Meckenheim Lokalgeschichte: Ein Pfarrer zwischen Auflehnung und Anpassung

„Wo warst du, Jakob?“ So überschreibt der Geschichtslehrer Martin Krause ein Kapitel in einer seiner Broschüren über den Pfarrer Jakob Blum, in dem es um dessen Haltung zur Judenverfolgung geht. Blum war von Ende der 1920er Jahre bis 1949 zuständig für die Pfarrei Meckenheim-Friedelsheim.
Blum, so der Meckenheimer Lehrer, sei eine „couragierte, temperamentvolle und meinungsstarke Persönlichkeit“ gewesen. „Konfrontationen und Meinungsverschiedenheiten ging er nicht aus dem Weg.“ Und er sei nicht nur Priester gewesen, sondern habe sich auch politisch engagiert – für die Bayerische Volkspartei. Die Nazis habe er als gefährlichen politischen Gegner erkannt und mehrfach vor ihnen gewarnt. Blum selbst habe erklärt, dass er aus religiösen Gründen schon vor 1933 ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei.
Allerdings habe Blum die Politik der Nazis nach eigener Aussage nicht rundweg abgelehnt, nach eigenen Angaben sogar mindestens zweimal Hitler gewählt. Krause zitiert den Pfarrer: „In politischer Hinsicht hätte ich am Nationalsozialismus weniger auszusetzen und ich habe manche Einführung schon begrüßt.“ Was den Pfarrer laut Krause mit dem Nationalsozialismus verband, waren die Vorbehalte gegen die Demokratie und der Antibolschewismus. Dennoch: Blums Glaubens- und Kirchenverständnis und der nationalsozialistische Totalitarismusanspruch ließen sich nicht vereinbaren. Der Gestapo, der politischen Polizei des NS-Regimes, habe Blum als „verbissener Gegner“ des Hitler-Staates gegolten. Er sei auch als einer der ersten pfälzischen Pfarrer selbst schon Ende Juni 1933 Opfer von Misshandlung und Verfolgung geworden. Man inszenierte einen Sturm auf das katholische Pfarrhaus, bedrohte und schlug ihn, nahm ihn ohne Grund über Nacht in Haft. Später stieß man ihn öffentlich aus der ,Volksgemeinschaft“ aus, durchsuchte das Pfarrhaus, leitete aufgrund einiger Äußerungen von der Kanzel ein Gerichtsverfahren gegen ihn ein und entzog ihm die Unterrichtserlaubnis für staatliche Schulen.
Rechte der Kirche im Fokus
Trotz allem habe der Pfarrer sich nicht einschüchtern lassen. „Er ließ sich nicht den Mund verbieten“, so Krause. Er sei damit zum „standhaften Vorbild“ und zur Identifikationsfigur geworden. Auch mit der Bistumsleitung in Speyer sei Blum teilweise scharf ins Gericht gegangen wegen der aus seiner Sicht zu nachgiebigen Haltung gegenüber den Nazis.
Blum verkörpere nicht den Widerstand im engeren Sinn, folgert Krause. Ein Verhalten wie das seine werde vielfach als „Resistenz“ bezeichnet. Wie die meisten katholischen Seelsorger sei Pfarrer Blum zuerst darauf bedacht gewesen, für die Rechte und Freiheiten seiner Kirche zu kämpfen. Die Bereitschaft, sich über die eigenen Grenzen hinaus für Verfolgte einzusetzen, habe gefehlt. Allerdings habe er, wenn es um seine Überzeugungen ging, auch viel riskiert: So habe er bei der Bestattung des polnischen Zwangsarbeiters Johann Rubay in Friedelsheim ein Gebet gesprochen und damit sich selbst in Gefahr gebracht. Rubay hatte sich im Juni 1942 erhängt - andere polnische Zwangsarbeiter hatten Blum gebeten, beim Begräbnis dabei zu sein.
Wie es weiterging nach 1945
Abgesehen von diesem Vorfall sei Blum nach 1939 nicht mehr auffällig geworden, schreibt Krause. Der Pfarrer habe auch selbst mindestens drei ausländische Zwangsarbeiter eingesetzt, beispielsweise auf den Äckern des Pfarrguts. Und nach 1945? Blum blieb eigensinnig. Auf die Frage der Amerikaner, ob er eine Liste mit den Namen von Nazis habe, antwortete er mit Nein. Er sei katholischer Pfarrer und räche sich nicht. 1949 wechselte Blum dann nach Mußbach, wo er sich – mit Erfolg – dafür einsetzte, dass die dortigen Katholiken eine Kirche erhielten – die St. Johanneskirche.
Krause beschäftigt sich schließlich auch mit der Frage, wie Pfarrer Blum zu bewerten ist. Dabei bleibt er zurückhaltend. Um sich in jener Zeit aktiv für den Schutz verfolgter Juden einzusetzen, habe es einer „erheblichen persönlichen Risikobereitschaft“ bedurft. Andererseits gelte es zu bedenken, dass andere Menschen Handlungsspielräume erkannt und genutzt hätten. Blum habe seiner Pfarrgemeinde als Leuchtturm Halt und Orientierung geben können und kräftige Lichtzeichen in dunklen Zeiten gesetzt, ein rundum strahlender Held sei er allerdings nicht gewesen. Worauf es heute ankomme, das könne man nicht besser formulieren als der damalige Bundespräsident Roman Herzog im Jahr 1996: „Die Erfahrung der NS-Zeit verlangt von uns und allen künftigen Generationen, nicht erst aktiv zu werden, wenn sich die Schlinge schon um den eigenen Hals legt. Nicht abwarten, ob die Katastrophe vielleicht ausbleibt, sondern verhindern, dass sie überhaupt die Chance bekommt einzutreten.“
Krause nutzte für seine Recherchen Akten aus dem Bistumsarchiv und dem Landesarchiv Speyer, darüber hinaus die Literatur zum Thema Kirche und Nationalsozialismus und verschiedene lokalhistorische Beiträge, darunter etliche Arbeiten des Leiters des Bistumsarchivs, Thomas Fandel.
Info
Martin Krauses Broschüren sind erhältlich am Schriftenstand in der katholischen Kirche oder unter der Mailadresse makra76@web.de. Ein Beitrag über Krauses Recherchearbeit ist in der RHEINPFALZ vom 24. August erschienen.