Neustadt Parforce-Ritt durch Räume und Zeiten

Virtuos: Sergey Malov mit seinem Barockcello bei der Interpretation von Carl Philipp Emanuel Bachs Konzert A-Dur im Saalbau.
Virtuos: Sergey Malov mit seinem Barockcello bei der Interpretation von Carl Philipp Emanuel Bachs Konzert A-Dur im Saalbau.

«Neustadt.» Es war so eine Art Parforce-Ritt durch vier Epochen der Musikgeschichte, mit dem das Württembergische Kammerorchester Heilbronn am Dienstagabend als Gast der Städtischen Abonnement-Reihe im Saalbau das Publikum in Atem hielt. Und zudem mit dem russischen Geiger Sergey Malov einen Star der internationalen Musikszene präsentierte, der als Solist wie Orchesterleiter gleichermaßen brillierte.

Die eindrucksvolle Reise über den epochalen Globus startete mit Pietro Locatelli im Hochbarock, führte über den so prägenden Klassik-Wegbereiter Carl Philipp Emanuel – als „Berliner“, später „Hamburger“ Bach verortet – zu Karl Amadeus Hartmann, dem bedeutenden Motor der deutschen Avantgarde vor und nach dem Zweiten Weltkrieg; und griff nach der Pause, der programmatischen Wegmarke des „Funèbre“ folgend, mit Franz Schuberts erst posthum veröffentlichten Streichquartett op. 810, „Der Tod und das Mädchen“ tief in die Preziosenkiste der Hochromantik. Auch wenn Schuberts Werk, dieser düstere, vor qualvoller Seelendramatik und gespenstischen Nachtmahren fast übervölkerte Totentanz, im Kern die große sinfonische Geste nahelegt, so überraschte bei der von Georg Oyen eingerichteten Orchesterfassung doch, dass tatsächlich nichts an Intimität, an feingliedriger Nuancierung und an sublimer Klangnoblesse verloren ging. Dazu braucht es allerdings einen derart exzellenten Klangkörper wie dieses Württembergische Kammerorchester, dessen Streicher im Grunde wie mehrfach verstärktes Quartett funktionieren – sich mit einer geradezu schwerelosen Selbstverständlichkeit in absolut lupenreiner, bis in Mikrobereiche verschmelzende Gestaltungsgestik verständigen. Das vermittelte sich bei den elektrisierend rastlosen Ecksätzen, dem kantig markanten Scherzo und – auf eine erschütternd verbindliche Weise – im langsamen Pavane-Satz, dem Namensgeber mit dem Kopf-Motiv aus Schuberts Liedvertonung des Gedichts von Matthias Claudius. Sergey Malov leitete als Primus inter Pares vom Ersten Geigenpult aus und fungierte mit seiner geradezu elektrisierend schönen Tongestaltung als ungetrübt leuchtender Fixstern des Abends. Das schloss nicht zuletzt stupende stilistische Wendigkeit ein. Der Auftakt etwa mit Pietro Locatellis „Sinfonia funèbre“, besetzt lediglich mit Streichquintett und Cembalo, lud ein in den mit allen Raffinessen barocken Affekten-Überschwangs opulent ausstaffierten Klangkosmos, sorgsam konturiert und gänzlich frei von Manierismen. Im düsteren Kriegsjahr 1939 hat Karl Amadeus Hartmann sein durchaus politisch motiviertes, zwischen verzweifeltem Aufbegehren und sanftem Hoffnungsleuchten changierendes „Concerto funèbre“ für Violine und Streichorchester komponiert. Wie nach Halt suchend, irrt die Solo-Violine zu Beginn im Atonalen – Basislosen –, wirbelt sich in kraftvoll aufbegehrendem Sturmgewitter und aberwitzigem Schlagabtausch mit dem bizarr respondierenden Streicherapparat bis zu dem verhaltene Zuversicht kündenden Trauermarsch am Ende. Ein aufwühlender Ohren-Krimi, atemraubend. Als Dreingabe spendierte Malov einen prickelnd vielfarbigen Solo-Satz von Eugen Ysaÿe. Lichter, heller, dabei in seiner prallen, überaus erfindungsreichen Gestaltungspalette nicht minder tieflotend, kommt das Konzert A-Dur (Wq 172) von Carl Philipp Emanuel Bach für Cello und Streicher daher. Sergey Malov, wiederum Solist und Leiter in inspirierender Personalunion, bespielte ein in Konzertsälen eher selten noch reaktiviertes Violoncello da spalla. Kaum kleiner als ein Kindercello trägt es der Ausführende, von einem Rückengurt gestützt, direkt vor der Brust. Der Klang ist weich, gerundet und vor allem in Diskantbereich von ungemein plastischer Klarheit und Wendigkeit. Und der Solist entfachte in prachtvoller Korrespondenz mit dem auch dynamisch punktgenau operierenden Tutti in den Allegro-Teilen wahre Feuerwerke an fingerfertiger Virtuosität. Auch wenn das schmelzend innige, so abgrundtief traurige Largo mit all seiner schmerzlichen Chromatik in der enervierend nachdrücklichen Lesart der Künstler die eigentliche Sensation war.

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