Neustadt Von Schöpfung und Zerstörung
Neustadt-Mussbach. Wie jedes Jahr zu Ostern gaben die Brüder Eckart und Henning Wiegräbe mit einigen ihrer Musikerfreunde ein besonderes Konzert. Vier Posaunisten, ein Sänger und ein Videokünstler waren beteiligt. Thema: die Posaune, von den Anfängen bis zu Gegenwart, vorgeführt und illustriert.
Der Festsaal des Kelterhauses war dabei nichts Geringeres als das Wunderland. Eckart Wiegräbe eröffnete den unterhaltsamen und lehrreichen Nachmittag mit der Bemerkung, dass er einem weißen Kaninchen gefolgt und im wohlgefüllten Festsaal angekommen sei. So ging es auch Alice, als sie einem solchen Kaninchen folgte und sich unverhofft im Wunderland wiederfand. Im Herrenhof war es das Wunderland der Posaune, der „Tuba mirum“, wunderbar, aber auch sonderbar, eingesetzt zur Schöpfung und Zerstörung. Weit hinab in die Urzeit geht es mit den Vorgängern der Posaune: Zuerst mit dem Didgeridoo der Aborigines in Australien. Nach einem ihrer Schöpfungsmythen war es der Bläser eines Didgeridoos, der die Töne in die Welt brachte und dann zum Vogel wurde. Mit zwei Didgeridoos brachten Henning und Eckart Wiegräbe eine Nachschöpfung der Naturgeräusche Australiens zu Gehör, Rauschen Klappern, Schnalzen und das Lachen des Vogels Kookaburra. Der Videokünstler Duong Nguyen hatte dazu zahlreiche Bilder zusammengestellt. Das Didgeridoo, so Eckart Wiegräbe, ist ein von Termiten ausgehöhlter Ast, der mit ununterbrochener Atmung, der Zirkuläratmung, gespielt wird, ein Didgeridoo mirum, könnte man sagen, denn die Demonstration dieser Technik weckt Erstaunen im Publikum – wahrhaftig nicht leicht nachzumachen! Eine weitere Vorform der Posaune, auch ganz aus der Natur, ist das Schofar oder Halljahrposaune, ein ausgehöhltes Widderhorn. Das kennt man aus der Bibel, es wurde zur Zerstörung eingesetzt. Damit wurden die Mauern von Jericho zum Einsturz gebracht. Das Schofar, das Eckart Wiegräbe vorführte – im Hintergrund Darstellungen von Jericho – klang aber so zahm, dass man sich eine solche umwerfende Wirkung ohne Zutun der Engel nicht vorstellen kann. Von Jericho nach Venedig ist im Wunderland ein kurzer Weg, in die Lagunenstadt der Renaissance führen die nächsten beiden Stücke, von vier Posaunisten geblasen, außer den Brüdern Wiegräbe spielten der Bassposaunist im MDR-Sinfonieorchester, Uwe Gebel, und Tobias Hasselt, Solo-Posaunist im Orchester des Gewandhauses Leipzig. Jetzt waren erkennbar richtige Posaunen im Einsatz, wenn auch noch nicht diejenigen, die heute verwendet werden. Nicht nur Venedigs Pracht wird gezeigt, die Palazzi, die Mosaiken des Markusdoms, die Rialtobrücke, sondern immer wieder die dunkle Gestalt eines Pestarztes. Gegen den Pesthauch, die Miasmen, die man für tödlich hielt, trug der Arzt eine langnasige Maske mit wohlriechenden Kräutern. Diese Gestalt, die im Video immer wieder durch das Bild ging, ist ein Symbol des Todes. Damit kommt man musikalisch zum Requiem, in dem die Posaunen des Jüngsten Gerichts ertönen. Im Video taucht Mozart auf, dargestellt und gesungen von Ekkehard Vogler (ebenfalls vom MDR) , der als sein eigener Geist auftritt und von seinem Requiem spricht, das er nicht vollenden konnte, weil er darüber gestorben ist. Er singt aber daraus das „Tuba mirum spargens sonum“ und wird von Eckart Wiegräbe mit der Posaune ergänzt. Das „Locus iste“, eine Motette von Anton Bruckner, führt die vier Posaunisten in die Zeit der Romantik und damit in die Moderne ihres Instruments. Anfang des 20. Jahrhunderts, so Eckart Wiegräbe, warnte Igor Strawinsky die Dirigenten. „Schau nie die Posaunisten an, du machst ihnen nur Mut!“ Zur Strafe spielten die Vier Strawinsky nicht, sondern widmeten sich den Melodien von George Gershwin. Endgültig in die Gegenwart wird man versetzt durch die bisher nur im Video erschienene Gestalt des Pestdoktors : Er tritt zur Freude des Publikums nun auf der Bühne persönlich auf (Eckart Wiegräbe) und rappt! Zum Schluss ist es nicht das weiße Kaninchen, sondern ein größeres Tier, das das begeisterte Publikum aus dem Wunderland entlässt: „Baby Elephant Walk“ von Henry Mancini aus dem Film „Hatari“.