Neustadt Neustadt: Rote Karte für Firma Gerst?

Blick in den Recyclinghof der Firma Gerst in der Branchweilerhofstraße, im Hintergrund die Brecheranlage, die genehmigt ist.
Blick in den Recyclinghof der Firma Gerst in der Branchweilerhofstraße, im Hintergrund die Brecheranlage, die genehmigt ist.

Hat das Abfallwirtschaftszentrum der Recycling GmbH Gerst eine Zukunft in Neustadt? Diese Frage beschäftigt den Stadtrat seit geraumer Zeit. Möglicherweise erteilt er OB Weigel am Dienstag das Mandat, den Pachtvertrag fristlos zu kündigen – weil das Vertrauensverhältnis massiv gestört sei.

Seit die Staatsanwaltschaft Frankenthal wegen illegaler Abfallbeseitigung auf der Altdeponie an Haidmühle und Maifischgraben ermittelt, ist Sand ins Beziehungsgeflecht zwischen der Stadt Neustadt, der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Süd und der Recycling GmbH Gerst geraten. Jetzt legte die SGD nach. Sie hatte im Juni 2017 Anzeige erstattet, als anonyme Hinweise sie auf die illegale Abfallbeseitigung gebracht hatten. Aber zusätzlich zu jener Menge, um die es bisher ging, könnten weitere 46.000 Kubikmeter illegaler Abfall bei der Sanierung verbaut worden sein, so die SGD anhand jüngster Vermessungen. Damit könnte für den Stadtrat eine Linie überschritten sein und er Oberbürgermeister Marc Weigel (FWG) heute in nichtöffentlicher Sitzung das Mandat erteilen, den Pachtvertrag mit Gerst wegen des zerrütteten Vertrauens außerordentlich und fristlos zu kündigen.

Wer ist Betreiber: Gerst oder Stadt?

Als Betreiberin des Recyclinghofs sah und sieht die SGD die Stadt beziehungsweise deren Eigenbetrieb Stadtentsorgung (ESN) an. Seit den Ermittlungen hat sie ein strenges Auge auf alle Abläufe. Was dazu führt, dass der ESN ständig im Recyclinghof kontrolliert, aber ebenso ständig befürchtet, verantwortlich gemacht und in Haftung genommen zu werden, wenn es schief läuft. Gegen einen ESN-Mitarbeiter hat die SGD bereits ein Ordnungswidrigkeitsverfahren angestrengt. Zudem wurde die Teerhalle, ein großer Wirtschaftsfaktor für Gerst, stillgelegt, weil die immissionsschutzrechtliche Genehmigung fehlt. Und die SGD wollte von der Stadt wissen, wie sie zur Betreiberfrage steht. Die Stadt hat nun der SGD mitgeteilt, dass sie sich nach juristischer Prüfung durch ihren Anwalt und den Leiter des Rechtsamts, Andreas Bauer, nicht als Betreiberin sieht – weder in der Vergangenheit noch jetzt oder in Zukunft. Folglich müsse sich die SGD direkt mit Gerst auseinandersetzen. Dieser Standpunkt sei Vertretern der SGD bei Gesprächen mitgeteilt worden und nicht auf Widerspruch gestoßen, so Oberbürgermeister Weigel. Keinesfalls wolle er damit einseitige Schuldvorwürfe verbinden oder den Eindruck erwecken, die Stadt ziehe sich aus der Verantwortung. Im Lauf der Jahre habe es von allen Seiten Fehler oder Versäumnisse gegeben, „sonst wären wir heute ja nicht da, wo wir jetzt stehen“, so Weigel. Laut Rechtsamtsleiter Bauer will die Stadt die Haltung der SGD, sie als Betreiberin in Haftung zu nehmen, nicht mehr akzeptieren. „Betreiber ist der, der handelt. Das war und ist Gerst“, so Bauer. Das habe die SGD nicht gern gehört, aber akzeptiert.

