenleiter und -leiterinnen freuen, die Lust haben, etwas auf die Beine zu stellen. Der Nabu bietet dafür ab 16 Jahren die Juleica-Ausbildung mit mehreren Modulen an, damit die Leiter und Leiterinnen auch sicher in der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen sind. Wer schnuppern will, kann gerne bei einer unserer Gruppen dazukommen – ob als neues Mitglied oder mit Leitungsambitionen.

Zur Person

Ulrike Bahl (63), ist eine von zwei Leiterinnen der Naju-Kindergruppe (sieben bis zwölf Jahre). Nach vielen Jahren in anderen Naturschutzgruppen ist sie 2021 zum Nabu Neustadt gekommen. Die ehemalige Lehrerin und Mutter von zwei Kindern hält über die Volkshochschule zudem Vorträge über die Natur vor unserer Haustür.

Elke Schemel (59) ist verheiratet, hat BWL studiert und lange im Bankwesen sowie bei einem Netzbetreiber gearbeitet. Jetzt ist sie eine von zwei Leiterinnen der Neustadter Naju-Jugendgruppe (zwölf bis 18 Jahre) und engagiert sich in verschiedenen Naturprojekten, etwa bei der Pflege dreier Nabu-Gärten, für mehr Artenvielfalt.

Ulrike Bahl
Ulrike Bahl
Elke Schemel
Elke Schemel
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