Neustadt Junge Inderinnen in der Pflege: „Mittlerweile verstehen wir auch Pfälzisch“

Fühlen sich im Arbeitsalltag im Rotkreuzstift wertgeschätzt: Maureen Manoj (hinten) und Thejus Manuel, hier beim Blutdruckmessen
Fühlen sich im Arbeitsalltag im Rotkreuzstift wertgeschätzt: Maureen Manoj (hinten) und Thejus Manuel, hier beim Blutdruckmessen mit Bewohner Winfried Carius.

Fachkräfte sind in der Pflege stark nachgefragt. Bei der DRK Schwesternschaft haben zwei junge Inderinnen die Ausbildung zur Pflegefachfrau gewagt. Warum sie ihre Heimat verlassen haben und welche Hürden sie für ihr neues Leben in Neustadt nehmen mussten.

Maureen Manoj und Thejus Manuel sind Cousinen, die sich aber lange nicht kannten. Die eine ist im Norden Keralas, dem südwestlichsten Bundesland Indiens, aufgewachsen, die andere ganz im Süden. Thejus will es nach der Schule ihren Schwestern gleichtun und im Ausland arbeiten. Über eine Tante, die in der Schweiz lebt, kommt der Kontakt mit der DRK Schwesternschaft in Neustadt zustande, die noch Azubis sucht. „Meine Mutter hat Maureens Familie kontaktiert und vorgeschlagen, dass sie mit nach Deutschland geht“, erklärt Thejus.

„Ich habe zwei Tage überlegt und dann zugesagt“, sagt Maureen, „Für mich war eigentlich schon nach der zwölften Klasse klar, dass ich in der Pflege arbeiten will.“ Doch in Indien braucht sie dafür ein mehrjähriges, kostenpflichtiges Studium, obwohl danach im Job weder Bezahlung noch Anerkennung sonderlich hoch sind. Die Chancen beim Roten Kreuz, das auch in Indien bekannt ist, erscheinen ihr da besser – auch wenn das bedeutet, dass die Cousinen neun Monate lang Deutsch büffeln, um die nötige B1-Sprachprüfung zu bestehen.

Liberalere Gesellschaft

Die Inderinnen sind gerade 18 Jahre alt, als sie 2021 mit gepackten Koffern am Flughafen stehen. „Ich war noch nie geflogen und etwas aufgeregt“, erinnert sich Maureen. Plötzlich wird ihr Flug wegen eines Unwetters abgesagt. Erst nach zwei schlaflosen Nächten landen sie endlich in Deutschland. Die Mitarbeiterinnen der DRK Schwesternschaft haben ihnen eine gemeinsame Wohnung ganz nah am Mutterhaus vorbereitet.

Sie habe sich Deutschland vorgestellt wie New York oder London, mit riesigen Gebäuden, erzählt Thejus. „Hier in Neustadt sind die Häuser nicht so groß, aber dafür oft sehr alt.“ Irgendwie habe sie auch gedacht, dass alle Deutschen blaue Augen hätten, sagt sie und muss lachen. Aus Filmen kannte sie bereits die Klassenräume mit der klassisch grünen Tafel. In Indien seien die Schulen offener gestaltet. „Außerdem sind bei uns Handys in der Schule verboten, und alle müssen Uniformen, Namensschilder und bestimmte Frisuren tragen. Hier zieht jeder an, was er will.“ Die deutsche Gesellschaft sei insgesamt weniger konservativ als die indische. Ihre Eltern machten auch mal Druck, kümmerten sich aber gleichzeitig länger um die Angelegenheiten der Kinder.

Gesundheitssysteme im Vergleich

Zwar telefonieren die jungen Frauen weiter jeden Tag mit der Familie – die Herausforderungen in ihrer neuen Heimat müssen sie aber alleine bewältigen, darunter die dreijährige generalistische Pflegeausbildung, die seit 2020 drei Berufsbilder vereint: Statt Kranken-, Kinder- oder Altenpflegerin zu werden, durchlaufen alle Azubis alle Stationen und versorgen verschiedene Altersgruppen, erst im letzten Jahr wählen sie einen Schwerpunkt. Insgesamt finden die Inderinnen das Gesundheitssystem in ihrer Heimat besser, weil es Patienten freigestellt sei, wo und von welchem Arzt sie sich behandeln lassen. „Bei uns gibt es zwar keine Versicherungspflicht, keine Hausärzte, man geht für alles ins Krankenhaus. Dafür muss man aber nicht ewig auf Arzttermine warten.“

Dass in Deutschland einiges anders läuft, merken sie schon in der Berufsschule: „Unsere Klassenkameraden waren am Anfang weniger offen, als wir das kennen“, erklärt Maureen. Privates bleibe eher privat – vielleicht, weil hier nach ihrem Eindruck mehr getratscht wird als in Indien. Sie finden trotzdem schnell Freunde, die ihnen in der Schule helfen oder zeigen, wie man am Bahnhof eine Fahrkarte zieht. Gewöhnungsbedürftig: „Im Bus sitzen hier alle mit Kopfhörern und machen ihr Ding. In Indien würde ich zum Beispiel ältere Leute einfach fragen: Wie geht’s?“

Deutsche Höflichkeit irritiert

In Deutschland sage man dafür sehr viel öfter „danke“ oder „Entschuldigung“. „Bei uns sind Gesten gerade unter Freunden so selbstverständlich, dass wir das nicht sagen“, erklärt Thejus. Als sie nach zwei Jahren das erste Mal nach Indien zurückreist, habe sie wegen der deutschen Höflichkeit viele irritierte Blicke kassiert. Maureen hatte bei ihrem ersten Heimaturlaub ein bisschen das Gefühl, nur Gast in ihrer Familie zu sein. „Das hat schon wehgetan.“ Erst bei ihrer Rückkehr habe sie die Dimension ihrer Entscheidung begriffen: Während sie ihr neues Leben in Neustadt aufbaut, geht das ihrer Liebsten in Indien einfach weiter.

„Wir hatten am Anfang keine Zeit, uns Gedanken zu machen“, sagt Thejus. Hobbys hatten die jungen Frauen nicht, in jeder freien Minute wurde gelernt. Das hat sich ausgezahlt: Beide sprechen tolles Deutsch, und „mittlerweile verstehen wir auch Pfälzisch“, sagt Maureen, „am Anfang dachte ich noch, das wäre eine andere Sprache.“ Nie seien sie wegen ihres Deutschs ausgelacht worden, stets sei man ihnen wertschätzend begegnet. „Das tut gut und motiviert“, sagt Thejus.

„Nicht nur unser Erfolg“

Seit Oktober sind die mittlerweile 21-Jährigen qualifizierte Pflegefachfrauen, das Rotkreuzstift hat sie übernommen. Ohne die Unterstützung „von allen Seiten“ wäre ihr Neuanfang in Neustadt nicht möglich gewesen, sind sie sich sicher. „Das ist nicht nur unser Erfolg“, betont Thejus, die hofft, dass ihre Eltern mal zu Besuch kommen, um zu sehen, was sie hier geschafft haben.

x