Neustadt Spritzig und schön

Neustadt. Gute-Laune-Musik vom ersten bis zum letzten Takt: Mit einem rundum gefälligen Programm begeisterte die „Smetana Philharmonie Prag“ am Dienstagabend die Klassikfreunde im Saalbau. Überraschungsgast des Abends war die junge, aus Paris stammende Harfenistin Cécile Monsinjon, die kurzfristig für ihre erkrankte französische Kollegin Louise Augoyard einsprang.
„Offen sein für andere Kulturen, ohne die eigene zu verleugnen“ – unter diesem Motto stand nicht nur die festliche Einleitung mit der Ouvertüre zur Oper „Lucio Silla“ von Mozart, sondern vor allem das Hauptwerk des Abends: Motive aus Amerika liegen der Sinfonie Nr. 9 „Aus der neuen Welt“ von Antonin Dvorák zugrunde. Zunächst also ein Österreicher, der ein italienisches Libretto vertont, später ein waschechter Böhme, der sich intensiv mit der Musik jenseits des großen Teiches auseinandersetzt. Dazwischen reisen wir durch unser geliebtes Nachbarland Frankreich, erfreuen uns an den Werken von Claude Debussy und Camille Saint-Saëns – und geraten angesichts der jüngsten Pariser Ereignisse trotz völkerverbindender Klänge gehörig ins Grübeln. Mit 15 Jahren hat Mozart während seines dreimonatigen Mailand-Aufenthaltes die Oper „Lucio Silla“ komponiert, einstudiert und aufgeführt. Das schafft nur ein Wunderkind. Zum Auftakt wundert man sich allerdings vor allem darüber, warum die Tschechen nur in halber sinfonischer Stärke angerückt sind. Spätestens bei der gewaltigen Neunten von Dvorák fehlt ein wenig die Klangkraft eines 90-Mann-Orchesters. Aber der spielerische Elan der Jugend macht vieles wett – viele junge Gesichter befinden sich in den Reihen des 2004 gegründeten und von Hans Richter geleiteten Klangkörpers, letzterer übrigens ein Urenkel des gleichnamigen Maestros, der seinerzeit durch Brahms-, Bruckner und Wagner-Uraufführungen von sich reden machte. Spritziger Champagnerlaune folgen gemütliche, um nicht zu sagen unspektakuläre Harfenklänge. Das 1918 komponierte und ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts stehende „Morceau de Concert“ für Harfe und Orchester von Camille Saint-Saëns zählt sicherlich nicht zu den preisverdächtigen Kompositionen des damals 83-jährigen Franzosen, dient aber der jungen Harfenistin Cécile Monsinjon als gute Einspielübung mit den für die Harfe typischen üblichen Dreiklangsbrechungen, Glissandi und Tongirlanden. Wie man angesichts des allgemeinen Saitenwirrwarrs dabei die Übersicht behält, bleibt ein einziges großes Rätsel. Darf man in diesem Zusammenhang ihre unglaubliche Treffsicherheit loben oder sollte man dies bei einer Künstlerin ihres Formats als selbstverständlich voraussetzen? Allenfalls kleine Intonationstrübungen im oberen Register infolge kurz zuvor gerissener Saiten beeinträchtigten das Hörvergnügen. Ansonsten gilt bezüglich ihres feengleichen Spiels: „Sprich leise, und man wird dir zuhören!“ Dieser Kernsatz der Rhetorik lässt sich offensichtlich auch auf der Konzertbühne erfolgreich anwenden. Unweigerlich entsteht angesichts des duftigen Spiels der Solistin das Bild von durch den Raum schwebenden Engeln. Im „Danse Profane“ von Debussy steigern sich die zart gehauchten Tonläufe zu klangvollen Kaskaden, begleitet von einer märchenhaft dezent artikulierenden „Smetana Philharmonie“ - ein wunderschönes, auf der Höhe seiner Zeit befindliches impressionistisches Klangfarbenmeer, das das Prädikat „Musikalisch wertvoll!“ verdient. Die Zugabe: klangvolle Virtuosität in einer Bearbeitung des Stücks „Asturias“ aus der Suite Nr. 5 „Espagnola“ von Isaac Albeniz, der wohl bekanntesten Gitarrenkomposition der Musikgeschichte. Von Beginn einer neuen Musikepoche sprach man damals bei der Uraufführung von Dvoráks 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt“. „Dr. Dvorak’s Great Symphony First Movement the Most Tragic; Second the Most Beautiful, Third the Most Sprightly - Inspired by Indiana Music“ titelte die „New York Herolds Tribune“. Der damalige Superstar der Romantik hatte sich im Vorfeld intensiv mit der amerikanischen Musikkultur auseinandergesetzt, sich mit den Gospels der Schwarzen und Indiananerweisen beschäftigt, gar eine Buffallo-Bill-Show besucht und eine ganz auf das amerikanische Publikum zugeschnittene, auf Einfachheit setzende Musik komponiert. Die „Smetana Philharmonie Prag“ präsentiert Musik zum Abheben, zelebriert mit urwüchsiger böhmischer Musizierlust die unverwüstlichen Megahits. Sonderapplaus gibt’s natürlich für das herrlich verträumte Englisch-Horn-Solo, das berühmte Kopfmotiv des zweiten Satzes. Wunderschöne Landschaftsbilder zeichnet hier das Orchester, weite Flächen von feierlicher Stille. Und bei allem Elan in den schnellen Sätzen bewahren Orchester wie Dirigent die Achtung vor der Partitur, enthüllen unerwartete Details und überzeugen mit sorgfältig abgestuften Tempi. Das begeisterte Publikum erzwingt eine Zugabe: Zum Abschluss diesmal ein „reifer“ Mozart und ein weiterer Ohrwurm in Gestalt der Ouvertüre zur Oper „Die Hochzeit des Figaro“.