Neustadt Warten auf das Gratis-Schnitzel
Der Mann mit Hängebauch und Fernseher, der die älteren Herrschaften im Restaurant Mostar zwei Stunden mit „Produkt-Informationen“ zutextet, muss den Braten von vornherein gerochen haben. Die beiden Frauen, die da kurz vor 15 Uhr hereinspazieren und so gar nicht nach der Zielgruppe 70+ aussehen, sind gekommen um „herumzuschnüffeln“. Dass sie seine Gäste ansprechen, passt ihm überhaupt nicht. „Sind Sie vom Ordnungsamt, oder was? Dann weisen Sie sich aus“, giftet er, als er nach etwa einer Stunde aus dem Nebenzimmer herauskommt, um ein Getränk zu bestellen.
In der Tat hatte sich vor etwa einem Monat, als eine ähnliche Veranstaltung in Göttingen stattfand, die Stadtveranstaltung dafür interessiert. Der Grund: Die Verbraucherzentrale Göttingen hatte vorab gewarnt. Bei der Veranstaltung der Firma „RSC aktiv & vital“ handele es sich um eine „dubiose Verkaufsveranstaltung, bei der vorwiegend ältere Menschen über den Tisch gezogen werden sollen“.
Der Mann mit Hängebauch und Fernseher lässt am Montag keine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass es sich im Restaurant Mostar um keine Verkaufsveranstaltung handele. „Sind Sie zufrieden mit der Veranstaltung? Ich verkauf doch nichts“ - solche und ähnliche Äußerungen seien ständig gefallen, erzählt Dorothea Flörchinger, 83 Jahre, die mit im Raum sitzt und sich gewaltig ärgert.
Flörchinger gehört eigentlich nicht zu denjenigen, die sich allzu leicht über den Tisch ziehen lassen. Sie ist eher vorsichtig, war sie doch schon mehr als einmal konfrontiert mit betrügerischen Versuchen, älteren Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Bei einer Kaffeefahrt war sie einmal und nie wieder, und das vor Jahren. Die Einladung von „RSC aktiv & vital“ aber habe auf sie einen seriösen Eindruck gemacht. Auf ihre Anmeldung bekam sie eine Bestätigung mit Briefkopf und Telefonnummer. Was sie in erster Linie lockte: die versprochenen Kaffee-Proben. Flörchinger ist passionierte Kaffee-Trinkerin, sie beginnt den Tag morgens mit acht Tassen.
Am Montag allerdings ist von Kaffee-Proben nichts zu hören. Stattdessen „Palaver“, wie die alte Dame sagt. Und immer wieder Anbiederungsversuche und Versprechungen. „Alle, die lächeln, werden belohnt“, habe der Mann mit Hängebauch und Fernseher mehrfach gesagt.
Bis um 17 Uhr spielt sich das alles hinter verschlossenen Türen ab. „Sonderveranstaltung“, heißt es, nur für „geladene Gäste“. Doch um 17 Uhr kommen die Schnitzel, die Tür geht auf, und es gelingt dem Mann mit Hängebauch und Fernseher nicht mehr, die Presse auszusperren. Dann stellt sich allerdings heraus, dass Flörchinger mit ihrer Kritik weitgehend allein bleibt. Sie muss sogar eine Rüge dafür einstecken - von einer anderen Teilnehmerin. Drei ältere Damen sagen, sie seien sehr zufrieden. Neue Informationen über neue Produkte, beispielsweise über Alarmanlagen, das sei doch in Ordnung. Und der Mann habe ihnen ja nichts verkauft. Ein anderer Besucher mutmaßt allerdings, dass das vielleicht anders gewesen wäre, wenn da nicht jemand gekommen wäre, der nach Ordnungsamt oder Presse aussah.
Der Mann ist einer, der sich in der „Branche“ auskennt - wie wohl die meisten in der Runde. „Hier, das ist doch in Ordnung. Bei Kaffeefahrten, da wollen sie verkaufen“, erklärt der Mann. Er fährt dennoch immer wieder mit, das nächste Mal Ende März. „Es kostet nichts“, erklärt er, während er sein kostenloses Schnitzel verdrückt. Eine andere Frau wirft ein, dass man keine Geschenke bekomme, wenn man nichts kaufe. Dennoch: Die Tatsache, dass Kaffeefahrten häufig dubiose Verkaufsveranstaltungen sind, scheinen viele einfach hinzunehmen.
Wie die Einladungen ins Restaurant Mostar eigentlich zustande gekommen sind, weiß hier niemand. „RSC aktiv & vital“ - den Namen kannte vorher niemand. Der Mann mit Hängebauch und Fernseher behauptet etwas Anderes: Die Leute seien alle „Stammgäste“ bei „RSC aktiv & vital“. Das sei so eine Art Reiseclub. Er selbst jedoch habe nichts mit der Firma zu tun. Seine Aufgabe sei vielmehr, über die Produkte der Firma „Senosec“ zu informieren - eine Firma, die Sicherheitsanlagen vertreibe. Deshalb lässt er sich auch von allen Gästen Name, Adresse und Telefonnummer geben, damit er sie weiter mit Informationen versorgen kann. Warum er so wütend ist, erklärt er nicht.
Die Show von „RSC aktiv & vital“ endet dann auf einmal ziemlich abrupt. Der Mann mit Hängebauch und Fernseher verteilt noch 20 Päckchen, Weißwein aus Südafrika, Schwarzbrot, Büchsen. Dann ist er verschwunden - wortlos.
Ein Besucher läuft ihm aufgeregt hinterher. Warum? Er hat kein Päckchen bekommen.