Neustadt Vom diskreten Charme der Tradition

Die Wunden, die die Liebe schlägt: Die Gräfin (Ruth Theresa Fiedler) ist verzweifelt über die Untreue ihres Gatten. Figaro (Wiel
Die Wunden, die die Liebe schlägt: Die Gräfin (Ruth Theresa Fiedler) ist verzweifelt über die Untreue ihres Gatten. Figaro (Wieland Satter), der damit auch seine Probleme hat, arbeitet derweil schon an einer Intrige.

«Neustadt». Jubel und Freude herrschte am Dienstag im Saalbau nach dem Gastspiel des Kaiserslauterer Pfalztheaters mit Andreas Bronkallas Inszenierung von „Figaros Hochzeit“. Zu Recht: Die Mozart-Produktion stand unter einem sehr günstigen Stern und wurde den Ansprüchen gerecht – musikalisch, sängerisch und auch szenisch.

Der Kaiserslauterer Chefdramaturg Bronkalla legte eine sehr ausgewogene Lesart von Mozarts Partitur und dem Text des kongenialen Librettisten Lorenzo Da Ponte vor. Die Vorlage wurde nicht hinterfragt, dafür aber mit viel Liebe und Fantasie behandelte. Er inszenierte am Text entlang, präsentierte die Oper als Lustspiel mit viel Tempo und wartete mit einer Vielzahl geistreicher Aperçus auf. Der Abend bot also ein kurzweiliges Arrangement ohne Interpretationsakrobatik, im Einklang mit der Tradition und in bester Spiellaune. Über die wenigen Übertreibungen, die der Regie manchmal unterliefen, konnte man ohne weiteres hinwegsehen. Es lässt sich also feststellen: eine gemäßigt moderne Inszenierung kann auch heute noch überzeugen. Andererseits zeichnete Bronkallas Regie die Charaktere und die Situationen sehr differenziert und facettenreich. Eindrücklich wurden zudem auch die Abgründe, die sich hinter den leichtfertigen Intrigenspielen auftaten, aufgezeigt. Zentrales Thema der Inszenierung blieb so die Liebe mit ihren Irrungen und Wirrungen, den Sehnsüchten, Täuschungen, Enttäuschungen und Selbsttäuschungen der von ihre „betroffenen“ Personen. Ein bewegender Moment war die Arie der vom Grafen offenbar vergewaltigten Barbarina in traurigem f-Moll. Nach Textbuch sollte sie im Auftrag des Grafen eine Nadel suchen. Hier jedoch trauerte sie um ihre verlorene Keuschheit. Für das szenische Spiel entwarf Herbert Murauer eine eher unwirtliche Umgebung: ein Schloss im Umbau mit wenigen Möbeln und weiten Flächen. Sie vermittelte die Idee einer Gesellschaft im Umbruch am Vorabend der Französischen Revolution, der Entstehungs- und Handlungszeit der Oper, und regte auch moderne Assoziationen an. Wie eingangs angedeutet, bewegte sich der musikalische Teil der Produktion auf sehr ansehnlichem Niveau. Uwe Sandner, Generalmusikdirektor des Pfalztheaters, dirigierte einen stilistisch ausgewogenen Mozart mit Feinschliff und viel Verve. So spielte das Kaiserslauterer Orchester bei recht zügigen Tempi angespannt, mit in keinem Moment nachlassendem Nachdruck und zugleich durchweg differenziert. Besonders beeindruckten dabei die Konturenschärfe der Klanggestalt, der dramatische Impuls der musikalischen Diktion und das Detailgespür. Ein Kapitel für sich bildeten die sehr genau ausgehörten dynamischen Abstufungen und Akzentuierungen. Ebenso exakte wie intensive Darstellung erfuhr das große Finale des zweiten Akts. Erfreuliche Eindrücke auch beim Sängerensemble. Wieland Satter war ein schauspielerisch sehr präsenter, stimmgewaltiger, stellenweise allerdings auch zu stimmgewaltiger Titeldarsteller. Als Gräfin profilierte sich Ruth Theresa Fiedler als perfekte, hochkultivierte und sensible Mozart-Stilistin mit erlesenem Soprantimbre. Ihre zweite Arie war ein Höhepunkt des Abends – auch dank der delikaten Begleitung durch das Orchester. Durch kostbare Soprantöne, ausgeprägten Willen zum Formen, verfeinerte Musikalität („Rosenarie“!) und als charmante Darstellerin nahm auch Susanne Langbein in der Rolle der Susanna für sich ein, wurde allerdings im ersten Akt vom Orchester und stimmgewaltigeren Partnern mitunter übertönt. Einen attraktiven Cherubino gab das Temperament- und Energiebündel Rosario Chavez ab. Ronan Collett (Graf) gefiel durch imponierendes vokales Potenzial, allerdings mit einigen Unklarheiten der Stimmführung, und mit der Intonation nahm es der Bariton auch nicht immer ganz genau. Mit Nachdruck sei dagegen an die junge Koreanerin Seunghee Kho vom Opernstudio des Pfalztheaters erinnert: eine Nachwuchssängerin mit sehr bemerkenswerten stimmlichen und musikalischen Anlagen. Ansprechende Leistungen sind auch der restlichen Besetzung zu bescheinigen: Polina Artsis (Marcellina), Bartolomeo Stach (Bartolo), Peter Floch (Basilio, Don Curzio) und Ralph Jaarsma (Antonio).

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