SGD: Stadt soll sagen, was sie will

Eine Einschätzung, die der Präsident der Struktur- und Genehmigungsdirektion, Hans-Jürgen Seimetz, sowie Manfred Schanzenbächer, Leiter des SGD-Zentralreferats Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft, Bodenschutz, nicht teilen. Die Stadt habe bislang stets wie eine Betreiberin agiert, „und will jetzt nichts mehr damit zu tun haben“, zeigt sich Seimetz verärgert. Über die Zukunft könne man reden, aber nicht über die Vergangenheit. Seimetz zufolge waren sich Stadt, SGD und Gerst stets darin einig, ein Abfallwirtschaftszentrum zu wollen. Mit Blick darauf seien immissionsschutzrechtliche Einzelgenehmigungen erteilt worden, immer mit dem Fernziel, einen Bebauungsplan zu erstellen. Denn: Ohne Bebauungsplan liegt der Recyclinghof im Außenbereich. Soll er aber als echtes Abfallwirtschaftszentrum firmieren und dafür alles geordnet und eine Gesamtgenehmigung erteilt werden, muss das per Bebauungsplan geändert werden. Allerspätestens ab der Deponiesanierung 2013 sei es gemeinsames Ziel gewesen, einen Bebauungsplan zu erstellen und darin auch ein Betriebskonzept der Firma Gerst sowie die zweite Deponiesanierungsstufe zu integrieren, so Seimetz. Alt-OB Löffler habe indes nur zögerlich reagiert. Mit dem jüngsten Schreiben der Stadt aber, das sich wie eine Klageschrift lese, seien die Vertrauensbasis und die Geschäftsgrundlage, um formalrechtlich ein Abfallwirtschaftszentrum zu schaffen, aus seiner Sicht zerstört worden. Die plötzliche Kehrtwende nach so langer Zeit sei „befremdlich“. In öffentlicher Sitzung wird der Stadtrat nun heute entscheiden, ob für ein Landesgartenschaugelände Baurecht geschaffen, also ein Bebauungsplan auf den Weg gebracht werden soll. Darin enthalten ist auch das Gelände von Deponie und Recyclinghof. Konkrete Festlegungen gebe es noch nicht, weil eben alles offen sei, so Weigel. Aus seiner Sicht stehen zunächst Gespräche mit SGD und Gerst an, die Fäden seien nicht zerrissen. Eine Möglichkeit, die der SGD-Präsident eröffnet, lehnt Weigel indes schon ab: Da es dauern kann, bis der Bebauungsplan rechtskräftig wäre, hätte die Stadt die Teerhalle vorab baurechtlich genehmigen können. Mit dem Bebauungsplan wäre die immissionsschutzrechtliche Genehmigung gefolgt. Ein Vorschlag, den Rechtsamtsleiter Bauer als unmöglich bewertet: ein rechtliches Placebo, aber kein harmloses, und weder juristisch noch politisch sinnvoll: „Ein solches Anraten geht auf Kosten anderer.“

Beigeordneter Klohr: Kein Grund zum Rücktritt

Dieter Klohr (CDU) ist seit 2007 als Beigeordneter für den ESN zuständig. Er fasst die Jahre seither so zusammen: Unter Ausblenden der Rechtslage hätten sich alle Beteiligten bemüht, die Situation in den Griff zu bekommen, „immer lösungsorientiert, um den Betrieb des Recyclinghofs gemeinsam zu gewährleisten“. Er selbst habe sich mit seiner Forderung nach einem Bebauungsplan nicht durchsetzen können, auch sei der Stadtrat nie mit dem Thema befasst worden. Der damalige Oberbürgermeister Hans Georg Löffler (CDU) habe von all dem nichts wissen wollen, so Klohr – „und jetzt fliegt uns die Sache um die Ohren“, ergänzt Weigel. Einen Grund, zurückzutreten, sieht Klohr nicht. „Ich bin sauber“, auch wenn nicht alles glücklich gelaufen sei.

Gerst sieht Vertrauen nicht beschädigt

Die Anwälte der Firma Gerst sind derweil davon überzeugt, dass die Stadt Betreiberin aller genehmigungspflichtigen Anlagen und Inhaberin aller erforderlichen Genehmigungen ist. Die aktuelle Genehmigungslage würde es erlauben, sowohl das Abfallwirtschaftszentrum als auch die Deponiesanierung weiter zu betreiben. Soweit die Stadt nun nach Jahrzehnten übereinstimmender Zusammenarbeit Gegenteiliges behaupte, entbehre das jeglicher rechtlicher Grundlage. Ein qualifizierter Bebauungsplan, so auch die Anwälte, würde aber sicher für die Zukunft Rechtssicherheit für alle Beteiligten herstellen: „Wir werden den Gesprächsfaden sowohl mit der Stadt als auch mit der SGD Süd nicht abreißen lassen.“ Daneben gehen sie davon aus, dass die staatsanwaltlichen Ermittlungen demnächst abgeschlossen werden. Allerdings sei nie gegen die Gerst Recycling GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer Karl-Günter und Andreas Gerst, ermittelt worden. Daher könne die Stadt auch nicht von einem massiv gestörten Vertrauensverhältnis reden. Das Unternehmen trage auch weiterhin zur Aufklärung bei und lege größten Wert auf Transparenz. Der neuerliche Verdacht der SGD entbehre jeder Grundlage.

Seit Monaten geschlossen: die Teerhalle im Recyclinghof.
Seit Monaten geschlossen: die Teerhalle im Recyclinghof.
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